Monica-Bonvicini-Ausstellung in Berlin - Neue Nationalgalerie verwandelt sich in Sadomaso-Wohnzimmer
Handschellen, die an Stahlketten von der Decke hängen. Schaukeln, die den Raum mit metallischem Klirren füllen. Monica Bonvicini lässt die Neue Nationalgalerie in neuem Gewand erscheinen. Und Besucher können selbst Teil der Ausstellung werden. Von Marie Kaiser
Monica Bonvicini mag es gerne monumental. Gut 14 mal 14 Meter groß ist der Spiegel, den die Künstlerin vor den Eingang der Neuen Nationalgalerie gestellt hat. "I do You" – diese zweideutige Ansage prangt auf einer gigantischen Barrikade, die die Neue Nationalgalerie um einiges überragt. "Ich habe beobachtet, dass viele Leute, die reinkommen, erstmal nicht wissen wohin, sogar fragen, wo das Museum ist. Diese wahnsinnige Offenheit und Transparenz des Gebäudes machen vielen Angst. Weil man sich selbst sehen kann, erlaubt diese Spiegelfassade jedem einen großen Auftritt", erklärt Monica Bonvicini.
Die Neue Nationalgalerie von oben betrachten
Eines ist somit von Anfang an klar. Monica Bonvicini will sich den Mies-van-der-Rohe-Bau nicht freundlich aneignen; sie nimmt ihn mit großer Geste in Beschlag und lässt uns dieses so vertraute Gebäude mit neuen Augen sehen. Im Inneren der Neuen Nationalgalerie hat sie ein drei Meter hohes verspiegeltes Podest aufgebaut. "Upper floor" heißt diese Arbeit, die einen ganz neuen Blick auf die Ikone der Moderne erlaubt. Denn wer auf das Podest heraufsteigt, kann die neue Nationalgalerie von oben herab betrachten; sich selbst in diesem Gebäude, das auf viele zunächst einschüchternd wirkt, plötzlich riesengroß fühlen.
Sadomaso-Gemütlichkeit auf dem Podest
Auf dem fast 500 Quadratmeter großen Podest hat Bonvicini ein Wohnzimmer mit Sadomaso-Anklängen eingerichtet: Auf einem der mit Nieten und schwarzem Leder bezogenen Gartensessel können es sich die Besucherinnen und Besucher gemütlich machen. Oder sie setzen sich zu zweit in eine der "Chainswings", eine Schaukel aus verzinkten Stahlketten, die den Raum mit metallischem Klirren füllen. Der Boden ist komplett bedeckt mit einem Teppich, auf dem viele verschiedene zusammengeknüllte Hosen abgebildet sind.
Die Künstlerin hat in einer Art visuellem Tagebuch immer wieder ihre eigene achtlos hingeworfene Kleidung am Boden abfotografiert und daraus diesen sehr privaten Patchwork-Teppich zusammengestellt. Das wirkt wie eine Aufforderung, es mit der ehrfürchtigen Haltung gegenüber einer Institution wie der Neuen Nationalgalerie nicht ganz so ernst zu nehmen. "Ich weiß nicht, was Mies van der Rohe dazu gesagt hätte, das ist mir eigentlich auch egal. Aber diese Auseinandersetzung mit dem, was privat ist und dem, was öffentlich, war mir sehr wichtig", sagt Monica Bonvicini.
20 Handschellen baumeln an Stahlketten von der Decke
So ist es auch eine ganz private Entscheidung einer jeden Besucherin und eines jeden Besuchers, ob er oder sie selbst Teil eines Kunstwerks in der Neuen Nationalgalerie werden will. Für die Arbeit "You to Me" lässt Monica Bonvicini 20 Handschellen an Stahlketten von der Decke baumeln. Wer möchte, kann sich hier selbst für eine Mindestdauer von 30 Minuten anketten. Sich selbst in diesem gläsernen Bau wie in einer Vitrine exponieren und ganz in Ruhe über die eigene Rolle als Museumsbesucherinnen und -besucher nachdenken. "Eine Frau, die das ausprobiert hat, hat mir erzählt, dass sie selbst ganz überrascht war, dass sie sich "empowered" gefühlt hat, weil sie über die Stahlketten so eng mit dem Gebäude verbunden war", berichtet Monica Bonvicini.
Feminstin Bonvicini von feministischem Künstlerkollektiv angegangen
Das Gebäude von Mies van der Rohe verkörpert für Monica Bonvicini ein sehr männliches Architekturideal, dem sie mit Ihrer Ausstellung als dezidiert feministische Künstlerin etwas entgegensetzt.
In den Wochen vor der Eröffnung wurde Bonvicini selbst von einem feministischen Künstlerkollektiv angegangen. In einem offenen Brief forderte die anonyme Gruppe "Soup du Jour" die Künstlerin auf, sich deutlicher gegen ihren Galeristen Johann König zu positionieren und nicht zu den "Metoo-Vorwürfen" gegen ihn zu schweigen. "Die Zeit" hatte in einem Artikel über mehrere Frauen berichtet, die dem Galeristen sexuelle Belästigung vorwerfen. Ein Vorwurf, den Johann König abstreitet und gegen den er juristisch vorgegangen ist. Das Gericht hat ihm nach Angaben seines Rechtsanwaltes teilweise Recht gegeben.
"Manche Beziehungen sind geblieben. Manche eben nicht"
Mittlerweile wird Monica Bonvicini nicht mehr von der Galerie König vertreten. Auf die Gründe geht sie im Interview mit dem rbb nicht näher ein. "Ich bin seit 30 Jahren in Berlin. Manche Beziehungen sind geblieben. Manche eben nicht – ob Geschäftsbeziehungen oder Freundschaften. Das gehört einfach zum Leben", sagt die 57-Jährige dazu kurz und knapp.
Aber: War sie nicht erschüttert, dass gerade sie als "feministische Künstlerin" jetzt von einer neuen Generation von Feministinnen so angegriffen wurde? "Feminismus heißt auch Sisterhood und Sisterhood bedeutet auch, dass man andere Meinungen haben kann", sagt Bonvicini. "Und das ist auch eine Art, die Beziehung lebendig zu halten. Die Geschichte des Feminismus ist voll von Streitigkeiten. Und ich verstehe die Frustration über das Rechtssystem, das so viele Menschen im Stich lässt. Es gibt noch sehr viel zu tun, wenn es um diese Machtverhältnisse und Gewalt gegen Frauen geht – ich unterstütze das sehr."
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.11.2022, 16:55 Uhr