Hennigsdorf und Velten im Wandel - Zwischen Stahlschmelze und Reagenzglas

Do 26.05.22 | 18:29 Uhr | Von Karsten Zummack
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Archivbild: Eine Luftaufnahme des Technoparks in Hennigsdorf im Mai 2002 (Bild imago images/Günter Schneider)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.05.2022 | Karsten Zummack | Bild: imago images/Günter Schneider

Stahl, Eisenbahnwaggons, Chemie - Produkte wie diese haben eine lange Tradition am Wirtschaftsstandort Hennigsdorf und Velten. Aber auch hier ist der Wandel zwangsläufig in vollem Gang – die Region erfindet sich neu. Von Karsten Zummack

Wenn Unternehmer Torsten Ladwig über sein Firmengelände läuft, blickt er unwillkürlich auf die Überbleibsel der Hennigsdorfer Wirtschaftsgeschichte. Zwei große Schornsteine ragen noch immer weithin sichtbar aus dem alten Stahlwerk in den Himmel. "Hier können Sie auch die gesamte Lieferkette von Stahl verfolgen. Dort wird er hergestellt, hier wird er verarbeitet, da drüben ist der Schrottplatz", sagt der 60-jährige.

Ein Stück Hennigsdorf in weltweit jedem dritten Auto

In den Produktionshallen von Ladwigs Unternehmen ist es laut und hektisch. Aus allen Ecken kommt das typische Metall-Stanz-Geräusch. 16 Stanzen sind bei FSM Stamping werktags rund um die Uhr im Einsatz, die größte ist 15 Meter hoch und 30 Meter lang. Im Sekundentakt purzeln kleine Metallteile aus den Anlagen.

Die Produkte "Made in Hennigsdorf" sind für die Hausgeräte- und Bahntechnikindustrie bestimmt. Wichtigste Kunden sind aber die Autokonzerne. Das Unternehmen beliefert beispielsweise BMW, Daimler und Volkswagen mit Komponenten für Autositze und Türschlösser. "Jedes dritte Fahrzeug auf der Welt fährt mit Teilen aus diesem Hause", sagt Ladwig stolz.

Alles in allem stellt das Unternehmen jährlich etwa 200 Millionen Stanzteile her. Am Hauptsitz in Hennigsdorf beschäftigt FSM Stamping 200 Mitarbeiter, im havelländischen Nauen kommen weitere 100 hinzu. Die Geschäfte laufen gut. Allerdings sorgen die steigenden Material- und Energiekosten auch hier für zusätzliche Rechenaufgaben. Dass die Firma 2005 von Berlin nach Hennigsdorf gezogen ist, hat Geschäftsführer Torsten Ladwig nie bereut. "Das Allerwichtigste ist die gute Erreichbarkeit für die Kollegen", konstatiert der Unternehmer.

Erholt vom großen Nachwende-Abschwung

Hennigsdorf profitiert natürlich von seinem S-Bahn-Anschluss, künftig sollen die Züge aus Berlin sogar noch öfter hier im Speckgürtel halten. Auch die Autobahn ist relativ schnell erreichbar. All das hat die Stadt sicher auch schon früher als Wirtschaftsstandort aufgewertet.

Zu DDR-Zeiten beschäftigten allein das Stahl- und Walzwerk sowie der Volkseigene Betrieb LEW Lokomotivbau Elektrotechnische Werke "Hans Beimler" 17.000 Mitarbeiter. Nicht mal jeder sechste dieser Jobs ist in den beiden Nachfolgebetrieben Riva Stahl und Alstom übriggeblieben. Trotzdem zeigt sich Bürgermeister Thomas Günther, der selbst in Hennigsdorf geboren ist, zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung hier. "Es ist nach dem Niedergang in den 90er Jahren wieder was nachgekommen", sagt der SPD-Kommunalpolitiker.

In Hennigsdorf und der Nachbarstadt Velten, einst auch geprägt durch die Chemieindustrie, gibt es laut Günther mittlerweile 40.000 Einwohner und 16.000 Arbeitsplätze. "Es war so, dass wir relativ schnell neue Gewerbegebiete erschlossen haben", erklärt Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner (SPD) den Aufschwung. In ihrem Ort zählten in den vergangenen Jahren zum Beispiel der Bahntechnikhersteller Stadler, der Stadtmöblierer Wall sowie Tulip Cocoa zu den großen Aushängeschildern.

Veltens Schokoladenseite

Vor dem Produktionsrundgang gibt es hier erstmal eine Geruchsprobe. Tulip-Standortleiter Ronny Soyka öffnet nacheinander mehrere Gläser. "Das ist die Kakaobohne naturell, das ist die Kakaobohne geröstet", erklärt er. In dem Unternehmen dreht sich alles um Kakaobutter. Die wird angeliefert aus aller Welt und hier in Velten veredelt - oder aufgereinigt, wie es offiziell heißt. Das sorgt dafür, dass die Schokolade immer die gleiche Qualität hat. "Wir beliefern all die Schokoladenhersteller, deren Produkte sie im Supermarkt sehen", so Soyka.

In Velten gab es schon vor 1989 das Pflanzenfett-Kombinat. Bis 1997 wurden auf dem Tulip-Gelände die alten DDR-Margarinesorten Sonja, Marina und Sana hergestellt. Fünf Jahre später siedelte sich das niederländisch geführte Unternehmen hier an. Inzwischen beschäftigt es 35 Mitarbeiter. Für viele von ihnen ist es ein schweißtreibender Job. Denn die Verarbeitung der Kakaobutter erfordert hohe Temperaturen. "Wir brauchen 180 bis 190 Grad, sie muss auch warm gelagert werden", erklärt der Standortleiter. Und so steckt in vielen Schokoladentafeln im Handel auch ein Stück Velten.

Branche der Biotechnologie wächst besonders stark

Es sind keineswegs nur klassische Industrieunternehmen, die sich am traditionellen Wirtschaftsstandort angesiedelt haben. Vor allem der Bereich Biotechnologie spielt eine zunehmende Rolle in Hennigsdorf und Velten. Der für den Landkreis Oberhavel zuständige Clustermanager Andy Zajimovic beziffert die Zahl der Firmen aus dem Bereich Life Science auf 50, das würde mehr als 2.000 Jobs sichern.

Die ASKA Biotech ist eines dieser aufstrebenden Unternehmen, sie beschäftigt schon wenige Jahre nach ihrer Gründung 14 Mitarbeiter. In einem ehemaligen Autohaus hat sie zwei Flügel einer Etage angemietet. Teilweise sind die einzelnen Labore noch leer, in anderen wird schon eifrig geforscht und gearbeitet. Da inspizieren Mitarbeiterinnen mit Mikroskop Zellen. Das Unternehmen stellt im Kundenauftrag Antikörper her.

Die werden zum Beispiel für Schwangerschaftstests und Untersuchungen im Krankenhaus benötigt. Die Corona-Pandemie bescherte dem Hennigsdorfer StartUp zusätzliche Aufträge — für Schnelltests. "Tatsächlich war das ein ganz guter Anschub", räumt Geschäftsführerin Alexandra Rindermann ein. Sie hatte 2018 gemeinsam mit Anke Holzinger den alten Job geschmissen. Mit einem weiteren Geschäftspartner gründeten sie in Hennigsdorf das neue Unternehmen. In zwei oder drei Jahren will ASKA schwarze Zahlen schreiben.

Viel Zuversicht

"In der Life-Science-Branche werden quasi die Arbeitsplätze neu geschaffen, die in der Stahlindustrie wegfallen", sagt Clustermanager Andy Zajimovic. Natürlich klagen auch in Hennigsdorf und Velten Unternehmen über steigende Material- und Energiekosten, der Bahntechnikhersteller Alstom will kräftig Personal abbauen.

Trotzdem überwiegt auch beim Hennigsdorfer Bürgermeister die Zuversicht: "Da ist die große Hoffnung, dass auch das bewältigt werden kann", sagt Thomas Günther. Die Corona-Krise jedenfalls hätten die Unternehmen in der Region bereits ohne große Blessuren überstanden. Das macht Mut – für den einstigen Industriestandort nördlich von Berlin.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28. Mai 2022, 9:35 Uhr

Beitrag von Karsten Zummack

2 Kommentare

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  1. 2.

    Das hat ein "Clustermanager" gesagt...

    Wenn man nicht verstanden werden will, hat man auch nichts zu sagen....

  2. 1.

    "Life science" ........ was ist das?

    Und was kann ein Stahlarbeier damit anfangen?

    Manche Beiträge hinterlassen mehr Fragen als Antworten.

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