Theaterkritik | "Amerika" im Gorki - Stationendrama mit Slapstick

So 15.01.23 | 09:49 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Gorki Theater: Amerika © Esra Rotthoff
Bild: Esra Rotthoff

Sebastian Baumgarten inszeniert Franz Kafkas "Amerika" am Berliner Maxim-Gorki-Theater als halbherziges Hin und Her. Es gibt viel Bühnennebel - und viel heitere Hektik, die nirgendwohin führt. Von Fabian Wallmeier

Der amerikanische Traum ist aufgeraucht. Die Kippen in Schwimmnudelgröße am vorderen Bühnenrand des Maxim-Gorki-Theaters bleiben die ganzen zwei Stunden dieses Premierenabends unbeachtet. Auch die anderen Insignien der amerikanischen Verheißung sehen heruntergekommen aus. Auf der dauerbenebelten Drehbühne dominiert fahles Grau. Asche bedeckt auch die Haare und Schultern einiger Figuren. Die Streifen der amerikanischen Flagge am rechten Bühnenrand sind schon verblichen, der riesige Turnschuh dient als Bett, der ebenso überdimensionierte Pappbecher ist demoliert. Und vom Symbol des amerikanischen Traums schlechthin, dem Auto, ist nur noch eine einzelne Felge übrig geblieben.

Franz Kafkas "Amerika" (besser bekannt als "Der Verschollene") erzählt die Geschichte des Teenagers Karl Roßmann, der von seinen Eltern nach Amerika verschifft wird, nachdem er eine Frau geschwängert hat. Kafka hat den Text maßgeblich in den 1910er Jahren verfasst, aber nie zu Ende geschrieben. Sebastian Baumgarten nimmt zu den vollendeten Kapiteln noch die handschriftlichen Fragmente Kafkas hinzu und inszeniert das Ganze als Stationendrama. Vom Schiff, mit dem Karl in Amerika ankommt, über Erfahrungen des Enttäuscht-, Beraubt- und Alleingelassenwerdens bis hin zum "Nature Theater of Oklahoma", in dem er am Ende, noch immer hoffnungsfroh, Arbeit sucht.

Yanina Ceron und Emre Aksizoglu während der Fotoprobe für das Stück Amerika im Maxim Gorki Theater (Quelle: imago images/Martin Müller)
Bild: imago images/Martin Müller

Im Microport-Einerlei

Karls Rolle teilen sich mehrere der sieben Darsteller:innen. Mal wechseln sie sich ab, mal sind sie gleichzeitig er. Oft ist auch gar nicht klar, wer spricht: ein Karl oder ein:e Erzähler:in? Das dürfte aber kein inszenatorischer Kniff sein, sondern schlicht den Microports geschuldet sein, die alle tragen. Wenn nicht gerade Falilou Secks durchdringender Bass durch den Zuschauerraum grollt, schallt alles gleichförmig aus den Boxen, keiner sprechenden Person auf der Bühne ist mehr rein klangräumlich zuzuordnen, wenn nicht gerade frontal von der Rampe gesprochen wird.

Die Überraschung des Abends ist, dass Baumgarten und sein Ensemble - dem fahlen Grau der Bühne zum Trotz - so sehr auf Slapstick setzen. Zwar sind Kafkas Texte nicht selten lustiger als gemeinhin angenommen, aber so irre komisch ist zumindest dieser nun auch wieder nicht. Ständig springt jemand aufgeregt aus dem Bühnenboden, es gibt alberne kurze Sound- und Toneffekte, es wird eifrig gestolpert und Pantomime gespielt. Falilou Seck legt sich als Freiheitsstatue in den Turnschuh und beschwert sich genervt und von Vocoder-Kieksern druchzogen, während Till Wonka ihm einen runterholt. Kurzum: Es wird heitere Hektik produziert, die nirgendwohin führt.

Hektisch-fröhliches Treiben

Seck setzt zu Beginn eigentlich einen viel ernsteren, düstereren Ton als der Rest des Abends. Zu unheimlichem, atonalem Geigen-Glissando stimmt er das Publikum auf einen schwierigen Abend und das schwierige Erlernen einer Sprache ein und orakelt, dass mit Erklärungen grundsätzlich nichts getan sei.

Nichts davon wird später eingelöst, es wird aber auch nichts sichtbar gebrochen oder produktiv konterkariert. Triste Bilder in Schwarz-Weiß sind auf Bildschirmen rechts zu sehen, in einer späteren Szene wird Kafkas brutale Parabel "Der Geier" erzählt - aber ansonsten bleibt es halt größtenteils beim hektisch-fröhlichen Treiben, das vor 20 Jahren in irgendeinem abgelegenen Stadttheater vermutlich nicht anders ausgesehen hätte als 2023 in Berlin.

Weil das halbherzige Hin und Her und all die Slapstick-Mätzchen so seltsam gestrig wirken, helfen sie auch nicht dabei, den Text in die Gegenwart zu überführen. So bleibt der Abend eine unerwartet brave Literaturklassiker-Adaption. Solider Stoff für den abendlichen Kulturtermin mit der Schulklasse, aber aufregendes Theater? Leider nein.

Sendung: Kulturradio, 15.01.2023, 7:40 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ein Regisseur sollte sich nie wichtiger nehmen als den Text, den er inszeniert!
    "Amerika" ist ein Roman, den ich in den 80ern vor dem Hintergrund des Zerfallsprozesses der DDR gelesen habe. Allein das Motiv der Freiheitsstatue mit dem Schwert in der Hand symbolisiert - wie kaum ein anderes literarisches Motiv - das 20. Jh. (nur noch vergleichbar mit "Der Jahrhundertschritt" von Mattheuer in der bildenden Kunst).

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