Interview | Peter-Doherty-Retrospektive in Berlin - "Ich bin froh, dass das Bild noch existiert. Es hat überlebt, so wie ich"

Fr 09.09.22 | 12:57 Uhr
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Peter Doherty am 08.09.2022 in der Galerie "Janine Bean" (Quelle: Soeren Eberhardt-Biermann)
Video: rbb24 Abendschau | 08.09.2022 | Christian Titze | Bild: Soeren Eberhardt-Biermann

Peter Doherty gab besoffen Konzerte, demolierte Hotels, nahm (zu) viele Drogen. Der Rockmusiker malte auch Bilder, gern mit dem eigenen Blut als Farbe. In Berlin ist nun eine Retrospektive zu sehen. Christian Titze spürte im Interview immer noch Wahnsinn.

Peter Doherty schlappt mit Adiletten und in Shorts durch die Galerie Janine Bean in Berlin-Mitte. Graue Mähne, inzwischen Orson-Welles-Figur und doch hat er mit 43 Jahren noch immer etwas Bubenhaftes. Und der Musiker, der mit den Bands Libertines und Babyshambles bekannt wurde, wirkt ungewöhnlich sortiert. Den Skandal-Rocker hat er auf seine Reise nach Berlin nicht mitgenommen. Die Galerie Janine Bean zeigt erstmals eine Retrospektive des inzwischen augenscheinlich uneitlen Antistars, der auch gerne über seine Arbeit spricht.

rbb|24: Hallo Herr Doherty, wie geht es Ihnen jetzt gerade?

Peter Doherty: Jetzt gerade in diesem Moment? Es ist ein bisschen stickig. Wir kommen gerade aus Barcelona und davor waren wir auch unterwegs. Immer nur kurze Besuche und dann in Hotels abgestiegen. Und am nächsten Morgen wachst du im Flieger auf. Wir sind jetzt gerade vom Flughafen gekommen. Aber, ok, das ist jetzt einfach mein persönliches Ding. Weißt du, wenn du nicht duschen kannst und schwitzend im Flieger gesessen hast, das ist blöd. Aber insgesamt geht's mir eigentlich gut. Ich fühle mich wohl. Ich bin fast ein bisschen sentimental.

Es ist wirklich komisch, nach Berlin zu kommen, weil ich von europäischer Geschichte besessen bin. Ich lese gerade alles Mögliche, was ich über das 20. Jahrhundert in die Hände kriege. Wir hatten 'ne Menge Staus auf dem Weg hierher. Und dann sind wir am Reichstag vorbeigefahren, wo gerade einige Ukrainer protestiert haben, weil sie nicht wollen, dass noch irgendwelche Geschäfte mit Putin gemacht werden. Und dann war da das Schloss ...

... naja und außerdem mache ich mir gerade wahnsinnig viele Gedanken über Wasser. Ich finde es wahnsinnig interessant, dass der Rhein so austrocknet und die ganzen Frachtschiffe nicht mehr über den Fluss fahren können. Faszinierend. Ich habe nämlich herausgefunden, dass das vor ein paar hundert Jahren schon einmal passiert ist. Und jetzt, nach all dieser Zeit, ist es wieder so. Der Fluss gibt Steine mit uralten Inschriften frei. Damals haben sie geglaubt, der Teufel hätte das Wasser gestohlen.

Vielleicht hat er es ja jetzt wieder geklaut.

Ja, vielleicht.

Sie haben jetzt erstmals eine größere Retrospektive Ihrer Werke. Was bedeutet es Ihnen, dass die ausgerechnet in Berlin stattfindet?

Ich habe ehrlich gesagt gar nicht gewusst, dass ich heute so viele Interviews geben muss. Das haben die mir erst am Flughafen erzählt. Ich mache das natürlich gerne. Für mich ist das tatsächlich eine sehr persönliche Angelegenheit. Das ist meine Kunst. Viele der Arbeiten habe ich seit Jahren nicht gesehen. Ich dachte, sie wären längst verloren gegangen.

Als die Ausstellung fertig aufgebaut war, sollte ich sie mir angucken. Aber ich habe kein Handy, ich gehe im Moment nicht einmal online. Also konnte ich sie aus der Ferne nicht angucken. Es ist also emotional ziemlich bewegend, jetzt hier zu sein. Ich würde gern mehr Zeit mit den Bildern verbringen und sie einfach nur ansehen, weil sie ein Teil von mir sind.

Und sie sind hier und nicht verloren gegangen. Wissen Sie, "Union Jack in blood" - mir ist das ehrlich gesagt egal, ob das jemand kauft oder nicht. Ist mir wirklich egal. Ich bin froh, dass es noch existiert. Ich mag es sehr. Die Art, wie die Farbe sich über die Jahre immer mehr zu einem Braun verändert hat. Es ist ja mit meinem Blut gemalt. Ich erinnere mich, wie ich es gemacht habe. Viele andere sind weg. Zerstört oder verloren gegangen. Dieses hat überlebt, so wie ich.

Da ist wirklich viel Blut auf der Leinwand. Das bedeutet, dass ich an diesem Tag eine wirklich gute Vene gefunden haben muss.

Peter Doherty über sein Bild "Union Jack in Blood"

Erinnern Sie sich noch in welcher Stimmung Sie es gemalt haben?

Ich werde Sie nicht anlügen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie ich drauf war, als ich es gemalt habe, aber im Ernst, sie wollen doch eine ehrliche Antwort: Ich habe mich wahrscheinlich großartig gefühlt. Wollen Sie wissen warum? Da ist wirklich viel Blut auf der Leinwand, und das bedeutet, dass ich an diesem Tag eine wirklich gute Vene gefunden haben muss.

Es gibt ein Riesenproblem, wenn man ständig Drogen intravenös konsumiert: Irgendwann war kaum noch Blut in meinem Körper. Eine gute Vene zu finden, war ein Glücksfall. Körperlich war ich echt am Arsch. Ich habe so viele Jahre Heroin gespritzt, dass ich am Sterben war. Das muss also ein guter Tag gewesen sein, weil viel Blut aus mir herauskam, das ich zum Malen benutzen konnte. Vielleicht war es auch ein schlechter Tag. Kommt drauf an, wie man es sieht. Aber von meinem Standpunkt eines kreativen Fixers aus gesehen, war ich wohl in einer ziemlich guten Stimmung.

Sie leben jetzt seit vielen Jahren drogenfrei...

...ich nehme seit dem 22. Dezember 2019 weder Crack noch Heroin.

Welchen Einfluß hatten denn Drogen auf Ihre künstlerische Arbeit?

Ich glaube, egal in welche Richtung ich mich als Songwriter bewegt habe, hatten Drogen in vielerlei Hinsicht einen starken Effekt auf mich. Es ist eigentlich ganz banal. Sagen wir, Sie fahren auf der Autobahn und von hinten fährt Ihnen ein Laster rein. Wie wird sich das auf Ihre Reise auswirken? Vielleicht landen Sie dadurch aus irgendeinem komischen Grund im Wald. Vielleicht gehen Sie der Zivilisation verloren. Und irgendwie schaffen Sie es, im Wald zu überleben. Sie bauen sich sogar in einer Höhle ein kleines Zuhause und ernähren sich von selbstgefangenen Fischen, die Sie mit einem selbstgemachten Messer ausnehmen. Verstehen Sie? Oder Sie stellen sich an die Seite der Fahrbahn und warten auf den Abschleppdienst.

Ich habe gerade Ihr Buch "A Likely Lad" gelesen...

...dieses verdammte Buch.

Mögen Sie es nicht?

Doch. Schon. Es ist eben, was es ist.

Darin ist sehr gut beschrieben, wie sich gerade in der Anfangszeit Ihrer Suchtzeit Ihr Sozialleben verändert hat. Man macht wohl als Junkie einfach andere Erfahrungen mit anderen Menschen. Ich weiß, das ist eine gemeine Frage, aber vermissen Sie diese Art Sozialleben manchmal?

Vermisse ich das? (Doherty denkt eine halbe Minute nach) Ja, es gibt ein paar Leute, die ich gerne wiedersähe, aber es wäre für mich zu gefährlich, wieder mit Ihnen in Kontakt zu kommen. Ich glaube aber schon, dass die Energie, die zwischen uns war, nicht nur wegen der Drogen da gewesen ist.

Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Und wir werden einander verstehen, denn das geht in beide Richtungen. Mich haben früher auch Freunde hängen gelassen, weil sie clean geworden sind und keinen Umgang mehr haben wollten mit einem Junkie. Aus reinem Selbstschutz. Kann ich gut verstehen. So geht's mir jetzt.

Kommen wir zurück zu Ihrer Arbeit. Welche Verbindung gibt es zwischen Ihnen und der öffentlichen Figur Peter Doherty?

Die beiden sind unzertrennlich.

Verstehe. Woher schöpfen Sie denn Ihre Ideen?

Naja, eins meiner Lieblingsbücher ist "Brighton Rock" von Graham Greene. Ich habe es als Grundlage für zig Songs benutzt und immer wieder daraus geklaut. Ich habe über die Hauptfigur Pinky geschrieben seit ich 17 bin. Außerdem habe ich ihn immer wieder gezeichnet. Ich bin von der Figur besessen. Selbst dieses Jacket (Er zeigt auf sein schwarzes etwas abgewetztes Jacket) habe ich ausgewählt, weil ich mir vorstelle, das Pinky das getragen haben könnte. So ein bisschen abgewetzter Style. Aber eben Style.

Ich glaube auf jeden Fall, dass es noch ein Libertines-Album geben wird. Aber keine Ahnung, wie das klingen soll.

Peter Doherty

Wie haben Sie es geschafft, über einen langen Zeitraum fortwährend gute Songs zu schreiben?

Das ist eine wirklich schöne Frage. Ich mag diese Frage. Aber ich weiß es nicht. Ich habe einfach immer alles gegeben, um gute Songs zu schreiben. Als ich zum ersten Mal "The Smiths" hörte, war mir schnell klar, das ist genau mein Ding. Ich habe in diesen Stücken gelebt und natürlich denen einiger andere Bands.

Als ich jung war, wollte ich ihr Geheimnis ergründen, um dann mein eigenes Zeug zu machen. Irgendwann gingen mir und allen anderen die Smithsongs aus. Sie haben einfach keine neuen mehr geschrieben. Da war für mich klar, dass ich das jetzt selbst in die Hand nehmen muss.

Wie geht es Ihnen eigentlich mit dem Brexit?

Ich fühle mich irgendwie schuldig, dass ich mich seinerzeit nicht mehr dagegen engagiert habe. Ich hätte nie geglaubt, dass die wirklich 52 Prozent bekommen. Es kommt mir alles wie ein großer Schwindel vor. Wir waren ja nichtmal richtig in der EU. Wir hatte keinen Euro. Die Hälfte der Verträge haben wir nicht unterschrieben. Aber wir haben einiges bekommen. Und an erster Stelle konnte ich frei reisen. Die EU ist super. Ich hoffe, wir kehren wieder zurück. Auch wenn's 25 Jahre dauert. Aber ich lebe ja jetzt mit meiner Frau sowieso gerade in der Normandie.

Eine letzte Frage: Wann wird es ein neues Album der Libertines oder der Babyshambles geben?

Ja, gute Frage. Es gibt eine Menge Gerede über eine Babyshambles-Wiedervereinigung. Ich kann's mir nicht vorstellen. Ich wüsste nicht mal genau, wer in der Band sein sollte. Die Libertines sind ja seit 2015 auf einer nicht endenden Wiedervereinigungstour. Und jedes Jahr, wenn wir auf all den Festivals spielen, bekommen wir weniger Gage. Es geht hier wirklich nicht um die Kohle, aber für eine Babyshambles-Reunion werden teilweise aberwitzige Summen geboten. Wenn es wirklich schlecht läuft, könnte das also eine Option für mich sein.

Ich glaube aber auf jeden Fall, dass es noch ein Libertines-Album geben wird. Aber keine Ahnung, wie das klingen soll. Am 17. September werde ich mich mit Carl Barat in Jamaica treffen. Nach Frankreich wollte er nicht, weil er meint, dass sei mein Territorium. In England wollte er sich nicht treffen, weil er mir da nicht traut. Also nach Jamaica. Ein ruhiger, sicherer Ort. Habe ich gehört. War noch nie da. Wir werden sehen, was da passiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Christian Titze.

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.09.22, 19:30 Uhr

8 Kommentare

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  1. 8.

    Tja, aber was wäre die Welt ohne Promis (Kategorie egal), Politiker, Künstler, Kirchenleute, Ärzte, Weltverbesserer, Erfinder, Unternehmer. Ohne Oma Bräsig, Otto Normalo, dem Kleinkriminellen, der Umweltsau, vll. ohne ihres Nachbarn. Was würde dann in einer Depesche, Gazette, gar online, stehen? Vor allem - sie hätten nichts mehr zum Aufregen. Das ist dann echt zum "aus der Haut fahren" und, wer weiss, was wird aus Ihnen vll. mal.
    Prost.

  2. 7.

    Das haben Sie sehr schön geschrieben. Wie eigendlich jeden Ihrer Kommentare.
    Es gibt Interviews und Kommentare, in denen der Interviewte bzw. der Kommentierende etwas zu sagen hat, oder die, ohne Inhalt, wie die von Ihnen Angeführten, bzw, auch die von Ihnen.

  3. 6.

    Das sehe ich generell anders. Drogenjunkies und Alkoholikern sollte man keine Medienzeile widmen.

  4. 5.

    Weil es auch "solche" Typen gibt und es "Typen" gibt, die "solche" Typen mögen - eigentlich recht einfach.
    Es gibt ja auch Interviews mit den "Wildecker Herzlümmeln" oder "Haselnuss-Heino" - mag auch nicht jeder, diese "Typen".
    Wenn ich die Wahl hätte würde ich "Music When The Lights Go Out" allerdings eindeutig bevorzugen ... und die anderen Interviews einfach übersehen.

    War auch 'ne andere Zeit - da haben Kinder noch draussen gespielt.

  5. 4.

    Ein wenig aufgedunsen, der Künstler.
    Wie generell seine „Kunst“.

  6. 3.

    Aus welchem Grund muss man solchen Typen noch eine Offizielle Plattform bieten?

  7. 2.

    'es geht ihm gut auch wenn er runder wurde'? Was hat sein Gewicht mit der Ausstellung zu tun?

  8. 1.

    Cooles und reales Interview! Als ob man Pete Doherty selbst gegenüber steht. Vielen Dank

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