Analyse | Hertha-Pleite auf Schalke - Ein Gesamtkunstwerk des Grauens

Sa 15.04.23 | 10:42 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Enttäuschte Hertha-Spieler nach der deutlichen Pleite auf Schalke (Quelle: IMAGO / Nordphoto)
Bild: IMAGO / Nordphoto

Mit einem desolaten Auftritt hat sich Hertha dem FC Schalke 04 zum Fraß vorgeworfen. Die 2:5-Niederlage gegen den Tabellenletzten hat jede Hoffnung genommen, die Klasse zu halten – und vermutlich Trainer Schwarz den Job gekostet. Von Marc Schwitzky

Armutszeugnis, Bankrotterklärung, Totalausfall, Zusammenbruch – die deutsche Sprache birgt viele Möglichkeiten, das zu beschreiben, was Fußball-Bundesligist Hertha BSC am Freitagabend auf Schalke abgeliefert hat. Und all diese Begriffe wirken doch nur wie Floskeln, denn schon zu oft mussten sie als Beschreibung der Berliner Auftritte herhalten. Das Vokabular ist nach vier Jahren im Abstiegskampf aufgebraucht und macht es der schreibenden Zunft immer schwieriger, die Situation von Hertha neuartig festzuhalten.

Mittlerweile lässt sich die Ästhetik der jahrelangen sportlichen Krise des Vereins nur noch mit der eines barocken Gemäldes vergleichen, das Qualen der Menschheit visualisiert. Egal wohin der Blick geht: ein schwarzer, tiefer Hintergrund; langgezogene Gesichter, gezeichnet von Schmerz, Trauer und Horror; keine Farbkleckse der Freude, nur kalte Trostlosigkeit.

Hertha im April 2023 ist ein Gesamtkunstwerk des Grauens – und die 2:5-Niederlage gegen den FC Schalke 04 ist womöglich der letzte Pinselstrich.

Hertha war der Bedeutung des Spiels nicht gewachsen

Die Ausgangslage vor der Partie war so klar wie dramatisch: Schalke gegen Hertha, Tabellen-Schlusslicht gegen den Vorletzten, 21 gegen 22 Punkte, das schwächste Heim-Team gegen die schlechteste Auswärtsmannschaft der Liga – dazu der Druck, den 28. Spieltag am Freitag im Einzelspiel vor den Augen der gesamten Liga zu eröffnen. Fressen oder gefressen werden. Schalke-Torhüter Ralf Fährmann sprach im Vorfeld von einem "Finale". Es war eine auf die Spitze getriebene Dramaturgie, welche die Spielplan-Erstellenden der Bundesliga sicher frohlocken ließ.

Wer die Bedeutung des Spiels wirklich verinnerlicht hatte, wurde von der ersten Spielminute an ersichtlich. Es hatte keine drei Minuten gebraucht, bis der Ball das erste Mal im Tornetz landete. Schalkes Tim Skarke durfte samt Ball nahezu unbedrängt bis vor den Berliner Strafraum laufen, denn niemand bei Hertha fühlte sich für den Zweikampf verantwortlich. Dass Skarke die Kugel anschließend unhaltbar an den Querbalken setzte, von wo aus sie ins Tor knallte, mag besonderes Pech sein, wurde aber von Herthas miserablem Abwehrverhalten erst ermöglicht.

Kollektives Abwehrversagen zu Beginn

Gerade als sich Hertha scheinbar geschüttelt hatte und ein paar Mal selbst vor das gegnerische Tor kam, setzte es bereits das 0:2. Erneut erfolgte der Gegentreffer aus einem kollektiven Abwehrversagen, das auf Bundesliga-Niveau nicht zu erklären ist. Flügel schließen, klare Manndeckung im Strafraum – Anweisungen, die es bereits in der Kreisliga gibt, wurden in der 13. Minute von Herthas Verteidigern sträflich ignoriert und so hatte Marius Bülter nach Flanke von Skarke leichtes Spiel. Bevor die Partie wirklich begonnen hatte, war sie aus Hertha-Sicht auch schon wieder vorbei.

Es war eine erste Halbzeit zum Vergessen. Hertha vermochte es nicht, das einfachste Mittel des Fußballs – lange Bälle auf Wandspieler Simon Terodde, der sie festmacht und auf Außen weiterleitet – in den Griff zu bekommen. Schalke hatte am Freitagabend eine Passquote von 64 Prozent, knapp 40 Prozent der Pässe waren lange Bälle, im Spiel nach vorne gab es genau ein Stilmittel und defensiv immer wieder Unzulänglichkeiten. Dennoch: In einer Partie auf gruseligem Niveau war Hertha trotz ein paar brauchbarer Tor-Chancen noch die unterlegene Mannschaft.

Es braucht nicht einmal einen Totalausfall

Vermutlich ist die bitterste Erkenntnis, dass die erste Halbzeit der Begegnung im durchschnittlichen Leistungsvermögen Herthas nicht einmal einen Totalausfall darstellte. Frühe Gegentore, desolates Abwehrverhalten, Kontrollverlust im zentralen Mittelfeld, offensiv die verzweifelte Hoffnung, dass Dodi Lukebakio ein Geniestreich gelingt, ein individuell herausragender Moment von Stevan Jovetic zum Anschlusstreffer – all das ist Hertha BSC eigentlich schon seit Jahren, aber vor allem in der Saison 2022/23. Die vernichtende Analyse ist, dass eine weitestgehend durchschnittliche Halbzeitleistung Herthas mittlerweile nicht einmal mehr für den FC Schalke 04 reicht, der selbst viele fußballerische Aspekte erschreckend schlecht umsetzt.

Der tatsächliche Zusammenbruch der Mannschaft ereignete sich erst im zweiten Durchgang und nahm zum Schluss dramatische Züge an. Nach gerade einmal zwei Minuten kassierte Hertha das 3:1, erneut machten die Hauptstädter es den Hausherren denkbar einfach, erneut nahmen sie sich selbst ein mögliches Momentum. Schließlich fehlte zuvor nur ein Tor zum Ausgleich und Schalkes Abwehr präsentierte sich ebenfalls nicht sattelfest. Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel entschieden, denn Schalke ging nun darin auf, jeglichen Rhythmus zu brechen und Hertha in keinen Spielfluss mehr kommen zu lassen. Die letzte halbe Stunde war geprägt von Chaos, Verunsicherung, Fouls, unerklärlichen individuellen Fehlern und Herthas ideenlosen langen Bällen in die Gefahrenzone.

Schwarz vor dem Aus

Die drei noch folgenden Tore des Spiels zum 5:2-Endstand änderten nichts mehr an den Kräfteverhältnissen, sondern verdeutlichten nur den Eindruck, dass Hertha durchaus Möglichkeiten gehabt hätte, Schalke wehzutun (der Konter zum zwischenzeitlichen 4:2 war hervorragend gespielt), die vogelwilde Abwehrleistung allerdings jede Chance auf ein gutes Ergebnis verhinderte. Insgesamt steht ein völlig unwürdiger Auftritt zu Buche, der Hertha nach 28 Spieltagen die rote Laterne der Bundesliga verdient übernehmen lässt.

Die enttäuschende Niederlage wird wohl das Ende von Trainer Sandro Schwarz sein. Zu wenige Punkte in der spielerisch ordentlichen Hinrunde, ein unerklärlicher Leistungseinbruch zu Jahresbeginn, Systemwechsel, die Hereinnahme von Feuerwehrspieler Kevin-Prince Boateng – Schwarz wirkt in seinen Analysen, die trotz ihrer Sachlichkeit allmählich immer mehr in Floskeln ausfransen, allmählich ratlos. Er scheint alles probiert zu haben, nichts hat über einen längeren Zeitraum echte Wirkung gezeigt. Ein heruntergewirtschafteter, schief zusammengestellter, demoralisierter Kader und ein äußerst exzentrischer Verein scheinen den nächsten Trainer verdaut zu haben.

Sportdirektor Benjamin Weber vermied nach dem Schlusspfiff ein Bekenntnis zu Schwarz. Vor dem kommenden Spiel gegen Werder Bremen wird Hertha wohl die Reißleine ziehen und Schwarz ersetzen. Sechs Spieltage vor Schluss gehört auch zur Wahrheit, dass der Relegationsplatz nur wenige Punkte entfernt ist. Eine Situation, in der ein Verein alles versuchen muss. Wer Schwarz‘ Nachfolger wird und wie der hoffnungslosen Mannschaft noch der berüchtigte "Impuls" zum Klassenerhalt gegeben werden soll, ist unklar. Nur eins steht fest: Der Trainerstuhl bei Hertha BSC bleibt maximal unbequem.

Sendung: rbb24|Inforadio, 15.04.2023, 10:15 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

71 Kommentare

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  1. 71.

    Es ist eigentlich alles gesagt, diese Truppe gehört nicht in die 1. Liga. Und das der P. Dardai sich das zum wiederholten Mal antun will, Respekt! Aber diesmal wird er es nicht schaffen , da bin ich überzeugt. Und ein eigenes Stadion können die sich jetzt auch abschminken. Man nehmt Euch endlich ein Beispiel an den Rot/ Weißen. Die verlieren auch mal , stehen dann aber wieder auf!

  2. 70.

    Ich habe es schon vor Wochen prophezeit.
    Erst kommt der Abstieg und dann die Insolvenz…..
    Oder glaubt tatsächlich jemand, dass dieser aus nicht fähigen Leuten geführte Verein noch weiterhin finanziert wird. Hertha ist und bleibt seit etlichen Jahren ein Groschengrab.

  3. 69.

    Rausgeworfen, wiedergekommen, rausgeworfen, wiederkommen? Zeugt von Charakter.
    Aber, da passt er eben gut zum BCC777.
    Vielleicht aber der, der "sich in der Form seines Lebens befindet" und den BCC schon einmal vor den Abstieg bewahrte, weil er dem damaligen Trainer Magath sagte, "wo es lang geht", das Training. 120 Gelbe Karten und 17 Rote in seinem Fußballleben, zeugen von Ahnung und prädestiniert ihn.

  4. 68.

    Dardai kommt, er springt über seinen Schatten, Respekt
    Ich denke an seine Entlassung und muss sagen Hut ab vor seiner Zusage, denn ich hätte diesen Schritt nicht gemacht

  5. 66.

    Einmal Hertha immer Hertha!

  6. 65.

    Seit frühester Kindheit bin ich als herthafan "erzogen " worden, aber diese Spielart seit Jahren, ist kaum mehr zu ertragen. In den letzten Jahren wurden Spieler gekauft, die nicht in eine komplette Mannschaft passen, Trainer geholt die keine Besserung brachten. In meinen Augen eine verfehlte Vereinspolitik und mangelnder Einsatz und Willen von hochbezahlten Spielern. Der Absturz erfolgt leider zu recht.

  7. 64.

    Mehrmals pro Woche bin ich auf dem Olympiagelände Zeugin, wenn sich Bestandteile des "barocken Gemäldes" Richtung Trainingsplatz bewegen: latschen quer durch die Grünanlagen, treten Heckenpflanzen platt, hinterlassen mit ihren Töppen Dreck en masse auf den Gehwegen. Der Steuerzahler zahlt es ja, wenn die Grünanlagen ausgebessert oder erneuert werden müssen.
    Ich weiß, das ist nur Kleinkram, aber Haltung fängt im Kleinen an.

  8. 63.

    Welche Profis meinen Sie?
    KkK? Lars Windhorst? Fredi Bobic? Otto Rehagel?
    Die waren in den letzten 10 Jahren alle Teil des Problems, wie übrigens auch die sog. Fans ("Platzsturm Relegation", "Trikot-Ablage").
    Ein Flugzeug stürzt nicht ab, weil ein Teil defekt ist oder der Pilot einen Fehler macht.
    Über den Blick zurück können sich die Verantwortlichen gerne im Sommer Gedanken machen.
    Jetzt hilft nur der Blick nach vorne: eigene Identität erarbeiten & Leidenschaft entwickeln!

  9. 62.

    Naja, das musste ja schief gehen. 4 Tore für Schalke durch Alt-Unioner und dann tritt Hertha auch noch in Rot-Weiss an... Auswärtstrikots, ich weiß. Glück Auf!

  10. 61.

    Das erinnert mich an die Zeiten mit Preetz oder Bobic, wo sich die BCC-Oberen klammerte, klammerte und klammerte, bis sie endlich rausgeworfen wurden. Auch jetzt wird an einem Verlierer geklammert. Ich wette ein Moskower Eis, das der Loser auch beim nächsten Spiel an der Seitenlinie steht.
    So ist eben der BCC777, hält gerne an Verlierer und Versagern fest. Ein Niveau, dass einem Kreisklasse-Verein alle Ehre reicht und nicht einem Big City Club, den ALLE Berliner lieben, bei dem die Chefetage der Traum, trotz Abstiegsplatz, von der Deutschen Meisterschft in diesem Jahr noch lebt. Letztlich ist der BCC777 das Spiegelbild von Berlin: Fremdfinanzierte Arroganz, Selbstverliebt, von Unfähigen regiert.
    Nur ein radikaler Schnitt, wie jetzt in Berlin, kann da noch helfen, sonst verkommt es zur Lachnummer.

  11. 60.

    Absolut auch meine Meinung. Und nicht immer nur hat der Trainer versagt.

  12. 59.

    Diese Herta will auch noch ein eigenes Station haben?
    Wofür eigentlich und woher soll das Geld kommen? Den teuren Fussballtretern reicht ein Bolzplatz.

  13. 58.

    Das Wort „erwärmen“ ist schon allein ein Beweis für die sportliche Tugend der Charlottenburger. Ich gehe gleich mal raus in den Garten und mache darauf einen „Scharlottenburger“ ! HaHoHe
    Heute gewinnt Sparta und spielt dann um den DFB Pokal. Das ist wenigstens spannend!

  14. 57.

    Meiner Meinung nach müsste Hertha schon lange in Liga2 spielen. Aber die bekommen ja noch Geld für das Schlamassel. Ein Abstieg ist überfällig! Das ändert auch kein Matthias Degner.

  15. 56.

    Neuanfang wie so oft gelabert. Nicht mit diesem Vorstand diese Amateure. Bernstein der möchtegern Präsident, gruselig. Da müssen Profis ran um den Verein zu konsolidieren. Bernstein kann sich wieder seiner Firma widmen oder glaubt er allen ernstes das er über die Hintertür bezahlt wird. Das ist ein Ehrenamt.

  16. 55.

    Weil jeder besser als Schwarz ist wird sich keiner diesen Trümmerhaufen Hertha BSC Berlin antun
    Was soll ein Spitzentrainer mit dieser Mannschaft anfangen ??
    Die ist lediglich Drittligatauglich , und das auch nur unterster Durchschnitt
    Da würde selbst Kloppo nichts erreichen

  17. 54.

    Hertha ist schon so oft abgestiegen. Und immer war die Rede vom Neuanfang. Die Geschäftsführer sollten endlich mal wie Profis arbeiten. Und nicht wie ewig gestrige. Leute wie Bernstein haben keine Ahnung von dem Geschäft. Es geht nicht um Identität. Es geht ums Geld verdienen. Und dann kommt die Identität von alleine. Hertha hatte die Chance. Hat sie aber durch katastrophale Fehlentscheidungen in der Trainer und Spieler Frage vertan. Es gibt aber auch niemanden der vorwärts denkt. Der Weitsicht

  18. 52.

    Als alter Unioner sage ich, das hört sich doch gut an. In guten wie in schlechten Zeiten, ein echter Fan hält zu seinem Verein. Hertha kann es noch schaffen, muss dann aber verdammt viel ändern. Gut wäre es, wenn die Herthaner diese Erfahrungen nicht vergessen und wenn es mal wieder besser läuft das hohe Ross im Stall lassen. Berlin ist blau und rot. Dabei soll es bleiben.

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