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Quelle: dpa/Christoph Soeder

Neue Corona-Regeln in Berlin

Die Notbremse ist tot, es lebe die Notbremse!

Fünfeinhalb Stunden lang beriet der Berliner Senat am Samstag, dann war klar: Die Corona-Notbremse, so wie sie Bund und Länder vor Wochen beschlossen hatten, spielt in der Hauptstadt keine Rolle mehr. Rot-Rot-Grün geht eigene Wege. Von Sabine Müller

Bislang lobte sich der Regierende Bürgermeister stolz dafür, dass sein Senat die Bund-Länder-Beschlüsse zu Corona eins zu eins umsetzt. Wenn er das plötzlich nicht mehr tut, dann muss er sich dafür eine gute Erklärung einfallen lassen: "Wir hätten es uns leicht machen können." So nennen Michael Müller (SPD) und seine Vize Ramona Pop (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) nun mit einer gewissen Abschätzigkeit das, was laut Bund-Länder-Beschluss in Berlin eigentlich hätte passieren müssen.

Denn die Hauptstadt verzeichnet seit Dienstag ständig Inzidenzen über der 100er-Marke und hätte damit die sogenannte Notbremse ziehen müssen, sprich: alle Lockerungen der vergangenen Wochen zurückdrehen. Kein Termin-Shopping im Einzelhandel mehr, keine geöffneten Museen und Kosmetikstudios, keine gelockerten Kontaktbeschränkungen.

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Notbremse 2.0

Dass Michael Müller diese Notbremse nicht wollte, war schon bei seiner Regierungserklärung am Donnerstag im Abgeordnetenhaus sehr deutlich geworden. "Ich glaube, dass es kein gangbarer Weg ist, jetzt wieder alles zurückzudrehen, was wir uns in den letzten Tagen und Wochen an Freiheiten und Möglichkeiten erkämpft haben," sagte Müller dort.

Deshalb einigte sich der Senat nun sozusagen auf eine Notbremse 2.0 - auf einen neuen, aber verantwortlichen Weg, wie Müller betonte, gestützt durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Dieser Weg sieht keinerlei Zurückdrehen von Lockerungen vor und nimmt nun vor allem die beruflichen und privaten Kontakte in den Blick.

Pflicht zu Homeoffice und Testangeboten

An die Arbeitswelt jenseits von Einzelhandel und Gastronomie hatte sich die Politik bisher kaum herangetraut, wenn es um Corona-Einschränkungen ging - das will der Senat nun ändern. Auf Berlins Unternehmen kommen deutliche Verschärfungen zu, denn der Senat geht über die bundesweite Regelung hinaus. Unternehmen werden nicht nur gebeten, sondern verpflichtet, ihren Beschäftigten mehr Home-Office anzubieten.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) sagte, Unternehmen dürften maximal 50 Prozent der Bildschirmarbeitsplätze besetzen, die Liste mit Ausnahmen werde relativ kurz sein. Außerdem sind Unternehmen verpflichtet, ihren Beschäftigten zwei Mal pro Woche einen Corona-Test anzubieten. Eine Pflicht für die Beschäftigten, den Test auch tatsächlich zu machen, gibt es nicht.

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IHK und CDU kritisieren Home-Office-Pflicht

Die Reaktion der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Berlin kam prompt: Sie bezweifelt, dass eine 50-Prozent-Präsenz in Firmen einen wesentlichen Beitrag zu Pandemie-Bekämpfung leistet und beklagt die zusätzliche Belastung der Betriebe. Es stelle sich die Frage, wie die 50-Prozent-Regel umgesetzt werden soll, kritisierte IHK-Präsidentin Beatrice Kramm, wenn in einem Betrieb mehr als die Hälfte der Beschäftigten das Home-Office-Angebot ablehnen sollte.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, kritisierte gegenüber dem rbb, der Senat verlange von Unternehmen, was die Stadt selbst als Arbeitgeber nicht umsetzen könne. Denn die Berliner Verwaltung sei nur zu einem sehr kleinen Teil Home-Office-fähig.

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Appelle und Bitten

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sprach aus, was wohl viele Berliner*innen denken: "Nach einem Jahr Corona haben wir alle den Kanal voll." Im Privatbereich werden deshalb keine Regelungen verschärft. Es bleibt dabei, dass sich weiter zwei Haushalte mit maximal fünf Personen treffen dürfen, Kinder unter 14 Jahre nicht mitgezählt.

Allerdings appellierten Michael Müller, Ramona Pop und Klaus Lederer eindringlich an die Bürger*innen, die Osterferien zu nutzen, um Kontakte im privaten wie im öffentlichen Bereich auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Teilweise wirkte es fast hilflos, wie die drei Bürgermeister die Menschen inständig darum baten, die Osterruhe einzuhalten, sich vor privaten Treffen testen zu lassen und es nicht absurd zu finden, auch im Privatbereich FFP2-Maske zu tragen.

Shoppen und Museum mit Test und FFP2-Maske

Offen lassen, aber absichern: Mit dieser Devise geht der Senat an die Bereiche ran, in denen zuletzt gelockert wurde. Der Einzelhandel bleibt geöffnet, von Mittwoch an ist aber ein negativer Corona-Test Voraussetzung, um shoppen zu gehen. Ein Termin ist dann nicht mehr nötig. Ausgenommen von der Regelung sind Supermärkte, Apotheken oder Drogerien - also Orte der Grundversorgung. Auch in Friseursalons, Kosmetikstudios und bei anderen körpernahen Dienstleistungen ist ein negatives Testergebnis Zugangsvoraussetzung, ebenso in Museen und Galerien.

Die Masken-Pflicht wird verschärft: In Geschäften und auch im ÖPNV gilt ab Mittwoch: Es muss eine FFP2-Maske getragen werden. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg reagiert erfreut auf die Beschlüsse. Sie seien Ausdruck eines nachdenklichen Umgangs mit diesen schwierigen Zeiten, sagte Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen dem rbb.

Berlin begibt sich auf seinen eigenen Weg

Kritik an den Senatsbeschlüssen kommt aus den eigenen Reihen. Der SPD-Gesundheitsexperte Thomas Isenberg, der vor der Sitzung für eine harte Notbremse plädiert hatte, beklagte, die Öffnungen fürs Shoppen und körpernahe Dienstleistungen hätten zurückgedreht werden müssen.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wies solche Kritik zurück: "Ich kann nicht versprechen, ob wir es heute hundertprozentig gut gemacht haben," sagte Müller - aber der Senat habe getan, was von Politik erwartet werde: nämlich wissenschaftliche Beratung und die Erfahrungen der letzten Monate ernst zu nehmen und das gesamte zur Verfügung stehende Spektrum zu nutzen, um Menschen zu schützen.

Nach ausführlichen Beratungen hat sich der Senat nun für seinen eigenen Berliner Weg entschieden. Wie lange er den gehen kann, ist allerdings fraglich. Denn schon ist angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen von einem weiteren Treffen von Bund und Ländern Anfang der Woche die Rede und von einem möglichen harten Lockdown. Dass ein solcher nötig sein könnte, wollte Michael Müller nicht ausschließen.

Die Kommentarfunktion wurde am 28.03.2021 um 17:58 Uhr geschlossen.

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Sendung: Inforadio, 28.03.2021, 06:30 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

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