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Audio: rbb24 Inforadio | 25.05.2023 | Stephan Oszvath & Shermin Langhoff | Quelle: imago images/Mauersberger

"Gezi - Ten Years After"

Gorki-Theater würdigt türkische Protestbewegung mit eigenem Festival

Zwei Tage vor der Stichwahl in der Türkei startet im Maxim-Gorki-Theater ein einmonatiges Kultur-Festival zu den Protesten im Istanbuler Gezi Park. Vor zehn Jahren standen die Ereignisse ganz im Zeichen der Demokratiebewegung in der Türkei. Von Andrea Handels

Vor rund zehn Jahren demonstrierten im Istanbuler Gezi Park und dem angrenzenden Taksim-Platz zehntausende Menschen gegen Abholzung, Bauvorhaben, Gentrifizierung und gegen die Regierung. Aus anfänglichen Demos vor allem junger Menschen entstand eine große Protestbewegung, die aber von der Polizei brutal niedergeschlagen wurde. Damals wie heute hieß der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Am Sonntag (28.5.) muss er bei einer Stichwahl gegen den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu antreten.

Beim Festival "Gezi-Ten Years After", das als "Prolog im Frühling" zum traditionellen Gorki-Herbstsalon gelabelt ist, sind die türkische Demokratiebewegung und der Widerstand gegen Präsident Erdogan großes Thema. Im kuratorischen Beirat für das Festival war unter anderen der türkische Journalist Can Dündar, der wie so viele türkische Künstler*innen und Intellektuelle in Deutschland im Exil lebt.

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Original-Zelle und Kunst aus Gefängnissen

Der Nachbau seiner Gefängniszelle im berüchtigten Gefängnis von Silivri ist wieder auf dem Gorki-Gelände aufgebaut, genauso wie die von ihm kuratierte Ausstellung "Museum der kleinen Dinge und mehr", in der zu sehen ist, wie kreativ die Künstlerinnen und Künstler in den türkischen Gefängnissen mit ihrer Situation umgehen. Darunter auch die kurdisch-türkische Künstlerin Zehra Dogan, die wegen eines Bildes, das die Zerstörung einer kurdischen Stadt durch türkisches Militär zeigt, drei Jahre inhaftiert war und die unter Verwendung ihres Menstruationsblutes im Gefängnis weitermalte.

Zehra Dogan, inzwischen auch im deutschen Exil, hat für das Festival ein gläsernes Radiostudio in das neue Gorki-Café gebaut, in dem ihre Soundinstallation "Resisting Radio" zu den Gezi-Protesten zu hören ist. Eine Tür weiter, im Gorki-Kiosk, präsentiert die "Library of resistance", die "Bibliothek des Widerstands" über 100 Bücher über die Gezi-Proteste und eine Chronologie der Ereignisse.

So werden das ganze Theater und die zugehörigen Gebäude sowie der Gorki-Garten über vier Wochen zum Festivalzentrum mit dauerhaften Ausstellungen, aber auch jeder Menge Events, Talks, Diskussionsforen, Performances, Stand-Up-Comedies, eigenen Theaterinszenierungen wie Hakan Savas Micans "Alles wird schön sein" (Premiere 26.5.) oder Yael Ronens "Planet B" (Premiere 8. Juni) sowie Gastspielen, Konzerten, Filmreihen und einem queeren Wochenende.

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Dündar verspricht "anderes Gesicht der Türkei"

"Gezi war nicht nur eine Bürgerbewegung", so Can Dündar, "sondern auch eine ideologische und kulturelle Revolution, die das Gesicht der Türkei verändert hat. Deshalb wollen wir den künstlerischen, den kulturellen Teil davon zeigen und seine politische Botschaft. In den kommenden Wochen werden die Berliner ein anderes Gesicht der Türkei sehen."

Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki, ist dabei der Blick nach vorn sehr wichtig: "Wir werden hier nicht ein nostalgisches Reenactment von Gezi machen, darum geht es nicht, sondern es geht darum, sich 10 Jahre nach Gezi anzuschauen, wo wir heute stehen und wie wir in Zukunft sprechen, performen, diskutieren, Filme machen wollen und wie wir uns auch in Zukunft solidarisieren und resilient und widerständig bleiben können."

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Künstler zunächst enttäuscht vom Wahlausgang

Nach dem ersten Wahlgang am 15. Mai war die Enttäuschung der am Gezi-Festival beteiligten Kurator*innen groß. Man hatte doch darauf gehofft, dass der Kandidat der Opposition Kemal Kilicdaroglu gewinnen würde, schließlich lag er in den Umfragen vorn. Can Dündar und die anderen betonten aber, dass ja immerhin über die Hälfte der türkischen Wahlberechtigten nicht für Erdogan gestimmt hatten. Der amtierende Präsident hat 49 Prozent erhalten, sein Gegenkandidat 44 Prozent.

Falls Erdogan jetzt die Stichwahl gewinnt, fürchtet Can Dündar, dass der Druck auf Medien und Kritiker noch weiter steigen wird. In der Türkei sitzen zahlreiche Journalist*innen und Künstler im Gefängnis. Das Land liegt, was die Meinungs- und Pressefreiheit betrifft, ganz weit hinten.

Zehra Dogan sagte zwei Tage nach der Wahl, es sei ein tolles Ergebnis, dass Erdogan sich nicht im ersten Wahlgang hat durchsetzen können. Sie habe noch Hoffnung, dass er bei der Stichwahl unterliegt. Falls nicht, so prophezeit Can Dündar, würden noch viel mehr türkische Künstler*innen und Intellektuelle ins Exil nach Berlin kommen. Im Gorki-Theater finden sie eine gute Anlaufstelle.

 

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.05.2023, 12:55 Uhr

Beitrag von Von Andrea Handels

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