Zum Tod von Wolfgang Kohlhaase - Er erzählte von Menschen, die unsere Nachbarn hätten sein können

Mi 05.10.22 | 15:09 Uhr | Von Bernd Dreiocker
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: rbb24 Inforadio | 05.10.2022 | Bernd Dreiocker | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Werke wie "Solo Sunny" und "Sommer vorm Balkon" machten ihn berühmt: Der Drehbuchautor und Regisseur Wolfgang Kohlhaase war in der DDR genauso erfolgreich wie in der Bundesrepublik. Jetzt verstarb er mit 91 Jahren. Ein Nachruf von Bernd Dreiocker

Einige Filme von Wolfgang Kohlhaase lassen sich unter ein Thema stellen: Junge Frau, zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain, schlägt sich durchs Leben. Von "Solo Sunny" bis "Sommer vorm Balkon" hat er in seinen Drehbüchern immer wieder von Menschen erzählt, die unsere Nachbarn sein könnten. Und er hat so erzählt, dass genau diese Menschen auch zu seinen Zuschauern gehören, weil sie sich wiedererkennen. Kohlhaase war vor allem ein großer Beobachter.

"Man sieht etwas, man hört etwas, das macht sich fest im Gefühl oder in der Erinnerung. Manchmal merkt man sich Dinge, man verändert sich schon irgendeine Beobachtung", sagte Kohlhaase einmal in einem Interview. "Um sie sich zu merken, verändert man sie schon ein bisschen. Man verbessert sie, und damit gehört sie einem und ist nicht mehr das reine Material."

Jugend in der Nachkriegszeit

Dass Wolfgang Kohlhaase, der 1931 in Berlin geboren wurde, einmal Filme machen würde, wurde ihm nicht an der Wiege gesungen. Der Sohn eines Schlossers aus dem Industriebezirk Adlershof hat sich die Bücher, die er lesen wollte und zuhause nicht fand, überall geborgt. Als Kind schrieb er seinen ersten Kriminalroman und entdeckte dabei eine spielerische Lust am Aufschreiben. Einen Spaß am Erzählen. Ein Studium oder eine andere Ausbildung hat er nie gehabt. Seine Jugend fiel in die unmittelbare Nachkriegszeit.

Kohlhaase arbeitete zunächst bei einer Zeitung. "Dann war ich in einer Arbeitsgruppe, wo wir uns Filme ausgedacht haben. […] Es war ein so wunderbares Alter, und die Zeit war so offen für die Möglichkeit, sich vorzustellen, ich kann alles machen", erinnerte sich Kohlhaase über seine Anfänge. "Die Türen waren offen. An diese ersten drei, vier Jahre nach dem Krieg erinnere ich mich als großen Anfang, als große Freiheit in jeder Weise. Die Entdeckung der Welt, wenn man will."

Erstmals Co-Regisseur bei "Solo Sunny"

Wolfgang Kohlhaase entdeckte die Welt, den Alltag und das Lebensgefühl im östlichen Nachkriegs-Berlin gemeinsam mit dem Freund und Regisseur Gerhard Klein. Es entstanden sechs Filme, der letzte – "Berlin um die Ecke" - fiel der Kritik auf dem elften Plenum der SED zum Opfer. Kohlhaase widmete sich danach eine Zeit lang der Prosa und veröffentlichte später die vielgelobten Erzählungen "Silvester mit Balzac". Außerdem das international preisgekrönte Hörspiel "Die Grünstein-Variante", das Bernhard Wicki verfilmte. Die nächsten Filme entstanden mit Konrad Wolf. Bei "Solo Sunny" war Kohlhaase Drehbuchautor und erstmals Co-Regisseur.

"Das ist offensichtlich eine Geschichte, was einem nicht immer glückt, die das Lebensgefühl von damals getroffen hat, aber auch einen universalen Aspekt hat", so Kohlhaase über "Solo Sunny". "Es ist ja auch so ein Kinomuster. Mal abgesehen davon, dass in den Mustern dann auch die Realität steckt. Aber es ist das Mädchen, dass es besser verdient hätte. Das gibt's immer im Kino, und das haben die Leute immer gerne."

Kino geht besser mit Publikum, und gleichzeitig weiß man, ein Publikum soll man nicht belehren. Niemand will belehrt werden, aber keiner hat etwas dagegen, etwas zu erfahren im Kino.

Wolfgang Kohlhaase, Drehbuchautor und Reigisseur

Erfolge auch nach dem Mauerfall

Wolfgang Kohlhaase war nach 1990 einer der wenigen DEFA-Autoren, die weiterarbeiten konnten. Er beschloss auch für ein anderes, größeres Publikum bei dem zu bleiben, was ihn selbst interessierte, was schon immer sein Thema war. So verfasste er für Volker Schlöndorff das Buch "Die Stille nach dem Schuss" und die Vorlage für Andreas Dresens Erfolgsfilm "Sommer vorm Balkon", den viele symbolisch als den letzten DEFA-Film bezeichnen, eine Tradition, aus der beide Filmemacher hervorgingen.

"Es ist das Interesse an der Realität, die Neugier auf Menschen, eine Ästhetik, die nicht elitär ist, aber auch nicht das Beliebige machen will", sagte der Drehbuchautor. "Kino geht besser mit Publikum, und gleichzeitig weiß man, ein Publikum soll man nicht belehren. Niemand will belehrt werden, aber keiner hat etwas dagegen, etwas zu erfahren im Kino."

Die witzig lakonischen Dialoge von Wolfgang Kohlhaases Figuren und ihre differenziert und liebevoll gezeichneten Charaktere haben seinen Filmen immer wieder neue Zuschauer beschert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.10.2022, 12:00 Uhr

Das rbb Fernsehen sendet am Mittwochabend zum Tod von Wolfgang Kohlhaase um 22.15 Uhr das Porträt "Wolfgang Kohlhaase - Leben in Geschichten" und anschließend um 23.15 Uhr den Film "Als wir träumten"

Beitrag von Bernd Dreiocker

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