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Quelle: dpa/Frank Hoermann

Überlastung im Lockdown

GEW bezeichnet Lage der Quereinsteiger als "dramatisch"

Quereinsteiger erleben das deutsche Bildungssystem in der Pandemie gleich doppelt intensiv: Einerseits als Lehrer, andererseits als Schüler. Denn während sie unterrichten, lernen sie berufsbegleitend den Lehrerberuf - ohne Corona-Erleichterungen. Von Sebastian Schöbel

Dass ihn sein neuer Job zu wenig auslastet, kann Quereinsteiger Mario* nun wirklich nicht behaupten: Er unterrichtet in Berlin als Grundschullehrer mehrere Klassen, natürlich alle im Distanzunterricht, mit gelegentlichem Einsatz an der Schule in der Notbetreuung.

Unterrichtsvorbereitung über die digitale Schul-Plattform für mehrere Jahrgänge, Videokonferenzen mit Schülern, Hausaufgabenkontrolle: "Ich arbeite morgens oder nachmittags vier bis fünf Stunden", sagt Mario. "Und dazu auf jeden Fall nochmal jeden Abend zwei bis drei Stunden." Die Menge an Arbeit habe sich auch wegen des Distanzunterrichts vervielfacht, sagt Mario, die Vor- und Nachbereitung beschäftige ihn täglich, "sieben Tage die Woche".

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Dabei habe er mit 13 Stunden Unterricht pro Woche bereits reduziert. Denn neben der Arbeit an der Schule macht Mario auch die Zusatzausbildung für Schul-Quereinsteiger: Eine Art Studium im Schnelldurchlauf, das in Berlin am sogenannten Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule (kurz StEPS) durchgeführt wird. Auf die erhöhte Belastung durch die Pandemie habe man sich dort allerdings nicht eingestellt, kritisiert der Jung-Lehrer: Zu seinen wöchentlichen Lehrveranstaltungen kommen drei Klausuren und vier Praxisarbeiten, die in den kommenden Wochen und Monaten anstehen. "Sichtbar geändert wurde am Curriculum nichts", sagt Mario. "Das ist ein hoher Druck, den viele Quereinsteiger verspüren: Wenn man die Prüfungen nicht besteht, ist man seinen Job los."

"Ich schätze die Situation der Quereinsteiger als dramatisch ein", sagt Tom Erdmann, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Für mich ist unverständlich, dass überall in den Schulen bei den Inhalten abgespeckt wird, und am StEPS drücken sie ihren Stiefel durch." Denn Geschichten wie die von Grundschullehrer Mario habe man bei der GEW zuletzt viele gehört, bestätigt Erdmann: Der Ton gegenüber den neuen Lehrerkräften sei zum Teil recht hart, manche würden sich mit dem Gedanken tragen abzubrechen. "Dabei brauchen wir die Kolleginnen und Kollegen dringend", sagt Erdmann.

Deswegen fordert die GEW, dass die Senatsverwaltung für Bildung den Lehrplan und die Prüfungsanforderungen bei den Quereinsteigern lockert. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) "muss alternative Prüfungsformate zulassen", so Erdmann. Dafür hätten die Quereinsteiger sogar schon Ideen vorgeschlagen. Es müsse in allen Bereichen geschaut werden, was wirklich nötig ist. Auch, wenn das Studium der Quereinsteiger bereits inhaltlich reduziert sei: Zur Not müsse eben auch auf Inhalte verzichtet werden. Die Berliner Bildungsverwaltung könne das allein entscheiden, sagt Erdmann. Und er suche dabei gar nicht den politischen Konflikt: "Bei aller Kritik: Bei den Quereinsteigern sind uns zusammen mit der Bildungsverwaltung in den vergangenen Jahren schon viele Verbesserungen gelungen."

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Unverständlich findet Erdmann allerdings, dass noch bis Ende Dezember Präsenzveranstaltungen in den beengten Räumen des StEPS durchgeführt wurden – in einem Hinterhofgebäude in der Georgenstraße, mit engen Gängen, niedrigen Decken und nur einem einzigen Großraumaufzug. Bereits Anfang 2020 hatte die GEW die beengten Verhältnisse im StEPS kritisiert. Dass Quereinsteiger dort noch in immer wieder neuen Gruppenzusammensetzungen unterrichtet wurden, als ihre Schüler schon im Fernunterricht waren, bezeichnet Erdmann als groben Fehler. "Es ist jetzt keine Heldentat, sich zur Arbeit zu schleppen."

Die Senatsverwaltung für Bildung weist auf rbb-Nachfrage darauf hin, dass seit Januar alle Lehrveranstaltungen des StEPS im Distanzunterricht laufen, mit Ausnahme eines naturwissenschaftlichen Praxiskurses. Lediglich Klausuren und andere Prüfungen würden noch vor Ort durchgeführt, so ein Sprecher der Bildungssenatorin. "Es ist nach allem, was wir wissen, bisher zu keiner Virus-Übertragung innerhalb des StEPS gekommen."

Bildungsverwaltung spricht von "invividueller" Belastung

Die Zusatzbelastung für die Quereinsteiger sei "sehr stark individuell geprägt", die Lehrkräfte würden dazu angehalten, auf die Belange einzugehen "und Entlastung zu schaffen". Eine pauschale Lösung sei aber nicht möglich, "da die Ausbildungsqualität flächendeckend gewährleistet werden muss".

Am Lehrplan werde derweil nichts verändert, so der Sprecher weiter. "Um den Quereinsteigenden den Zugang zu einem anerkennungsfähigen Lehramt zu ermöglichen, müssen sie nachweisen, dass die entsprechenden Fächer annähernd im erforderlichen Umfang studiert wurden."

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Viele Beschwerden am StEPS würden sich zudem auf den Fachbereich Mathematik konzentrieren, so die Bildungsverwaltung: Viele Quereinsteiger aus dem Grundschulbereich beklagen laut rbb-Informationen, dass sie Theorie büffeln müssen, die nie im Grundschulunterricht eine Rolle spielen würde – während die Didaktik zu kurz komme. "An den Universitäten berichten uns die Professoren und Professorinnen an den einschlägigen Lehrstühlen von genau der gleichen Diskussion mit ihren Studierenden", antwortet die Bildungsverwaltung. Deswegen überarbeite man gerade mit Fachwissenschaftlern, Didaktikern und Schulpraktikern die Studienordnungen. "Ich finde es im Übrigen bemerkenswert", so der Sprecher der Bildungsverwaltung, "dass diejenigen, die bislang noch keine oder nur sehr wenig Ahnung von Unterricht und vom Fach Mathematik haben, dennoch aber genau wissen, welches Wissen 'unnütz' ist."

Keine Kündigungswelle

Dass wegen der hohen Anforderungen viele Quereinsteiger frühzeitig aufgeben, könne man nicht bestätigen. "Nach Schätzungen liegt die Zahl der Kündigungen im einstelligen Bereich, maximal im unteren zweistelligen Bereich", heißt es aus der Verwaltung.

Grundschullehrer Mario denkt derweil nicht ans Aufhören, er wünscht sich einfach nur ein wenig Entgegenkommen bei der Arbeitsbelastung in der Ausbildung. "Weil wir versuchen, innerhalb eines Jahres ein Studium zu absolvieren, für das man normalerweise drei Jahre Zeit hat."

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