Bürgerentscheid am Sonntag - Großbeerens SPD-Bürgermeister Borstel steht zur Abwahl

Sa 21.05.22 | 10:24 Uhr | Von Oliver Soos
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Plakat zur Abwahl von Großbeerens Bürgermeister Tobias Borstel im Mai 2022. (Quelle: rbb/Oliver Soos)
Audio: Inforadio | 21.05.2022 | Oliver Soos | Bild: rbb/Oliver Soos

14 Großbeerener Gemeindevertreter werfen ihrem Bürgermeister Tobias Borstel vor, viele Beschlüsse zu verschleppen. Mit einem Abwahlbürgerentscheid wollen sie das Stadtoberhaupt kippen. Am Sonntag entscheiden die Großbeerener. Von Oliver Soos

In der 9.000-Einwohner-Gemeinde Großbeeren (Teltow-Fläming) erinnert einiges an die Abwahl des Bürgermeisters von Königs Wusterhausen, Swen Ennullat, im vergangenen Jahr. Das Motto der dortigen Abwahlkampagne "Ja zu KW" wurde übernommen und abgewandelt in "Ja zu Großbeeren".

Auch hier ist auf den Abwahlplakaten ein breites Bündnis aus Fraktionen und Wählergruppen aufgeführt. Nur wird hier nicht gegen einen parteilosen Bürgermeister angekämpft, sondern gegen Tobias Borstel von der SPD.

30 Gemeindevertretungsbeschlüsse verschleppt?

CDU, FPD, Grüne, Linke, "Unabhängiges Bündnis Großbeeren" und "Wir für Großbeeren" stellen sich gegen einen Bürgermeister der SPD. Die Vorwürfe klingen wiederum ähnlich wie in KW. "Es gibt etwa 30 Beschlüsse, die der Bürgermeister einfach nicht umgesetzt hat. Zum Teil hat er sie beanstandet und an die Kreisverwaltung weitergeleitet.

Es geht zum Beispiel um Beschlüsse gegen Lichtverschmutzung, was die Grünen eingebracht haben oder zu Photovoltaikanlagen, was wir eingebracht haben", sagt Martin Wonneberger, der Vorsitzende der Fraktion CDU/FPD. Er wirft dem Bürgermeister vor, Beschlüsse, "die nicht aus seiner eigenen Feder stammen und nicht seinen Interessen entsprechen", zu verschleppen.

Dabei würde Borstel seine Rolle als Bürgermeister missverstehen und glauben, er sei der alleinige Gestalter. Dabei seien die Gemeindevertreter das Organ, das die Bürger vertritt und die Beschlüsse fasst, so Wonneberger.

Bürgermeister Tobias Borstel (SPD) im Mai 2022. (Quelle: rbb/Oliver Soos)
Großbeerens Bürgermeister Tobias Borstel (SPD) | Bild: rbb/Oliver Soos

Borstel verteidigt sich mit "Halbzeitbilanz"

Tobias Borstel weist diesen Vorwurf zurück. Er hat eine "Halbzeitbilanz" seiner Arbeit verfasst und die Broschüre im Ort verteilt. In den ersten vier Jahren seiner achtjährigen Amtszeit seien insgesamt knapp 500 Beschlüsse gefasst und die überwiegende Mehrheit umgesetzt worden. Borstel zählt in seiner Broschüre 29 Projekte auf, wie einen Kita-Neubau, die Einrichtung von Solarleuchten am Bahnhof oder die Beschaffung einer Drohne für die Feuerwehr. Doch nicht immer gehe es so schnell, wie es manch einer erwartet, so der SPD-Bürgermeister.

"Viele Mandatsträger verstehen nicht, dass ein Beschluss nicht einfach so von gestern auf heute umgesetzt werden kann. Manchmal müssen Absprachen mit dem Landkreis oder dem Land getroffen werden, manchmal müssen öffentliche Ausschreibungen gemacht werden und dann ist zum Beispiel der Haushalt noch nicht da und man muss darauf warten", sagt Borstel.

Der CDU-Gemeindevertreter Wonneberger sieht das anders. "Dinge, die dem Bürgermeister am Herzen liegen, werden ruckzuck durchgezogen. Bei unseren Beschlüssen hören wir dann oft nichts mehr. Es gibt keine Zwischenstände, keine Mitgestaltungsmöglichkeiten, wir erfahren nicht, woran es liegt, dass in der Sache nichts passiert", sagt Wonneberger.

Kritik kommt auch aus dem Lager der Grünen

Ähnlich ist auch die Kritik des Grünen-Fraktionsvorsitzenden, Daniel Krause. Er erzählt, dass er den Bürgermeister 2018 selbst gewählt und ab 2019 als Gemeindevertreter unterstützt habe. Dabei habe er anfangs sogar ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm aufgebaut. Doch das sei zerbrochen, weil ihn die "Untätigkeit" und "Unfähigkeit" des Bürgermeisters mehr und mehr zermürbt habe. Mittlerweile fühle er sich nahezu ausgelaugt, so Krause.

"Wir haben mit dem Bürgermeister über viele Dinge detailliert gesprochen und dann ist nichts passiert. Verabredungen wurden nicht eingehalten. Wenn man immer wieder erinnern und erinnern muss und dann nichts dabei herauskommt, dann stellt man sich irgendwann die Frage: Warum macht man das eigentlich", sagt Krause.

Der Grünen-Gemeindevertreter erzählt beispielhaft von einem Streit um die Grünflächenpflege in der Gemeinde. Lange Zeit habe es in Großbeeren Unzufriedenheit darüber gegeben, wie eine von der Gemeinde beauftragte Firma die Grünstreifen an den Straßen mäht und die Hecken schneidet. Als der Vertrag mit der Firma auslief, waren alle Fraktionen aufgefordert, Vorschläge für eine neue Ausschreibung zu erarbeiten, damit es in Zukunft besser läuft und die Bürger zufriedener sind.

Streit um die Grünflächenpflege

"Alle Fraktionen haben da viel Zeit und viele Nerven investiert. Wir haben uns Fachleute geholt und Vorschläge gemacht, was in der Ausschreibung und im Leistungsverzeichnis verbessert werden kann. Doch das wurde dann einfach nicht berücksichtigt, genauso wenig, wie die Vorschläge der anderen Fraktionen, obwohl wir sie zeitnah eingereicht haben", erzählt Krause.

Der Bürgermeister stellt den Vorgang etwas anders dar: "Wir haben die Gemeindevertreter so gut wie möglich, mitwirken lassen und ihre Vorstellungen eingearbeitet, aber irgendwann gab es einen Punkt, wo wir sagen mussten: Jetzt müssen wir erst einmal die Pflicht erfüllen und den Vertragsabschluss durchführen, sonst haben wir keine Grünflächenpflege", sagt Borstel.

Der CDU-Gemeindevertreter Wonneberger spricht hingegen von einem "Chaos", das der Bürgermeister bei dieser Geschichte zu verantworten hatte. "Der Bürgermeister hatte die Aufgabe an einen Mitarbeiter abgegeben. Unsere Ideen, die wir eingereicht und in den Ausschüssen besprochen haben, wurden nicht zusammengefasst und komprimiert. Es gab keinen Überblick über die Vorschläge und Änderungswünsche und am Schluss hat der Bürgermeister das Ganze einfach abrupt abgebrochen und ausgeschrieben. Das zeigt, dass er nicht führen kann und sein Handwerk nicht beherrscht", sagt Wonneberger.

Opfer einer Hetzkampagne?

Bürgermeister Borstel wurde in seiner vierjährigen Amtszeit immer wieder mit harten Vorwürfen konfrontiert. Diese gingen dabei oft weit über sachliche Kritik hinaus. Auch jetzt schreibt das Abwahlbündnis "Ja zu Großbeeren" auf seiner Facebookseite Sätze, die zeigen, wie tief die Risse im Ort sind: "Tobias Borstel, lächeln allein hilft nicht", "Nur Glanz aber keine Substanz" oder: "Lügen haben kurze Beine".

Der Bürgermeister sieht sich als Opfer einer Hetzkampagne, die es zum Ziel habe, ihn "aus dem Amt zu kegeln". Diese sei schon 2018 losgegangen, als er gewählt wurde. "Es gibt hier im Ort eine kleine Minderheit, die alles, was von außen kommt und Änderungen mitbringen könnte, ablehnt", sagt Borstel. Der 40-Jährige erzählt, dass er damals als "zu jung" und "blauäugig" abgestempelt worden sei, als jemand, der die Großbeerener nicht verstehen könne.

Doch er habe es geschafft, als junger "pluralistisch aufgewachsener Mensch" die Bürger durch "Türklinkenputzen" und viele Gespräche zu überzeugen und das in einer CDU-dominierten Gemeinde, die zuletzt 16 Jahre einen parteilosen Bürgermeister hatte, der im letzten Jahr seiner Amtszeit der CDU beitrat. Das habe vielen aus diesem Lager nicht gefallen, und die hätten dann nach und nach auch die Gemeindevertreter der anderen Fraktionen aufgehetzt, so Borstel.

Wonneberger von der CDU weist das zurück und betont, dass er dem Bürgermeister anfangs offen gegenübergestanden habe. Wonneberger wirft Borstel vor, die Menschen "auf der emotionalen Ebene für sich vereinnahmen zu wollen, statt auf der sachlichen Ebene zu diskutieren."

Von Anfang an Stimmung gegen den Bürgermeister

Borstel kommt ursprünglich aus Sachsen-Anhalt und ist Diplom-Verwaltungswissenschaftler. Vor seiner Tätigkeit als Bürgermeister hat er für den heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gearbeitet, in dessen Brandenburger Wahlkreisbüro und Bundestagsbüro. 2017 sei er vom damaligen Brandenburger SPD-Generalsekretär, Erik Stohn, gefragt worden, ob er als SPD-Bürgermeisterkandidat in Großbeeren antreten wolle, denn der Ortsverein habe noch keinen Kandidaten. Stohn stellte Borstel daraufhin der Großbeerener SPD vor, und die sei von seinem Auftreten überzeugt gewesen.

Mittlerweile ist man in der Partei zurückhaltender. Zwei Anfragen des rbb, die Abwahl des Bürgermeisters zu kommentieren, wurden von SPD-Vertretern abgelehnt. Nach rbb-Informationen gibt es, neben Unterstützung, in Teilen der Partei auch Unzufriedenheit mit Borstel. Aus SPD-Kreisen heißt es, dass der Bürgermeister zwar unfair von seinen Gegnern angegangen werde, dass er aber auch selbst einiges "Porzellan zerdeppert" und "alle gegen sich aufgebracht" habe. Der SPD-Kreisverband Teltow-Fläming unterstützt Borstel dennoch weiter und bezeichnet das Abwahlvorhaben als "übertrieben".

Wenn Borstel am Sonntag tatsächlich aus dem Amt gejagt werden würde, wäre das sehr peinlich für die Brandenburger SPD, weil schon Anfang April die Wildauer SPD-Bürgermeisterin Angela Homuth in einem Bürgerentscheid abgewählt wurde. Damit es zu einer Abwahl von Borstel käme, müssten mindestens 25 Prozent der rund 7.500 Stimmberechtigten über 16-jährigen Großbeerener beim Bürgerentscheid für die Abwahl stimmen und es müsste dabei mehr Ja- als Nein-Stimmen geben. Der Ausgang der Wahl gilt als offen.

Sendung: Inforadio, 21.05.2022, 7 Uhr

Beitrag von Oliver Soos

4 Kommentare

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  1. 4.

    Offenbar pflegt man in Brandenburg einen neuen Volkssport: Bürgermeister-Bashing. Da ist ein zugezogener Bürgermeister natürlich das perfekte Opfer, weil man ihn bedenkenlos jagen und zur Strecke bringen kann, ohne die Rache eingesessener Angehöriger oder seiner etablierten Freunde fürchten zu müssen. Das vollkommende Glück des kleinkarierten Spießers.

    Mit Verlaub, wer seine kommunalen Spitzenleute derart übel behandelt, hat entweder kein demokratisches Verantwortungsgefühl oder kein Interesse an Demokratie. Was der Artikel an Beispielen aufführt, ist eine schallende Ohrfeige für die verantwortlichen Gemeinderatsmitglieder: Lappalien künstlich aufgebauscht.

    Gut, dass die Mehrheit der Großbeerer:innen ihnen eine ordentliche Quittung ausgestellt hat.

  2. 3.

    Die Bewohner mögen scheinbar ihren Bürgermeister. 1.395 für die Abwahl, 1.918 gegen die Abwahl und das Quorum lag bei 1.891. Damit bleibt unser Bürgermeister. Mal sehen wie die Gemeindevertreter darauf reagieren. Bis jetzt haben sie dies nicht getan. Mein Vorschlag: Rücktritt der Gemeindevertreter und Neuwahlen der Gemeindeversammlung weil einen Rückhalt in der Bevölkerung haben sie nicht sonst hätte sie ja gewusst wie beliebt der Bürgermeister beim normalen Volk ist.

  3. 2.

    Mir ist die Berichterstattung zu manipulativ. Keine nachhaltigen Fakten, nichts Nachvollziehbares. Wenn ich mich nicht wirklich selbst damit beschäftigen würde, wäre ich mit diesem Artikel ganz einfach manipulierbar. Das finde ich schade.

  4. 1.

    Abwahl bitte für die ganze bundesregierung!

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