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Quelle: rbb / Christopher Ferner

Demo in Berlin

Marzahn Pride feiert queere Sichtbarkeit - trotz queerfeindlicher Zwischenfälle

Bei der Marzahn Pride zogen Hunderte Menschen gegen den Krieg in der Ukraine und für mehr Toleranz auf die Straßen. Doch die queere Demo im Berliner Osten blieb nicht ohne Zwischenfälle. Von Christopher Ferner

In Berlin, der angeblichen Hauptstadt der Freiheit und Toleranz, reicht es auch im Jahr 2022 noch, als Mann Kleid und Absatzschuhe zu tragen, um von Fremden homofeindlich beleidigt und angespuckt zu werden. So geschehen am Samstag auf der Marzahn Pride.

Wanja Kilber, einer der Organisatoren der Parade, wollte sich die Pöbeleien einer Gruppe am Rande des Demonstrationszuges nicht gefallen lassen. Er ging auf sie zu und konfrontierte die Männer. "Einer von ihnen versuchte daraufhin, mich anzuspucken, aber verfehlte mich”, erzählt er mit gesenktem Blick. “Er hat mich auf Russisch als Arschficker bezeichnet und gesagt, ich solle ihm nicht näher kommen, weil er Angst vor mir habe."

Angst, weil Wanja Kleidung trug, die als weiblich codiert gelten. Die habe er vorsorglich sogar erst vor Ort bei der Marzahn Pride angezogen, um möglichen Anfeindungen in der S-Bahn aus dem Weg zu gehen. "Zuerst habe ich mich gefragt, ob ich deswegen feige bin." Doch die Anfeindungen am Rande der Demo hätten ihm gezeigt, dass seine Ängste real seien. "Ich werde nicht von dieser Angst fremdgesteuert. Ich werde von homophoben Menschen fremdgesteuert", sagt Wanja. Der Vorfall habe auch gezeigt warum es Veranstaltungen wie die Marzahn Pride brauche.

Quelle: rbb / Christopher Ferner

Sichtbarkeit in Marzahn

Die Parade fand dieses Jahr bereits zum dritten Mal statt. Die von dem Verein Quarteera organisierte Demonstration richtet sich an die russischsprachige queere Community und will deren Sichtbarkeit fördern. Dass die Demo in Marzahn-Hellersdorf stattfand, kommt nicht von ungefähr: In dem Bezirk wohnen rund 30.000 russischsprachige Menschen.

"Zudem gibt es in Marzahn kaum queere Strukturen wie in Bezirken wie Schöneberg oder Mitte", sagt Svetlana Shaytanova, Sprecherin der Marzahn Pride. "Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade hier Sichtbarkeit zeigen." Zudem diene die Pride auch dazu, den Rechtspopulist:innen in dem Bezirk die Stirn zu bieten.

Die stellen in Marzahn ihr Weltbild ganz offen zur Schau. Beim Startpunkt des Demonstartionszuges in der Nähe der S-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße hingen Plakate der rechtsextremen Kleinpartei “Der III. Weg” mit der Forderung, vermeintliche Homo-Propaganda zu stoppen und die traditionelle Familie aus Mutter, Vater und Kindern dadurch zu schützen.

Quelle: rbb / Christopher Ferner

Ukraine im Fokus

Die dritte Marzahn Pride war den Menschen in der Ukraine und besonders der dortigen queeren Community gewidmet. So forderten die Sprecher:innen auf dem Wagen, der den Demonstrationszug führte, immer wieder Solidaritätsbekundungen mit dem vom Krieg erschütterten Land.

Die laut Veranstalter:innen rund 800 Besucher:innen trugen an diesem heißen Sommertag nicht nur Regenbogenflaggen. Auch die ukrainische Flagge war immer wieder zu sehen. Und aus den Boxen tönte nicht nur typische Pride-Popmusik sondern auch das ESC-Gewinnerlied "Stefania" der ukrainischen Band Kalush Orchestra, zu dem die Menschen sangen und tanzten.

Auch das Motto "Bunt*уй" stand im Zeichen des Angriffskrieges gegen die Ukraine – ein russisch-ukrainisches Wortspiel, das übersetzt so viel wie "Rebelliere!" heißt. "Wir rufen damit die Zivilgesellschaft zum Widerstand gegen die Unterdrückung von queeren Menschen und gegen die Verletzung von Menschenrechten auf", sagt Sprecherin Shaytanova.

Erster CSD in der Prignitz

"Das ist eine riesige Befreiung"

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Vielfalt trifft auf Queerfeindlichkeit

In Marzahn möchten aber offensichtlich nicht alle diesem Aufruf folgen. Das hat nicht nur die homofeindliche Attacke gegen Jason Goldman gezeigt. In einem Imbiss, der an der Route des Demozuges gelegen ist, waren von drei Personen immer wieder queerfeindliche Sprüche zu hören.

So bezeichnete eine der Personen die Parade als "Affenpocken-Demo" und spielte damit darauf an, dass vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, sich derzeit mit dem Virus infizieren. Ein anderer forderte, dass "die", womit er wohl queere Menschen meinte, ihn in Ruhe lassen sollten.

Bereits bei der ersten Marzahn Pride sei es zu Zwischenfällen gekommen, erzählt Shaytanova. "Damals wollte uns eine Gruppe von Menschen mit Eiern bewerfen."

Trotz der Vorfälle und trotz der Bullenhitze war die Stimmung bei der Parade ausgelassen. Beim anschließenden Straßenfest am Victor-Klemperer-Platz versammelten sich viele der Besucher:innen unter den schattenspendenden Bäumen. Auf der kleinen Bühne wurden sowohl Reden gehalten, als auch Musikstücke performt.

Zu beobachten war dabei, wie Menschen immer wieder spontan dazustießen und teils neugierig zuhörten und dem Treiben beiwohnten. Der Verein Quarteera dürfte somit das Ziel, für bunte Sichtbarkeit in Marzahn zu sorgen, erreicht haben.

Hinweis: In einer früheren Fassung des Artikels stand aufgrund einer Verwechslung ein falscher Name. Der Organisator der Parade, der von einem Angriff berichtet, heißt Wanja Kilber. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.06.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

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