Theaterkritik | "Blood Moon Blues" - Nicht immer kommt die rettende Punchline

Mo 21.11.22 | 06:53 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Orit Nahmias aus dem Stück "Blood Moon Blues" am Gorki.(Quelle:Esra Rotthoff)
Audio: rbbKultur | 21.11.2022 | Barbara Behrendt | Bild: Esra Rotthoff

Eine Screwball-Komödie über bipolare Störungen: So etwas kann nur Yael Ronen. In "Blood Moon Blues" am Berliner Gorki sitzen viele Pointen - doch zum Ende hin verliert sich der Abend zunehmend in Gefühligkeits-Schwaden. Von Fabian Wallmeier

Yael Ronen beherrscht wie keine Zweite im deutschen Theater die heikle Screwball-Komödie. Genau genommen versucht sich eigentlich außer ihr auch kaum jemand anderes daran. Sie verarbeitet mit leichter Hand und prallem, aber fast nie doofem Witz Tabus und andere schwierige Themen: "Slippery Slope" (2021) ist ein "#Metoo"-Musical, in "Common Ground" (2014) geht es um den Balkan-Krieg, in "The Situation" (2015) um den Nahost-Konflikt.

Letzteres Stück klingt auch in ihrer neuesten Produktion nach, die am Sonntagabend im Berliner Maxim-Gorki-Theater uraufgeführt wurde: In der Gebirgslandschaft von "Blood Moon Blues" taucht nicht nur das Knallgelb des Bühnenbilds von damals wieder auf, sondern auch das Reden um den heißen Brei, mit dem die "Situation" zu benennen umschifft wird. Hier wie dort wird sie dann natürlich doch benannt: "Blood Moon Blues" ist eine Komödie über den Umgang mit einer schweren psychischen Störung.

 

Notfall oder nicht?

Elinor (Orit Nahmias) hat sich in einen abgelegenen israelischen Ashram irgendwo im Gebirge an der Grenze zum Libanon zurückgezogen. Eine unwirtliche Gegend, wie uns der Abend im weiteren Verlauf zeigt: Skorpione gibt es dort, Wölfe sowieso und angeblich sogar einen Leoparden.

Von dort sendet Elinor unklare Signale an die drei Menschen, die ihr derzeit am nächsten stehen. Ist es ein Notfall oder nicht? Jedenfalls sind alle drei zur Stelle: ihre entfremdete Tochter Luna (Aysima Ergün), ihre Ex-Therapeutin und Partnerin Gabriella (Vidina Popov) und der junge Greg (Doğa Gürer), der sich ebenfalls für ihren Partner hält.

Elinor ist bipolar. Tochter Luna hat schon viele mit ihr durchlitten, viele echte Notfälle: als sie Elinor von der Polizei abholen musste, weil sie Menschen mit einer Flasche bedroht hatte, oder als die Mutter versuchte, sich umzubringen. Das Verhältnis der beiden hat darunter stark gelitten, viel zu früh musste die Tochter die Mutterrolle übernehmen.

Krieg der Neurosen

Ronen und ihre Co-Autorin Orit Nahmias suchen die Balance zwischen der Härte und dem Schmerz, den das Thema mit sich bringt, und dem befreienden Witz, der sich ihm abringen lässt. Die düsteren Seiten nehmen erst im Verlauf des Abends einen immer größeren Raum ein. Zu Beginn dagegen herrscht noch der Ronen-typische Screwball vor, ein Krieg der Neurosen, in dem ein Gag nach dem nächsten rausgefeuert wird.

Die Pointen sitzen und die Schauspieler:innen haben offenkundig Spaß daran, ihre Figuren zunächst einmal als Karikaturen zu präsentieren. Da sind zunächst die drei, die sich auf den Weg zu Elinor machen: Luna im Tropen-Outfit und mit Trekking-Rucksack, Gabriella im Tigermuster-Jackett und mit sperrigem Hartschalen-Koffer - und Greg mit Stringtanga und Kimono. Gürer spielt ihn mit Verve als naive Nervensäge, die niemals aufhört zu reden.

Mit Hingabe den Mond angeheult

Ergün kostet dagegen zunächst vor allem die spöttischen Abwehrhaltung aus, mit dem Luna sich auf den angeblichen Notfall der Mutter vorbereitet. Und Popov wechselt locker zwischen Therapeut:innen-Phrasendrescherei und Tussenhaftigkeit. Nahmias schließlich gibt ihre Elinor zu Beginn überdreht und enthusiastisch, mit Hingabe den Mond anheulend. Ein akuter Notfall, wie Luna sie von früher kennt, scheint die zwar laut und dominant, aber nicht manisch auftretende Mutter jedenfalls noch nicht zu stecken.

Der Mond, so erfahren wir zu Beginn, war Namensgeber für Luna, weil er Grundlage eines (möglicherweise auch nur Elinors Kopf entsprungenen) alten Frauen-Rituals ist. Das wird zwar im weiteren Verlauf des Stücks nicht so richtig aufgegriffen, aber als erzählerisches Zentrum bleibt der Mond erhalten: Sobald er aufgegangen ist, soll eine Blutmond-Zeremonie beginnen. Und so leuchtet er nun als Projektion auf der Rückwand der Bühne, während vorn aber keine wirkliche Zeremonie vollzogen wird. Vielmehr kommen nun Lügen und allerlei alte und Geheimnisse auf den Tisch, die sich die Figuren bislang verschwiegen haben. Derweil verliert der Abend immer mehr an Witz und Spritzigkeit.

Tränengetränkte Plattitüden

So bissig und auf den Punkt wie einige von Ronens früheren Arbeiten am Gorki ist "Blood Moon Blues" nicht. Vor allem in der letzten halben Stunde nimmt er sich und sein Thema zu ernst. Da kommt es zu tiefsinnig gemeinten Aussprachen und er droht mehrfach ins allzu Gefühlige, in tränengetränkte Plattitüden abzufallen. Zwar kommt dann meist doch noch eine gut gesetzte rettende Punchline zur Abkühlung, aber eben nicht immer.

Dazu wabern schwarze Schwaden, die an das Rauchmonster aus der Fernsehserie "Lost" erinnern, um den Blutmond, eine Jazztrompete gesellt sich zum Wolfsgeheul - und man fragt sich: Ist das jetzt etwa ernst gemeint? Das kitschige Schlussbild, das Mutter und Tochter auf der Bühnenrückwand in früheren Jahren beim Schaukeln zeigt, lässt daran keinen Zweifel.

Die wirklich zündende heikle Screwball-Komödie über bipolare Störungen muss dann wohl noch jemand anderes machen.

Sendung: rbbKultur, 21.11.2022, 07:00 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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