Demo in Berlin - Marzahn Pride feiert queere Sichtbarkeit - trotz queerfeindlicher Zwischenfälle

So 19.06.22 | 10:51 Uhr | Von Christopher Ferner
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Auf der Demo Marzahn Pride am 18.06.2022 in Berlin wird eine Regenbogen-Flagge geschwenkt. (Quelle: rbb / Christopher Ferner)
Bild: rbb / Christopher Ferner

Bei der Marzahn Pride zogen Hunderte Menschen gegen den Krieg in der Ukraine und für mehr Toleranz auf die Straßen. Doch die queere Demo im Berliner Osten blieb nicht ohne Zwischenfälle. Von Christopher Ferner

In Berlin, der angeblichen Hauptstadt der Freiheit und Toleranz, reicht es auch im Jahr 2022 noch, als Mann Kleid und Absatzschuhe zu tragen, um von Fremden homofeindlich beleidigt und angespuckt zu werden. So geschehen am Samstag auf der Marzahn Pride.

Wanja Kilber, einer der Organisatoren der Parade, wollte sich die Pöbeleien einer Gruppe am Rande des Demonstrationszuges nicht gefallen lassen. Er ging auf sie zu und konfrontierte die Männer. "Einer von ihnen versuchte daraufhin, mich anzuspucken, aber verfehlte mich”, erzählt er mit gesenktem Blick. “Er hat mich auf Russisch als Arschficker bezeichnet und gesagt, ich solle ihm nicht näher kommen, weil er Angst vor mir habe."

Angst, weil Wanja Kleidung trug, die als weiblich codiert gelten. Die habe er vorsorglich sogar erst vor Ort bei der Marzahn Pride angezogen, um möglichen Anfeindungen in der S-Bahn aus dem Weg zu gehen. "Zuerst habe ich mich gefragt, ob ich deswegen feige bin." Doch die Anfeindungen am Rande der Demo hätten ihm gezeigt, dass seine Ängste real seien. "Ich werde nicht von dieser Angst fremdgesteuert. Ich werde von homophoben Menschen fremdgesteuert", sagt Wanja. Der Vorfall habe auch gezeigt warum es Veranstaltungen wie die Marzahn Pride brauche.

Demonstrierende ziehen auf der Marzahn Pride am 18.06.2022 in Berlin eine Straße entlang. (Quelle: rbb / Christopher Ferner)
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Sichtbarkeit in Marzahn

Die Parade fand dieses Jahr bereits zum dritten Mal statt. Die von dem Verein Quarteera organisierte Demonstration richtet sich an die russischsprachige queere Community und will deren Sichtbarkeit fördern. Dass die Demo in Marzahn-Hellersdorf stattfand, kommt nicht von ungefähr: In dem Bezirk wohnen rund 30.000 russischsprachige Menschen.

"Zudem gibt es in Marzahn kaum queere Strukturen wie in Bezirken wie Schöneberg oder Mitte", sagt Svetlana Shaytanova, Sprecherin der Marzahn Pride. "Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade hier Sichtbarkeit zeigen." Zudem diene die Pride auch dazu, den Rechtspopulist:innen in dem Bezirk die Stirn zu bieten.

Die stellen in Marzahn ihr Weltbild ganz offen zur Schau. Beim Startpunkt des Demonstartionszuges in der Nähe der S-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße hingen Plakate der rechtsextremen Kleinpartei “Der III. Weg” mit der Forderung, vermeintliche Homo-Propaganda zu stoppen und die traditionelle Familie aus Mutter, Vater und Kindern dadurch zu schützen.

Auf der Demo Marzahn Pride am 18.06.2022 in Berlin wird eine ukrainische Flagge geschwenkt. (Quelle: rbb / Christopher Ferner)
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Ukraine im Fokus

Die dritte Marzahn Pride war den Menschen in der Ukraine und besonders der dortigen queeren Community gewidmet. So forderten die Sprecher:innen auf dem Wagen, der den Demonstrationszug führte, immer wieder Solidaritätsbekundungen mit dem vom Krieg erschütterten Land.

Die laut Veranstalter:innen rund 800 Besucher:innen trugen an diesem heißen Sommertag nicht nur Regenbogenflaggen. Auch die ukrainische Flagge war immer wieder zu sehen. Und aus den Boxen tönte nicht nur typische Pride-Popmusik sondern auch das ESC-Gewinnerlied "Stefania" der ukrainischen Band Kalush Orchestra, zu dem die Menschen sangen und tanzten.

Auch das Motto "Bunt*уй" stand im Zeichen des Angriffskrieges gegen die Ukraine – ein russisch-ukrainisches Wortspiel, das übersetzt so viel wie "Rebelliere!" heißt. "Wir rufen damit die Zivilgesellschaft zum Widerstand gegen die Unterdrückung von queeren Menschen und gegen die Verletzung von Menschenrechten auf", sagt Sprecherin Shaytanova.

Vielfalt trifft auf Queerfeindlichkeit

In Marzahn möchten aber offensichtlich nicht alle diesem Aufruf folgen. Das hat nicht nur die homofeindliche Attacke gegen Jason Goldman gezeigt. In einem Imbiss, der an der Route des Demozuges gelegen ist, waren von drei Personen immer wieder queerfeindliche Sprüche zu hören.

So bezeichnete eine der Personen die Parade als "Affenpocken-Demo" und spielte damit darauf an, dass vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, sich derzeit mit dem Virus infizieren. Ein anderer forderte, dass "die", womit er wohl queere Menschen meinte, ihn in Ruhe lassen sollten.

Bereits bei der ersten Marzahn Pride sei es zu Zwischenfällen gekommen, erzählt Shaytanova. "Damals wollte uns eine Gruppe von Menschen mit Eiern bewerfen."

Trotz der Vorfälle und trotz der Bullenhitze war die Stimmung bei der Parade ausgelassen. Beim anschließenden Straßenfest am Victor-Klemperer-Platz versammelten sich viele der Besucher:innen unter den schattenspendenden Bäumen. Auf der kleinen Bühne wurden sowohl Reden gehalten, als auch Musikstücke performt.

Zu beobachten war dabei, wie Menschen immer wieder spontan dazustießen und teils neugierig zuhörten und dem Treiben beiwohnten. Der Verein Quarteera dürfte somit das Ziel, für bunte Sichtbarkeit in Marzahn zu sorgen, erreicht haben.

Hinweis: In einer früheren Fassung des Artikels stand aufgrund einer Verwechslung ein falscher Name. Der Organisator der Parade, der von einem Angriff berichtet, heißt Wanja Kilber. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.06.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

29 Kommentare

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  1. 29.

    Sie müssen mir gar nicht widersprechen, denn ich habe lediglich angeführt, dass Anspucken als Körperverletzung gewertet werden KANN. Oder auch als tätlicher Angriff. Oder als Beleidigung. Auch "Seepferdchen" hat nicht behauptet, dass es sich beim Anspucken automatisch um Körperverletzung handelt. Und warum fokussieren Sie sich so darauf, welcher Straftatbestand nun genau erfüllt wird?
    Wollen Sie lediglich vom eigentlichen Thema ablenken?

  2. 28.

    Ja, strafbar (Beleidigung und möglicherweise auch Nötigung), aber nicht automatisch strafbar bzgl. einer Körperverletztung. Da muss ich Ihnen widersprechen. Hier muss nämlich der Täter (das Lama) in Bezug auf eine körperliche Auswirkung (zB. Brechreiz) vorsätzlich gehandelt haben. Genau das wird schwierig zu beweisen. Schauen Sie gerne mal hier: BGH, 3 StR 289/15.

  3. 27.

    "Erich" hat quasi Toleranz für Intoleranz eingefordert, nichts anderes. Ein peinlicher Versuch, Diskriminierung zu verharmlosen...

  4. 26.

    Anspucken ist strafbar und kann auch als Körperverletzung eingestuft werden.

  5. 25.

    Das Leben ist kein Schauspiel mit klassichen und modernen Rollenverteilungen, und nur weil die Scheidungsraten steigent, überholt ist die Liebe zwischen Mann und Frau trotzdem nicht, es ist die Regel.

  6. 24.

    Alles sollte gleichermaßen „normal“ sein :-) Mir kommt es immer auf den einzelnen Menschen an. Denn das Menschsein verbindet uns alle. Wie ein Mensch tickt merkt man erst, wenn man sich mit ihm unterhält oder ihm zuhört.

  7. 23.

    Eine Körperverletzung ist das Anspucken nicht. Sie können ja auch nicht jeden anzeigen, der bei Erkältung in Ihrer Nähe hustet. Aber das Anspucken erfüllt vermutlich den Tatbestand der Nötigung oder der Beleidigung.

  8. 22.

    Sie sollten sich nicht auf das Niveau der Gegenseite begeben. Nichts ist überholt, weil die sog. klassische Familie die Mehrheit ist und ebenso ein Recht hat zu existieren. Sie sollten keine Form verbal diskriminieren. Reicht schon wenn solche Leute Gewalt anwenden.

  9. 21.

    "Aggressoren..." - Junge, junge gehts noch. Wenn @Erich sagt, das man sowas nicht gut finden muss hat er recht, muss man nicht. Läuft unter Meinungsfreiheit. Von Anspucken hat er gar nichts geschrieben. Das was Sie fordern sollten Sie anderen nicht absprechen - ich weiß, das ist schwer....

  10. 20.

    Thomas aus Berlin:
    "Dennoch ist die Vater-Mutter-Kind-Beziehung in unserer Gesellschaft der Mehrheitsfall und sollte in den Medien auch den entsprechenden Platz behalten."

    Keine Angst! Die Dominanz der "traditionellen" Familie in den Medien ist überhaupt nicht gefährdet, auch wenn die Darstellung der anderen Familienformen großen Nachholbedarf hat.

    Erst dann, wenn allen Menschen die Quote der in den Medien dargestellten Familienformen egal ist, ist das Problem bewältigt.

  11. 19.

    Yps:
    "Jeder Mensch darf seine Meinung haben und sie äußern."

    Die Meinungsfreiheit ist unbeschränkt. Jeder darf jede Meinung haben. Aber die Meinungsäußerungsfreiheit ist nicht unbeschränkt. Man darf nicht jede Meinung äußern. So sind Beleidigungen, Verleumdungen, Aufruf/Anstiftung zu Straftaten, Billigung von Straftaten, Volksverhetzung verboten.

    Yps:
    "Die Schwierigkeiten beginnt, die Meinung anderer zu tolerieren."

    Man muss also auch nicht jede Meinung tolerieren.

    Yps:
    "Solange solche Demos noch immer anecken, solange sind sie wichtig und nötig."

    Sehe ich genauso!

  12. 18.

    Stimme dem zu. Dann vlt anderes ausgedrückt: in der heutigen Gesellschaft sind auch andere Familienmodelle wie die klassische Mutter Vater Kind Familie als normal zu betrachten.

  13. 17.

    Danke an all diese mutigen und couragierten Menschen, die gestern am East Pride teilgenommen haben.

    Beschämend ist der Kommentar unter Nr. 1 "Erich" - das Anspucken und Ähnliches als Ausdruck von Abneigungen sind ja wohl in einer zivilisierten Gesellschaft indiskutabel!
    Abgesehen davon könnte es sich bei Ersterem um versuchte Körperverletzung handeln, falls die Aggressoren schwerwiegende, ansteckende Krankheitserreger in sich trugen.
    Es hat schon seinen Sinn bereits im Kindergarten grundlegendes soziales Verhalten zu lernen.

  14. 16.

    "Die klassische Rolle Frau Kind Mann ist doch in der heutigen Gesellschaft längst überholt." Ist sie nicht. Bedrohen und anspucken geht selbstverständlich gar nicht und muss entsprechend strafrechtlich abgehandelt werden. Dennoch ist die Vater-Mutter-Kind-Beziehung in unserer Gesellschaft der Mehrheitsfall und sollte in den Medien auch den entsprechenden Platz behalten.

  15. 15.

    Wie sich deutlich zeigt sind es Nationalitäten in welcher ein archaisches Männlichkeitsbild als vermeintliche Stärke äußert, die am meisten ein Problem damit haben. Woher kommt diese Angst? Die klassische Rolle Frau Kind Mann ist doch in der heutigen Gesellschaft längst überholt. Aber wenn die politische Führung dieser Länder queere Menschen dahingehend stigmatisiert und zum Teil kriminalisiert wundert mich das Verhalten dieser Täter nicht.

  16. 14.

    Jeder Mensch darf seine Meinung haben und sie äußern. Die Schwierigkeiten beginnt, die Meinung anderer zu tolerieren. Solange solche Demos noch immer anecken, solange sind sie wichtig und nötig.

  17. 13.

    Wer Angst vor queeren Menschen hat, sollte sich ganz dringend mit der eigenen Sexualität stärker befassen. Darin liegt nämlich der Ursprung der Angst...

  18. 12.

    Danke für Eure Berichterstattung, die ist so wichtig! (Und noch ein kleiner Hinweis: Leider ist unter der Zwischenüberschrift "Ukraine im Fokus" eine Bildunterschrift in den Text des Berichts gerutscht.)

  19. 11.

    Eindeutig eine Note 6 setzen. Wie die User/innen hier zu recht wie ich finde Ihr Schubladen Denken aufzeigen, macht doch gerade deutlich wie wichtig diese Pride Demonstrationen immernoch sind. Ein ganz großes Lob geht an die Teilnehmer/innen in Marzahn.

  20. 10.

    Ukrainische Flagge und ausgelassene Stimmung, das passt derzeit überhaupt nicht zusammen, aber trotzdem toleriere ich es, aber ungern.

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