Cezary Lewicki von den Berlin Adlern - Football trotz Prothese
Durch einen Unfall verlor der Football-Spieler Cezary Lewicki ein halbes Bein. Doch dank seines Willens und der Technik kehrte er auf das Spielfeld zurück. Auch wenn sie ihn im Krankenhaus fast für verrückt erklärt hätten. Von Ilja Behnisch
Cezary Lewicki schrie, als er im Dezember 2014 aus der Narkose erwachte. Eigentlich erzählt er das nicht mehr so gern, der 39-Jährige. Manchen käme das zu kitschig vor. Denn Lewicki schrie nicht vor Schmerzen, oder aber, weil er den Verstand verloren hätte. Auch wenn das auf das anwesende Ärzte-Personal durchaus den Eindruck gemacht haben dürfte. Cezary Lewicki schrie Football-Spielzüge in sein Krankenzimmer.
"Fifty’s the Mike!", "Omaha" oder auch "Kill, Kill, Kill" rufen die Quarterbacks beim American Football schon einmal, um die kommenden Spielzüge anzusagen. Das kann zu Irritationen führen. Zum Glück war Lewickis Bruder bei ihm, als dieser nach einer Not-Operation wieder zu vollem Bewusstsein fand. Der Bruder wusste sofort: Cezary ist nicht verrückt. Cezary spielt Football. So wie immer.
Unter der U-Bahn "gemütlich gemacht"
Football Spielen war auch das Letzte, das er tat, bevor sich urplötzlich sein Leben veränderte. Lewicki war für die Spandau Bulldogs aktiv, hatte gerade das letzte Training des Jahres hinter sich gebracht, als er auf dem Heimweg ins Gleisbett einer Berliner U-Bahnstation fiel.
Dann habe er es sich "unter dem zweiten Waggon" einer einfahrenden Bahn "gemütlich gemacht", wie Lewicki mit dem Abstand von acht Jahren sagt. Ärzte und Experten erklärten ihm, wie so ein Unfall in der Regel ausgeht. Seither spricht er von einem "Glücksmoment" seines Lebens.
Nach dem Unfall, nach der Operation, habe er recht schnell verstanden, dass ein "normales Leben machbar" sei. Klar, "nicht optimal", sagt er. Immer mal wieder. "Nicht optimal." Aber er ist am Leben, kann am Leben teilnehmen.
Das Schlimmste, sagt Lewicki, sei gar nicht gewesen, ein halbes Bein zu verlieren. Das Schlimmste sei gewesen, ein ganzes Team zu verlieren. "Football is family", heißt es. Was tun, wenn der Alltag nach den zwei Trainings-Einheiten in der Woche und dem Spieltag am Wochenende ausgerichtet ist und plötzlich keine zwei Trainingseinheiten und keine Spieltage mehr da sind?
"Flags" statt Tackles
Für Lewicki war noch im Krankenhaus klar, dass er weiterhin Sport treiben müsse. Er dachte über Golf nach, der Schwung ähnele so ein bisschen der Wurfbewegung beim Football. Dann recherchierte er, ob er auch mit nur einem Bein noch Football spielen könnte. Es dauerte allerdings, bis er die richtige Prothese findet. Zudem wurde ihm klar, dass er selbst mit der besten Prothese nicht mehr mobil genug sein würde. "Du willst kein Handicap für dein Team sein", so Lewicki.
Ein ehemaliger Mitspieler erzählte ihm schließlich vom Flag-Football bei den Berliner Adlern. Flag-Football ist im Vergleich zum bekannteren Tackle-Football nahezu körperlos. Statt harten Zweikämpfen werden zumeist zwei der sogenannte "Flags" per Klettverbindung am Gürtel der Spieler befestigt. Wo eine "Flag" gezogen wird, ist der Spielzug beendet.
Lewicki war begeistert, wurde im vergangenen Jahr Quarterback der Variante "Fünf gegen Fünf" und spielt seither mit dem Team in der BBFL2, der zweiten Liga im deutschen Flag-Football.
Es sieht nicht immer rund aus — aber es geht
Da gilt er zwar als bunter Hund, wie er sagt. Tatsächlich aber ist der ganze Sport ein einziger bunter Hund, wenn man so will. Die Mannschaft spannt den Altersbogen von 17 bis 59. Männer und Frauen treten zusammen an. Sogar ein Ehepaar mischt in der Mannschaft mit.
Und mittendrin eben einer mit einer Prothese. Eine "Hightech-Prothese", wie Lewicki selbst sagt. Sie lässt sich per App bedienen, hat sogar einen "Football-Modus". So kann die Prothese ab einem gewissen Winkel "gesperrt" werden, also nicht mehr weiter abknicken, wenn Lewicki in die Knie gehen will.
Ohne diese Funktion würde er angesichts fehlender Beinmuskeln einfach durchsacken. Dank der Prothese gehe "so gut wie alles. Auch wenn es nicht immer rund aussieht."
Da die Kraft für die Würfe tatsächlich aus den Beinen kommt, sich Quarterbacks für ihre Pässe regelrecht in den Boden stemmen, Lewicki das aber nicht leisten kann, musste er seine Technik umstellen. Es habe eine Weile gedauert, mittlerweile aber funktioniere es ganz gut, sagt Lewicki.
Laufen darf der Quarterback beim Flag-Football nicht. Er muss also nur darauf achten, von keinem Gegenspieler erwischt zu werden. Lewickis Trainerin Susanne Laasch sagt: "Das kann er doch recht gut, da ist er sehr mobil drin. Er ist ein sehr athletischer Mensch, immer noch." Vor allem aber sei er ein Team-Player, einer, der das Team wieder nach "oben holt, wenn wir mal im Tief sind. Er ist sehr präsent. Ein Playmaker einfach."
Lewicki will "mit gutem Beispiel vorangehen"
Man merkt Lewicki die Dankbarkeit für sein Leben an. Dafür, dass es "nur" so ausgegangen ist, "dass es die Technik gibt, dass man ein möglichst normales Leben führen kann." Wer ihm zusieht beim Football Spielen, sieht einen besonders wachen, positiven Menschen. Einen, der "Let’s go" brüllt und es meint. Einen, der aus Erfahrung zu leben scheint, was andere nur auf Kalenderblättern stehen haben, nämlich dass das Leben kurz ist und jederzeit vorbei sein kann.
Damit Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleiden wie er, keine Zeit vergeuden, den Rest ihres neuen, anderen Lebens zu genießen, will Cezary Lewicki mit "gutem Beispiel vorangehen." Weil er damals, Ende 2014, Anfang 2015, nicht wusste, wie es weitergeht, will er zeigen, dass es weitergeht.
Eigens dafür hat er ein Instagram-Profil angelegt. Dabei mag er Instagram eigentlich nicht, wie er sagt. So aber könne er vorleben, "dass Reisen, Leben, Sport möglich ist". Auch nach dem Verlust eines Beins. Lewicki sagt: "Es haben mir auch schon Leute geschrieben. Sogar aus Brasilien. Und gefragt, wie man bestimmte Sachen macht im Alltag." Und vielleicht würde er sogar verraten, welcher Spielzug für ein Krankenzimmer geeignet ist.
Sendung: rbb24, 02.06.2023, 22 Uhr