Kommunen vor Tariferhöhungen - "Es ist überhaupt nicht mehr leistbar für uns"

Die nächste Tarifrunde könnte teuer werden für die Kommunen: Die Gewerkschaften fordern deutliche Lohn- und Gehaltserhöhungen für den öffentlichen Dienst. Die Stadt Brandenburg an der Havel warnt bereits vor Einschnitten. Von Lisa Steger
Das Marienbad in Brandenburg an der Havel hat sich ein Energiesparprogramm verordnet: Im "Funbad" sind es jetzt 28 statt 30 Grad - und die Temperatur im Sportbad wurde von 28 auf 26 Grad gesenkt. Zudem haben die Stadtverordneten jüngst beschlossen, die Sporthallen weniger zu heizen: 15 statt 18 Grad.
Doch es könnten noch stärkere Einschnitte bevorstehen. Neben den gestiegenen Energiekosten liege das an den Personalkosten, die im nächsten Jahr wahrscheinlich ebenfalls stärker zu Buche schlagen würden, gibt die Stadt an.
Denn angesichts der Rekordinflation fordern die Gewerkschaften in der nächsten Tarifrunde deutliche Lohn- und Gehaltserhöhungen. 10,5 Prozent mehr verlangen etwa die Gewerkschaften, Verdi und Deutscher Beamtenbund und Tarifunion für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Ab Januar soll verhandelt werden.
Kämmerer fordert Geld vom Land Brandenburg
Im Rathaus von Brandenburg sitzt Kämmerer Thomas Barz und rechnet vor: Rund 6,9 Millionen zusätzlich müsste die Stadt für ihr Personal aufbringen, wenn die Gewerkschaften sich durchsetzen würden.
"Es ist ein erster Aufschlag, sie müssen mit hohen Forderungen hineingehen", räumt Barz im rbb-Interview ein. "Und dass die Leute mehr Geld brauchen, steht ja außer Frage." Aber 10,5 Prozent mehr, das sei zu viel: "Es ist überhaupt nicht mehr leistbar für uns." Das, so Barz, sei "genau die Spirale, vor der immer gewarnt wird." Denn die Kommunen, betont der Kämmerer, müssten sich das Geld von den Bürgern zurückholen, "über die Gewerbe-, Hunde und Grundsteuer. Wir müssen ja gegenhalten."
An der Sozialhilfe darf nicht gespart werden
An den so genannten Pflichtaufgaben wie der Sozialhilfe dürfe die Kommune nicht sparen, so Barz. Und freiwillige Leistungen abbauen, etwa Schwimmbäder, das wolle man in Brandenburg an der Havel auch nicht. "Ziel ist, dass wir nicht irgendwo hingehen und sagen: Euch gibt es nicht mehr."
Am ehesten werde man wohl Stellen nicht vergeben, die man eigentlich brauche. Fünf bis zehn Prozent der Posten im öffentlichen Dienst der Havelstadt sind aktuell nicht besetzt. Zudem könne man bei den Investitionen kürzen: "Straßen, Schulen, Digitalisierung – da müssen wir jetzt wohl viele Maßnahmen schieben."
Steigende Energiekosten für öffentliche Gebäude kämen als Belastung für den Haushalt hinzu. Deshalb appelliert die Stadt Brandenburg an der Havel jetzt an die Landesregierung. "Es bedarf mehrerer Millionen", zeigt sich Thomas Barz überzeugt. "Das Land muss ja die Kommunen auskömmlich finanzieren."
Der Kämmerer schätzt, dass derzeit zwei von drei Brandenburger Kommunen Probleme haben, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen.
Experte befürchtet Lücken in den Haushalten
Thorsten Ingo Schmidt, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam, sieht die Städte und Gemeinden vor großen Schwierigkeiten – und dies nicht nur wegen der zu erwarteten Steigerungen bei den Personalkosten.
Denn es seien mehr Arbeitslose und damit höhere Sozialausgaben zu erwarten, sagt Schmidt. Auch die Einnahmenseite bereitet dem Kommunalexperten Sorgen – zum Beispiel die für Städte und Gemeinden überlebenswichtige Gewerbesteuer: "Die Gewerbesteuereinnahmen orientieren sich nicht am Umsatz, sondern am Gewinn der Unternehmen", sagt Schmidt. "Ich vermute, sie werden leicht fallen."
Die Grundsteuer – auch eine wichtige Einnahmequelle der Kommunen – steige nicht mit der Inflation. Daraus seien also keine Zusatzeinnahmen zu erwarten, so Schmidt.
Die Beschäftigten, die demnächst mehr Geld bekommen, müssen zwar auch mehr Einkommensteuer bezahlen. Und davon bekommen die Kommunen einen Anteil, also perspektivisch eine höhere Summe. "Aber das kann ja erst nach den nächsten Lohnrunden der Fall sein – und nicht schon jetzt", betont der Professor.
Nur eine Steuerquelle sprudele üppig, so der Jurist, und das sei – wegen der Inflation - die Umsatzsteuer. Von diesen Einnahmen allerdings erhielten Bund und Länder den Löwenanteil.
"Es entsteht also eine Lücke, die nicht durch Kredite geschlossen werden kann, das ist den Kommunen für laufende Ausgaben untersagt." Deshalb fürchtet Schmidt für den Fall, dass die Gewerkschaften ihr Ziel erreichen, schwere Zeiten für die Kommunen: "Investitionen werden verschoben oder gar nicht erst in Angriff genommen." Die Folge: "Investitionsstau und finanzielle Probleme in der Zukunft."
Gewerkschaft verweist auf Inflation
Knapp 120.000 Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst des Landes Brandenburg, so das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg, etwas weniger als die Hälfte davon bei Städten und Gemeinden.
Sie dürften die kommenden Tarifverhandlungen gespannt verfolgen. Andreas Splanemann, Sprecher des Verdi-Landesverbandes Berlin-Brandenburg, bekräftigt im rbb-Interview die Forderung: "10,5 Prozent mehr, mindestens jedoch 500 Euro monatlich, das Ganze über eine Laufzeit von zwölf Monaten." Ab dem 24. Januar wird in Potsdam verhandelt.
"Die 2,5 Millionen Beschäftigten, die bundesweit betroffen sind, sind zu einem großen Teil Bezieher von kleineren und mittleren Einkommen. sagt Splanemann. Sie treffe die Inflation besonders, etwa Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen, "und viele von ihnen arbeiten obendrein Teilzeit." Diese Menschen hätten sich in Krisen, etwa während der Pandemie, besonders bewährt. "Es sind viele systemrelevante Bereiche dabei."
Dass steigende Personalkosten Investitionen erschweren oder verhindern – wie Kämmerer Barz und Wissenschaftler Schmidt sagen – lässt Splanemann nicht gelten: "Für den riesigen Investitionsstau in den Kommunen können die Beschäftigten nichts."
Dass es harte Verhandlungen werden, davon zeigt sich Splanemann indes überzeugt: "Es ist viel Druck im Kessel." Der Gewerkschafter kündigt bereits Aktionen auch in Brandenburg an. Welche das sein könnten, sagte er bislang nicht.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 27.10.2022, 19:30 Uhr