Interview | Gerd Nettekoven, Vorsitzender der Deutschen Krebshilfe - "Wir können heute die Hälfte aller Krebserkrankungen in unserem Land heilen"

Sa 04.02.23 | 16:32 Uhr
  21
Ein Mitarbeiter betrachtet in einem Kontrollraum des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) auf einem Monitor das Querschnittsbild einer Prostata. (Quelle: dpa/Uwe Anspach)
dpa/Uwe Anspach
Audio: rbb24 Inforadio | 04.02.2023 | Bild: dpa/Uwe Anspach Download (mp3, 8 MB)

Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr an Krebs. Wie man dem vorbeugen kann, und welche Krebsarten inzwischen als sehr gut heilbar gelten, erklärt Gerd Nettekoven von der Deutschen Krebshilfe im Interview zum Weltkrebstag.

rbb: Herr Nettekoven, wie verbreitet ist Krebs in Deutschland?

Gerd Nettekoven: Wir sind in Deutschland jährlich mit 510.000 Krebs-Neuerkrankungen konfrontiert. Das ist eine sehr hohe Zahl. Aber vor zwei Jahrzehnten war die Situation noch viel schlechter. Wir können heute die Hälfte aller Krebserkrankungen in unserem Land heilen. Wir haben gute Versorgungsstrukturen und eine gute Krebsmedizin. Natürlich gibt es Verbesserungsbedarf, aber wir sind insgesamt ganz gut aufgestellt.

Bei den Gehirntumoren stehen wir medizinisch leider immer noch mit dem Rücken an der Wand

Gerd Nettekoven, Vorsitzender der Deutschen Krebshilfe

Was sind die gefährlichsten Krebsarten?

Besonders gefährlich sind nach wie vor der Bauchspeicheldrüsenkrebs aber auch die Gehirntumore. Bei den Tumoren stehen wir medizinisch leider immer noch mit dem Rücken an der Wand. Hier ist wichtig, dass wir weiter in Forschung investieren.

Aber es gibt auch andere Beispiele: Brust-, Darm-, Prostata- und Hautkrebs sind heute therapeutisch sehr gut heilbar, wenn sie früh erkannt werden.

Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender Deutsche Krebshilfe. (Quelle: imago images/Reiner Zensen)
Gerd Nettekoven, Vorsitzender der Deutschen Krebshilfe | Bild: imago images/Reiner Zensen

Ist Früherkennung immer noch die wichtigste Methode, um Krebs zu behandeln?

Leider wird medizinische Krebsfrüherkennung in Deutschland nicht viel genutzt. Aber es geht nicht nur darum: Schon mit gesundheitsbewusstem Verhalten kann jeder einzelne präventiv viel tun. Wenn bei diesen beiden Komplexen alle mitmachen würden, könnten wir die Krebssterblichkeit um 75 Prozent zu reduzieren. Das ist ein beachtliches Potenzial, das nicht genutzt wird.

Wie verhält man sich gesundheitsbewusst und krebsvorbeugend?

Bekannte Risikofaktoren sind etwa Rauchen. Außerdem wird wissenschaftlich immer deutlicher, dass auch Alkohol eine große Rolle spielt bei vielen Krebserkrankungen. Viele Menschen bewegen sich zu wenig und sind übergewichtig. Der UV-Schutz gegen Hautkrebs wird immer noch vernachlässigt. Diese Dinge kann jeder einzelne beeinflussen. Mit Prävention könnte man 40 Prozent aller Krebserkrankungen vermeiden.

Wie umfangreich wird die Früherkennung genutzt?

Leider nutzen die Menschen das nicht in vollem Umfang. Dabei bieten die gesetzlichen Krankenkassen das an. Wir appellieren da immer wieder an die Bevölkerung, denn so kann man noch nicht diagnostizierte Tumore sehr früh entdecken. Die sind in den meisten Fällen einer Therapie sehr gut zugänglich. Außerdem kann die Therapie dann auch weniger invasiv erfolgen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Guido Ringel für rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte Version des Interviews.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.02.2023, 10 Uhr

21 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 21.

    Eine Bessere Versorgung und Betreuung der Erkrankten wäre mal der Anfang. Mehrere Bekannte mit Krebserkrankungen sind mehr oder weniger sich selbst überlassen.

  2. 20.

    Ich gehöre auch der Generation an, die draußen war…im Wald…Sport schon vor der Schule…..usw. Das Brot fiel in den sprichwörtlichen Dreck..abgewischt, gut war es. Ich koche mit frischen und gesunden Zutaten……Und trotzdem hat es mich erwischt. Genau deswegen finde ich diese Aussagen für sehr fragwürdig!

  3. 19.

    „ Ich bezog mich auf Patienten in meiner Praxis.“
    Das habe ich doch längst verstanden und es ist, außer das ihre Zahlen nicht repräsentativ genug sind, auch völlig unabhängig davon, dass ihre Angaben einfach unzureichend sind, wenigstens für ihr Praxisuniversum irgendein Erkrankungsrisiko anzugeben.
    Lassen wir es einfach dabei bewenden.

  4. 18.

    Ich bezog mich auf Patienten in meiner Praxis.

    Es ist so, dass Raucher besser auf die Chemo ansprechen und auch höhere Heilungschancen haben. Warum das so ist, wird noch erforscht.
    Übrigens haben noch andere Kollegen dieses Phänomen beobachtet.

    Lungenkrebs ist aber eine Seltenheit. Ich habe aktuell viel mit Bauchspeicheldrüsenkrebs zutun. Leider sind alle Methoden zur Behandlung nur sehr wenig erfolgreich.

  5. 17.

    Ja nochmal, relevant ist die Anzahl der an Lungenkrebs erkrankten Nichtraucher bezogen auf alle Nichtraucher und selbiges bei den Rauchern.
    Wenn in ihrer Praxis beispielsweise 80% Nichtraucher und 20% Raucher sind, dann ist der Anteil der krebserkrankenden Raucher, wenn von den Krebserkrankten die Hälfte Raucher und die andere Hälfte Nichtraucher sind, bei ihnen das Risiko der Raucher viermal so hoch an Lungenkrebs zu erkranken, als bei den Nichtrauchern.
    Warum sollten Raucher höhere Heilungschancen besitzen? Das leuchtet ja nun überhaupt nicht ein. Bestenfalls sind die Chancen gleich.

  6. 16.

    In meiner Praxis ist das Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern, die an Krebs erkranken etwa 50:50

    Wobei Nichtraucher oft später diagnostiziert werden und schwere Krankheitsverläufe haben. So jedenfalls die Beobachtung in meiner Praxis.

    Raucher haben eine höhere Chance, den Lungenkrebs zu überleben.

  7. 15.

    Das stimmt so nicht. Über die Terminservicestelle der KV bekommt man, wenn der Hausarzt eine Dringlichkeit auf der Überweisung bescheinigt, binnen 4 Wochen einen Termin beim Facharzt. Jedoch kann man sich diesen Arzt sowie den Termin nicht selbst aussuchen.

    Wir Fachärzte halten dafür Termine frei.

    Hausarzt findet jeder. Nur nicht immer gleich um die Ecke.

  8. 14.

    Solange Asbest nicht angerührt wird oder der Witterung ausgesetzt ist, besteht kein nennenswertes Risiko. Die Verbesserung der Luftqualität hat auch nur teilweise zu einem Rückgang an Krebserkrankungen geführt. Das Thema ist dann doch ein bisschen komplexer.

  9. 13.

    Leider übertreiben diverse "Experten" in ihren Ausführungen gerne mal extrem. Sportliche und gesunde Lebensweise senkt das Risiko zumindest bei bestimmten Krebsarten zwar erheblich. Davor gefeit ist aber absolut niemand und bestimmte Krebsarten kann man wahrscheinlich überhaupt nicht beeinflussen, zum Beispiel Prostatakrebs. Zumindest nicht nach heutigem Wissensstand und mit heutigen medizinischen Methoden. Dieser Krebs ist häufig, mit steigendem Risiko im zunehmenden Alter, aber dafür mit guter Überlebensprognose, was leider aber nicht die Belastung während der Behandlung vermindert. Nach heutigem Stand der Wissenschaft ist Krebs nicht verhinderbar, aber die Überlebenschance ist stark gestiegen. Wichtig ist und bleibt Vorsorge. Je später entdeckt, um so schlechter die Chancen.

  10. 12.

    Als Arzt wissen Sie sicher auch, wieviele Menschen mittlerweile keinen Hausarzt mehr haben bzw. nie einen Facharzttermin bekommen. Wie soll man da zu Vorsorgeuntersuchen gehen können??

  11. 11.

    Kein Wunder - wo doch Verbrennermotoren immer noch nicht abgeschafft sind und in Deutchland haufenweise Asbest verbaut wurde - um nur 2 von vielen Sünden zu nennen. Die Klimaleugner tun ein übriges.

  12. 10.

    „Das Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern ist 50:50“

    Diese Aussage, wenn sie überhaupt stimmt, wäre nur relevant, wenn 50% Raucher und 50% Nichtraucher wären, was definitiv nicht die Relationen sind.
    Die Information wieviel Prozent der Raucher und wieviel Prozent der Nichtraucher erkranken an Lungenkrebs ist eher hilfreich.
    Und da liegen die Dinge, wie erwartet, Rauchen erhöht das Risiko an Lungenkrebs zu erkranken signifikant.

  13. 9.

    Die Erkrankung Ihres Mannes tut mir leid.

    Aber auch Nichtraucher erkranken an Lungenkrebs. Das Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern ist 50:50

    Eine Aufnahme der Lunge kann jeder Hausarzt, Internist jederzeit anordnen.

  14. 8.

    Wäre die Lunge alle 2 Jahre als Präventive geröntgt worden, dann vielleicht kein Lungenkrebs mit 87, mein Mann raucht seit 60 Jahren nicht mehr.

  15. 7.

    Das sind natürlich Aussagen über die Perspektive der Statistik, also über die Entwicklung von Mengen und nicht von einzelnen Elementen.
    Und die benannten Ursachen sind ja auch nicht vom Himmel gefallen sondern über Wechselwirkungen zu anderen gesellschaftlichen Prozessen gewachsen (Stichwort Zeitkompression, beschleunigtes Gesellschaftssystem).

  16. 6.

    Als Arzt bin ich erschüttert. dass sehr viele Bürger die vielen Angebote der Vorsorgeuntersuchungen nicht nutzen.

    Durch eine vernünftige Vorsorge können viele Tumorerkrankungen in einem sehr frühen Stadium erkannt werden.

    Leider ist es so, dass viele Tumore erst in späten Stadien Beschwerden verursachen.

    Daher mehr die vielen Angebote der Vorsorge nutzen

  17. 5.

    Der Herr kann mir gerne mal erklären, wie ich meinen Prostata Krebs durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung hätte verhindern können. Eine derartige Aussage ist für mich sehr zynisch. Ich hätte gern auf die Erfahrung aus Krankheit und Reha mit 58 Jahren verzichtet.

  18. 4.

    Trifft das weltweit oder für Deutschland zu? Als Laie würde man, für die breiten Krebsarten jedenfalls, das Dichtemaximum eher bei älteren Menschen vermuten und zwar mit dem Alter zunehmender Wahrscheinlichkeit.
    Was sind die Gründe des spontanen Anstiegs bei sehr jungen Menschen?
    Gibt es dazu gute Quellen?

  19. 3.

    Klar, schauen Sie sich doch mal an, wieviele Wege heute mit dem Auto gefahren, statt gelaufen werden. Wer treibt denn heute noch mehrmals die Woche Sport? Ich habe als Kind auf der Straße gespielt (Fangen, Seilspringen, Bordkantenschiessen, Verstecken, Rollschuh fahren, auf Bäume klettern, Butzen bauen,…) Mein Vater spielte als Erwachsener Handball, ich war fast jedes Wochenende auf dem Handballplatz. Ich bin bis heute sportlich aktiv, auch für meine Söhne ist regelmäßiger Sport eine Selbstverständlichkeit. Unser „Wohlstand“ produziert Trägheit und die wiederum dicke, faule Menschen. Das geht schon in den Schulen los. Hier beginnt das Krebsgeschwür. Auch im Kopf.

  20. 2.

    Hui….diese Aussage finde ich schon sehr mutig! Ich bin selbst an Krebs erkrankt, informiere mich über laufende Studien. Hole gerade etwas Luft.

Nächster Artikel