Moses Mendelssohn im Jüdischen Museum Berlin - Licht der Vernunft

Mi 13.04.22 | 12:45 Uhr | Von Maria Ossowski
Jüdisches Museum Berlin. Ausstellungsräume: „WIR TRÄUMTEN VON NICHTS ALS AUFKLÄRUNG“ Moses Mendelssohn (Quelle: Svea Pietschmann)
Audio: rbb|24 Inforadio | 13.04.2022 | Maria Ossowski | Bild: Svea Pietschmann

Das Jüdische Museum Berlin zeigt ab Donnerstag eine Ausstellung zum Leben Moses Mendelssohns. Die 350 Exponate offenbaren die ungeheure Modernität des Weltendenkers. "Wir träumten von nichts als Aufklärung" zeigt Mendelssohn erstaunlich vielfältig, findet Maria Ossowski.

 

Dieser Moment veränderte Berlin, Preußen und die Welt der Philosophie. Ein schwächlicher Junge, 14 Jahre alt, der auch noch stottert, betritt 1742 durch das Hallesche Tor die Stadt. Er ist seinem Rabbiner gefolgt, fünf Tage zu Fuß von Dessau aus war er unterwegs. Eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt er nicht, dafür die profundeste Bildung. Auf zwanzig Generationen jüdischer Gelehrter konnte seine Mutter zurückblicken.

Moses Mendelssohn brauchte das freie Berlin, und noch mehr brauchte die Stadt ihn.

Ab Donnerstag zeigt das Jüdische Museum Berlin eine Ausstellung zum Leben Mendelssohns. Die Kuratorin Inka Bertz erklärt dazu, dass er wahrscheinlich nur in Berlin, in dieser Zeit, in diesem Kairos, diesem glücklichen Augenblick, seine Wirkung entfalten konnte. "Die Gelehrtengesellschaft", so Bertz, "war sehr offen, denn es gab in Berlin keine Universität, stattdessen eine Bürgeraufklärung. Es gab keine beamteten Gelehrten, die das Denken überwachten. Der Hof war weit weg. Die Bürger organisierten sich in Gelehrtengesellschaften wie der Mittwochsgesellschaft".

Für den Mendelssohn-Experten und Kurator Thomas Lackmann ist es ein Wunder, welch kommunikative, dialogische Persönlichkeit Mendelssohn in den darauffolgenden Jahren entwickeln konnte. Das Talmudstudium sei die Basis für die dialogischen Fähigkeiten gewesen, auch für das Zuhören, das Einbeziehen anderer Meinungen in die eigene Urteilsfindung. Ein Rätsel aber würde es immer bleiben, aus welch inneren Kräften sich Mendelssohns Zuversicht speiste.

Jüdisches Museum Berlin. Ausstellungsräume: „WIR TRÄUMTEN VON NICHTS ALS AUFKLÄRUNG“ Moses Mendelssohn (Quelle: Svea Pietschmann)
| Bild: Svea Pietschmann

Restriktionen

Demütigende Restriktionen für Juden quälten im Alltag. Im General-Reglement Friedrichs des Großen für die Juden von 1750 ist auf einer Wandprojektion zu lesen: "Die überhandnehmende Vermehrung der Juden fügt den christlichen Kaufleuten ungemeinen Schaden zu. Außerordentliche Schutzjuden sind nicht befugt, ein Kind anzusetzen noch zu verheiraten. Die Juden sollen keine bürgerlichen Handwerke treiben."

Mendelssohn entging mancher Drangsalierung, weil er den ungeliebten Brotberuf des Seidenhändlers ausübte. Der berechtigte ihn, in Berlin zu leben, die Hamburger Kaufmannstochter Fromet Gugenheim zu heiraten und eine Familie zu gründen. Die Ausstellung zeigt aus dem sogenannte Judenporzellan der Familie einen hässlichen Affen. Juden mussten vom Staat Porzellan kaufen, um zu heiraten. Bei Moses Mendelssohns Heirat griff diese Schikane noch nicht, so Thomas Lackmann, später schon, bei den Mendelssohns wurde der Affe weitervererbt bis ins 20. Jahrhundert hinein.

Modernität

Das Leben Mendelssohns, seine Wirkung in seiner Zeit und sein Nachruhm werden in sieben Räumen mit 350 Exponaten präsentiert. Immer wieder beweist sich die ungeheure Modernität dieses Weltendenkers. Er träumte von der Aufklärung als Kraft der Vernunft. Diese Vernunft sollte ihr Gegenteil besiegen, die Schwärmerey.

Diese Schwärmerei, so Lackmann, würden wir heute Verschwörungstheorie oder Esoterik nennen. Mendelssohn formuliert dies so: "Wir träumten von nichts als Aufklärung, und glaubten durch das Licht der Vernunft die Gegend so aufgehellt zu haben, daß die Schwärmerey sich gewiß nicht mehr zeigen werde...Die Schwärmerey thut, und die Vernunft begnügt sich zu sprechen."

Die Vernunft hat nur ihre Worte. Die Schwärmerey, so Thomas Lackmann, jedoch organisiert sich in Zirkeln und wirbt um Anhänger. Momente, die wir im 21. Jahrhundert immer wieder erleben und auf die die Ausstellung niederschwellig und meinungsstark verweist.

Jüdisches Museum Berlin. Ausstellungsräume: „WIR TRÄUMTEN VON NICHTS ALS AUFKLÄRUNG“ Moses Mendelssohn (Quelle: Svea Pietschmann)
| Bild: Svea Pietschmann

"Jude von Berlin"

Der "Jude von Berlin", juif a berlin, blieb seiner Herkunft treu, ein Übertritt zum Christentum wäre ihm unmöglich gewesen. Die Religionen weiß er zwar als gleichberechtigt, aber sie bleiben für ihn unterschiedlich. Damit grenzt er sich ab von Nathan dem Weisen, jener literarischen Figur, mit der sein Freund Lessing Mendelssohn auf dem Theater unsterblich gemacht hat.

Mendelssohn war bis zu Einstein der wahrscheinlich am meisten abgebildete Jude in der Geschichte. Die Porträts von Anton Graff und Johann Christoph Frisch zeigen das wache, durchgeistigte Antlitz mit den warmen, dunklen Augen.

Wirkmächtig

Mendelssohn als Aufklärer, als Pädagoge, als Netzwerker, als Kunstkritiker, als Philosoph, als Vorbild von Lessings Nathan dem Weisen und als Idol – die Wirkmächtigkeit dieser Figur dokumentiert das Jüdische Museum erstaunlich vielfältig. Am Ende ist eine riesige Marmorgedenktafel, einem Original von 1829, zu sehen. Sie ist eine der frühesten Ehrungen für einen Bürgerlichen im öffentlichen Raum. Freunde ließen sie an seinem Haus in der Spandauer Straße anbringen.

Für Thomas Lackmann ist diese Tafel "der Hammer". "Selbst wenn es nicht die Gedenktafel für einen kleinen, buckligen Juden ohne Bürgerrechte wäre, würde man sagen 'Hoppla!' Für keinen Adligen, keinen General gibt es solch eine Riesentafel. Da haben sich die Verehrer, die Freunde und die Familie zu seinem hundertsten Geburtstag 1829 was Grandioses geleistet. Die Tafel hing bis zum Abriss des Hauses, dann um die Ecke, dann war sie verschollen, nach dem Krieg tauchte sie zerbrochen wieder auf. Aber immerhin, sie existiert, und es ist sogar noch ein ganz kleines bisschen Goldstaub drin in den Buchstaben".

Sendung: rbb|24 Inforadio, 13.04.2022, 15 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

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