Uraufführung am Deutschen Theater - Was, wenn es der geflügelte Froschgott ist?

Fr 20.10.23 | 14:13 Uhr | Von Barbara Behrendt
Deutsches Theater Berlin, "Der geflügelte Froschgott" eine Neuberechnung der Unsterblichkeit, Ein Monolog von Ingrid Lausund (Quelle: Deutsches Theater Berlin/Thomas Aurin)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.10.2023 | Barbara Behrendt & Angela Ulrich | Bild: Deutsches Theater Berlin/Thomas Aurin

Ingrid Lausund wurde für ihre Drehbücher zur TV-Serie "Tatortreiniger" ausgezeichnet, jetzt hat sie ein neues Theaterstück geschrieben – auch über letzte Dinge: Was kommt nach dem Tod? Um diese Frage kreist "Der geflügelte Froschgott". Von Barbara Behrendt

Angenommen mal, es ist der geflügelte Froschgott, dem wir nach dem Tod Rechenschaft abzulegen haben. Angenommen mal, es ist ausgerechnet der Wyndushu-Glaube, der sich als die einzige Wahrheit erweist, inklusive Schöpfungsgeschichte mit dreibusiger Frau und Urfisch und Seelenwanderkrokodil – und geflügeltem Froschgott als oberster Instanz. Wahrscheinlich ist das nicht, schließlich kennt diese Religion kaum noch jemand – aber vielleicht geht’s ja gar nicht um Mitgliederzahlen? Was wahr ist, ist wahr, egal, wie viele daran glauben und wie eklig wir den Frosch finden.

"Angenommen mal…" – so beginnen viele der Überlegungen in Ingrid Lausunds anschaulichem und komischem Monolog über die großen Erkenntnisfragen. Ein Monolog, der einen traurigen Ausgangspunkt hat: Ein Mensch hat seinen geliebten Partner an den Krebs verloren und stellt sich nun die Frage, wo dieser Verstorbene sein könnte, wie es ihm gehen könnte, ob er womöglich Höllenqualen zu leiden hat wegen des fehlenden richtigen Bekenntnisses. Und ein konkreter Startpunkt für alle großen Fragen, über die man selbstredend ganze Bibliotheken füllen kann.

Weiß die Hölle, dass sie nur eine Metapher ist?

Ingrid Lausund flitzt auf schlanken 25 Seiten quer durch alle religionsphilosophischen Überlegungen: Welcher Gott ist der richtige? Warum sagt uns dieser Gott nicht, dass er der oder die richtige ist, wenn sich doch alle anstrengen, die Wahrheit zu finden? Kann dieser Gott überhaupt ein liebender Gott sein? Kann es mehrere Religionen geben? Ist die Hölle eine Metapher? Und wenn ja, weiß das die Hölle? Und natürlich kommt auch die Angst ins Spiel: Was, wenn es im Jenseits nicht gerecht zugeht, wenn dort wirklich Verdammnis wartet?

Lausund hat den Monolog in zwei Fassungen geschrieben: für eine Frau, die ihren Mann verloren hat – und umgekehrt. Den Text verändert das kaum, außer ein paar Klischees über Mann und Frau, die sich umkehren. Originelle Figurenzeichnung ist ohnehin nicht Lausunds Stärke, sie entwirft eher Sprecher ohne Eigenschaften.

Der einsame Monolog wird auf der Bühne zum Dialog

Der Regisseur FX Mayr lässt nun aber beide Fassungen ineinander verschränkt spielen. Bernd Moss und Regine Zimmermann machen das mit Verve – und verhelfen dem Text ungeheuer auf die Sprünge. In einer grellgelben Technovariante der Nonnen-Kutte stehen sie in einer Art Zwischenreich auf der fast leeren Bühne, fallen einander ins Wort, ergänzen sich, trösten sich in ihrer Wahrheitssuche, die normalerweise eine einsame ist.

Daneben gibt es Tanz-Unterbrechungen, die völlig losgelöst vom Text funktionieren. Vier Tänzer:innen vollführen als Tiergötter mit Schnäbeln und grünem Regencape (Froschgott!) kleine spirituelle Tänze. Das führt nicht wirklich weiter, doch es passt zu FX Mayrs Inszenierungsstil, der kein realistisches Szenario entwerfen möchte, sondern auf Künstlichkeit und Abstraktion setzt. Allerdings auch auf Empathie, und natürlich auf Unterhaltung. Bernd Moss und Regine Zimmermann performen den leichten, zugespitzten Text in ungeheurem Sprechtempo, setzen auf jede Pointe – und das Publikum geht voll mit.

Eine tröstliche Erwiderung auf die Erkenntnissuche

Antworten auf die ältesten Fragen der Menschheit kann natürlich auch Ingrid Lausund nicht finden. Doch die Inszenierung stellt dem Stück eine unerwartet tröstliche Erwiderung auf die einsame Erkenntnissuche entgegen. Während der Text in einer abrupten Hinwendung der sprechenden Person zum allmächtigen Gott endet, aus Angst, der geliebte Mensch müsse sonst womöglich in der Hölle schmoren, lässt FX Mayr zwei Wahlmöglichkeiten: Regine Zimmermann kehrt sich wütend ab von einem mitleidlosen Gott – Bernd Moss bekennt sich zum Allmächtigen.

Und, wichtiger noch: In einem großen Finale inklusive Totentanz und Lametta zelebriert die Inszenierung mit dem Publikum das Leben. "Wer hat Lust auf ein Bier?", fragt eine Tänzerin in Totenkopfmaske, bevor sie auf die Bühne einlädt. "Das ist keine Pause, das ist nicht das Ende, das ist einfach nur der Tod." Und die Zuschauenden kommen tatsächlich zu Bier und Brezeln und Musik auf die Bühne. Gegen Einsamkeit und Verzweiflung und Todesangst hilft am besten: die Gemeinschaft.

Das mag man kitschig finden. Oder aber tröstlich. Ein heiterer, nachdenklicher, kluger kleiner Theaterabend über die großen Dinge.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.10.2023, 8:54 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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