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Audio: Antenne Brandenburg | 17.08.2022 | Lars Dettmann | Quelle: Patrick Pleul/dpa

Umweltkatastrophe in der Oder

Giftige Algenart soll das Fischsterben mit verursacht haben - Verband zweifelt

Noch immer gibt es nichts Definitives, was die Umweltkatastrophe in der Oder ausgelöst hat. Polen hat nach wie vor keine Messwerte veröffentlicht. Wissenschaftler sehen als eine der Hauptursachen eine Algenblüte. Der Fischereiverband widerspricht.

Die Ursache für das Fischsterben in Polen und Deutschland ist weiter unklar. Generell sei es die "Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagte der Chef des Landeslabors Berlin-Brandenburg, Mike Neumann, am Mittwoch. Deshalb könne man auch nicht sagen, ob und wann man etwas finden werde.

Zahlreiche Parameter seien bereits durchgescreent worden. Dabei konnte man beispielsweise Chlorphenole oder Mesitylen als Ursache des Fischsterbens ausschließen. "Es gibt bislang aber keinen Verdacht", unterstrich Neumann.

Generell dürfe sich das Landeslabor auch nicht zu etwaigen Funden und deren Bewertung äußern. Man sei Auftragnehmer des Brandenburger Landesumweltamts.

Neumann wollte sich auch nicht zur Algentheorie einlassen. Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei hatten eine bislang noch unbekannte giftige Algenart als eine Ursache für das massive Fischsterben in der Oder ins Spiel gebracht. "Wir sind keine Forschungseinrichtung. Daher können wir das mit den Algen nicht kommentieren", erklärte Neumann.

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Was das massive Fischsterben in der Oder verursacht hat, ist noch nicht klar. Erste Resultate aus Brandenburg lassen nicht auf eine Quecksilber-Vergiftung schließen. Derweil bringen Forscher eine giftige Algenart als Ursache ins Gespräch.

Forscher hatten die Vermutung geäußert, dass eine giftige Algenart (Prymnesium parvum) mit ein Grund für das massenhafte Fischsterben in der Oder seien könnten. "Die Art ist bekannt dafür, dass es gelegentlich zu Fischsterben kommt", sagte Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist das für den Gewässerökologen die wahrscheinlichste Ursache der Katastrophe, sagte er dem rbb.

Hoher Salzgehalt deutet auf weitere Ursachen

Demnach könnten sich die Algen unter hohen Temperaturen und bei relativ niedrigem Wasserstand an der oberen Oder in Polen massiv ausgebildet haben. Nach dem Öffnen der stromab folgenden Schleusen seien die vermutlich toxischen Algen die Oder hinuntergeflossen. Damit würde sich der hohe Sauerstoffgehalt trotz hoher Temperaturen erklären, sagte er. Völlig unklar ist nach Ansicht der Wissenschaftler jedoch, welche äußeren Umstände die vermutete Algenblüte ausgelöst haben könnten.

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Die Suche nach der Ursache für das Fischsterben in der Oder geht weiter. Das gefundene Quecksilber allein scheint nicht ursächlich zu sein. Der Vorfall in der Oder sei mittlerweile mit der Sandoz-Katastrophe von 1986 vergleichbar.

140 Tonnen tote Fische geborgen

Das Bundesumweltministerium schätzt die Menge der bislang in Deutschland gefundenen toten Fische auf etwa 36 Tonnen ein. Das teilte das Ministerium von Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch in Berufung auf Angaben von Helfern und Landkreisen in Brandenburg mit. Zuvor hatte es noch keine offiziellen Angaben zur Dimension der bislang entdeckten toten Fische auf deutscher Seite gegeben. In Polen hatte beispielsweise die Feuerwehr mitgeteilt, bislang fast hundert Tonnen toter Fische aus der Oder und einem kleineren Fluss geborgen zu haben. Zusammengerechnet sind es so fast 140 Tonnen.

Immer noch keine Resultate aus Polen

Zudem tappe die polnische Regierung bei der Ursachenforschung weiter im Dunklen. Man habe bislang keine giftigen Substanzen im Oderwasser gefunden. Es seien in den toten Fischen auch keine Pestizide festgestellt worden, so das polnische Umweltministerium weiter. Dennoch wird hier weiter vermutet, dass chemische Stoffe in den Fluss eingeleitet wurden.

Unterdessen teilte die polnische Staatsanwaltschaft mit, dass bislang 228 Zeugen angehört worden seien. Die Ermittler hätten zusammen mit Zeugen zudem zwölf Ortsbesichtigungen an unterschiedlichen Flussabschnitten vorgenommen, sagte Vize-Generalstaatsanwalt Krzysztof Sierak am Mittwoch. "Aus den bisherigen Aktivitäten geht nicht hervor, was die Ursache für das massive Fischsterben war."

Umweltkatastrophe in der Oder

Zwei schippernde Sachsen sind auf Oder-Spree-Kanal gefangen

Weil nach wie vor unklar ist, was das Fischsterben in der Oder verursacht, wurden auch Teile des Oder-Spree-Kanals gesperrt. Das stoppte auch zwei Ausflüger aus Sachsen. Die hängen jetzt in dem Kanal fest.

Verband bezweifelt Algentheorie

Die Brandenburger Landesregierung geht nach wie vor davon aus, dass das große Fischsterben in der Oder nicht nur natürliche Ursachen hat. "Das können wir getrost ausschließen, sonst würden sich die hohen PH-Werte und der erhöhte Sauerstoffgehalt und vieles andere mehr nicht erklären", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Mittwoch in Beelitz. Man wisse noch nicht, was passiert sei. "Wir wissen nur, es muss etwas passiert sein."

Woidke erneuerte zugleich seine Kritik an der Kommunikation mit der polnischen Seite. "Es ist Tatsache, dass sechs Tage, bevor bei uns Fische gestorben sind, Fische in Polen gestorben sind - und wir wurden nicht informiert." Daher sei er "tief enttäuscht" von der polnischen Regierung. Polen wäre auf Grund internationaler Verträge verpflichtet gewesen, frühzeitig zu informieren.

Der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Brandenburg/Berlin, Lars Dettmann, zeigte sich nicht überzeugt von der Algen-Theorie. Wenn man sich die Auswirkungen anschaue, falle es schwer zu glauben, dass ein alltäglicher Auslöser schuld sein solle. "Da hat irgendwer irgendwo entweder mit Vorsatz oder durch einen Unglücksfall Sachen eingeleitet in das Flusssystem, die sich ganz massiv auswirken." Das Algenwachstum könne lediglich eine weitere Folge dessen sein.

Fischsterben an polnischer Oder bereits deutlich früher

Derweil äußerte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) neue Kritik: In Polen seien bereits deutlich vor Ende Juli Fischsterben an der Oder bekannt gewesen, sagte er dem rbb am Mittwoch. So sei bereits am 14. Juli im polnischen Oppeln (Opole) ein Fischsterben gemeldet worden. Eine Woche später am 21. Juli wurde erneut in Oppeln ein Fischsterben gemeldet. In beiden Fällen hätten polnische Behörden diese nicht als Vorfälle von internationaler Tragweite eingestuft, so dass auf deutscher Seite niemand informiert worden sei.

Erneut eine Woche später, am 28. Juli, wurde ein drittes Fischsterben gemeldet, diesmal bei Breslau, das als Vorfall von internationaler Tragweite eingestuft wurde, jedoch ebenfalls nicht gemeldet worden sei. Dabei hätte es nach den Regeln der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (Ikso) gemeldet werden müssen, so der Umweltminister.

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In der Oder sind tausende Fische verendet. Die Umweltschäden sind massiv, die Folgen nicht absehbar. Wasserproben haben einen ungewöhnlich hohen Salzgehalt ergeben. Doch das ist wohl nicht die einzige Ursache.

Politische Schlammschlacht in Polen

Unterdessen wird die Umweltkatastrophe in Polen immer mehr zur politischen Schlammschlacht. Dass sie das Fischsterben zu lange ignoriert und zu spät reagiert hätten, das sind die Vorwürfe gegen die von der nationalkonservativen PiS-Partei geführten Regierung in Warschau und ihrer Behörden.

Der frühere Regierungschef Donald Tusk von der Bürgerplattform etwa vergleicht den Zustand der Fische in der oder mit dem der Regierungsarbeit. "Wir alle sind ein bisschen wie diese Fische in der Oder. Alles, was die von der Regierung berühren, endet in einer Katastrophe. Da sind Menschen an die Macht gekommen, die nur an ihr Geld und an ihren Einfluss denken, nicht aber an die Bürger, auch wenn unsere Umwelt, wenn Menschenleben und wenn die Gesundheit oder Sicherheit Polens bedroht sind", so Tusk.

Als Konsequenz aus der ökologischen Krise sollen nun die Strafen für Gewässerverunreinigungen erhöht werden. Das hat die Regierung jetzt vorgeschlagen. Außerdem mussten die Chefs der staatlichen Wasserwirtschaft und der zentralen Umweltschutzbehörde ihren Hut nehmen.

Polnische Grüne fordern Rücktritte von Wojewodschafts-Leitern

Wegen schlechten Krisenmanagements fordern die polnischen Grünen auch die Entlassung der Leiter der fünf Wojewodschaften, die an der Oder liegen. Sie werden nicht vom Volk gewählt, sondern von der Zentralregierung eingesetzt.

In Polen wird im Herbst 2023 ein neues Parlament gewählt. Deshalb läuft sich nicht nur die Opposition beim Oderthema warm für den Wahlkampf, sondern auch die regierende PiS-Partei. Ihre Befürchtung: Die Umweltkatastrophe und das zu späte Reagieren könnte ihr nun auf die Füße fallen. Deshalb sucht sie wenigstens nach einer Mitschuld in den Rathäusern und den vier Wojewodschaften-Parlamenten, in denen die Opposition dominiert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.08.2022, 16:20 Uhr

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