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Audio: rbb24 Inforadio | 17.06.2022 | Gespräch mit Torsten Zuberbier | Quelle: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Interview | Allergieforschung

Warum die Pollen immer länger fliegen

Für Menschen mit Allergien ist der Frühsommer manchmal eine Qual. Und mittlerweile fliegen die Pollen immer länger. Das hat auch etwas mit Klimawandel zu tun, sagt der Allergieforscher Torsten Zuberbier. Aber nicht nur.

rbb: Herr Zuberbier, lässt es sich tatsächlich auch wissenschaftlich bestätigen, dass sich die Allergiesaison verlängert hat?

Prof. Torsten Zuberbier: Ja, denn wir haben den Klimawandel. Sie können zeigen, dass sich in den letzten 20 Jahren der Pollenflug nicht nur zeitlich ausgedehnt hat - also früher anfängt, später aufhört - sondern auch stärker geworden ist.

Aber - das ist die gute Botschaft: Es muss keine Qual sein, weil wir gute Möglichkeiten zur Behandlung haben. Und die sollte man wahrnehmen, gerade wenn es jetzt so schönes Wetter ist.

Zur Person

Warum sind denn die Pollen länger unterwegs?

Wenn Pflanzen bessere Wachstumsbedingungen haben, vermehren sie sich einfach mehr. Pollen sind männliche Samenzellen, und die suchen dann über den Wind getragen irgendwo andere Pflanzen ihrer Art, also Bäume oder Gräser. Und wenn die Witterungsbedingungen gut sind, dann ist dieser Flug eben intensiver.

Auch eine höhere CO2-Konzentration soll da eine Rolle spielen.

Das ist richtig - primär an vielbefahrenen Straßen können wir erheblich besseres Pflanzenwachstum messen. CO2 ist schlichtweg ein Dünger für Pflanzen, Pflanzen atmen CO2 ein und Sauerstoff aus. Bei uns ist es genau umgekehrt.

Ist das also auch ein Grund dafür, dass die Pollenmenge insgesamt gestiegen ist?

Nein, die Pollenmenge ist insgesamt primär durch die wärmere Witterung gestiegen, weil Pflanzen dann besser wachsen können. Aber die Pollenmenge in innerstädtischen Bereichen hat durchaus etwas mit den CO2-Konzentrationen durch den Verkehr zu tun. Andererseits muss man sagen: Verkehr an innerstädtischen Straßen gab es natürlich auch vor 40 Jahren. Damals wurden aber die Mittelstreifen regelmäßig gemäht. Inzwischen wachsen da zum Beispiel die Gräser gut – das lässt sich zumindest für Berlin sagen.

Also, wo man eigentlich denken würde, gute Umweltmaßnahme, ist das für Allergiker:innen vielleicht nicht das Beste. Eigentlich würde man doch sagen, dass in Städten gar nicht so viele Pollen unterwegs sind wie zum Beispiel auf dem Land. Kann man das so einfach sagen?

Nein, in den Städten sind nicht nur Gräserpollen ganz kräftig unterwegs, sondern auch Kräuterpollen. Und die Baumpollen – zum Beispiel Birkenpollen - wehen teilweise 20 Kilometer weit. Da muss man schon sehr weit weg sein. Allerdings kann man sagen, es wäre jetzt an der Zeit, städtische Bepflanzungspläne zu überdenken, zum Beispiel keine Birken und allergene Pflanzen im Stadtinneren anzupflanzen.

Gibt es denn auch regionale Unterschiede? Sind also Menschen in Berlin und Brandenburg anders betroffen als in Bayern oder Nordrhein-Westfalen?

Nein regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt es überhaupt nicht. Natürlich gibt es das Extrem: Wenn Sie auf Hallig Hooge wohnen - da ist keine einzige Birke, da wird auch kein Baumpollen-Problem entstehen. Aber im Allgemeinen ist es in der Bundesrepublik egal, ob Sie im Süden, im Norden, Osten oder Westen wohnen, wenn es um Pollenbelastung geht.

Dazu kommt, dass es auch immer mehr Allergiker und Allergikerinnen gibt. Woran liegt das?

Das ist eine spannende Frage. Bei 60 Prozent der Bevölkerung gibt es eine Anlage für Allergie in den Genen. Hintergrund ist, dass das in der Evolutionsgeschichte ein Teil des besseren Immunsystems war. Allergiker - das ist die gute Botschaft – haben statistisch gesehen weniger mit schweren Erkrankungen zu tun. Und der Unterschied ist, dass bei diesem guten Immunsystem vermehrt Stoffe als gefährlich eingeschätzt werden, die eigentlich harmlos sind - wie beispielsweise die Pollen oder Hausstaubmilben. Das ist eine Frage von Lebensbedingungen. Und dafür ist unser modernes Leben ausschlaggebend.

Jetzt haben Sie ja gleich am Anfang schon gesagt, es gibt auch eine gute Nachricht, nämlich dass es besser behandelbar ist. Wie denn?

Es gibt die Möglichkeit, mit Stufentherapie so zu behandeln, dass man praktisch nebenwirkungsfrei und ohne Beschwerden sein kann. Es beginnt mit nicht müde machenden Antihistaminika-Tabletten. Dazu kommen moderne Sprays für die Nase, bloß keine abschwellenden, aber moderne kortisonhaltige Sprays. Kortison, das nicht mehr in die Blutbahn aufgenommen wird. Und dann gibt es auch weitere Schritte. Ganz wichtig ist es, rechtzeitig zur Diagnose und zur Besprechung der Therapie den Arzt aufsuchen. Nicht einfach nur dazusitzen und zu warten, bis der Pollenflug aufhört.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dörthe Nath, rbb24 Inforadio.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.06.2022, 10:05 Uhr

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