Mehr Personal - Brandenburger Verwaltungsgerichte bauen Verfahrensstau allmählich ab

Di 26.09.23 | 20:32 Uhr | Von Andreas B. Hewel
Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße, Potsdam (Quelle: dpa/Schoening)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 26.09.2023 | Stephanie Teistler | Bild: dpa/Schoening

Die Verwaltungsgerichte sind überlastet - einen großen Anteil daran haben Klagen gegen abgelehnte Asylanräge. Mehr Richterinnen und Richter arbeiten nun aber zunehmend die schon lange liegenden Verfahren auf und entscheiden sie. Von Andreas B. Hewel

Im Verwaltungsgericht Cottbus muss man zumindest bildlich gesprochen erstmal den Staub von den Akten blasen, wenn ein Asylverfahren neu verhandelt wird. So ist es auch in dem Verfahren eines Mannes aus Somalia: Sein Asylgesuch in Deutschland wurde abgelehnt, er soll wieder zurück nach Italien. Dort war er offenbar erstmals in die Europäische Union gekommen. Vor dem Verwaltungsgericht will der Asylbewerber nun erreichen, dass sein Verfahren wieder aufgenommen wird. Vor zwei Jahren hat er diesen Antrag gestellt, erst jetzt wird er verhandelt.

Sechs Monate Verfahrenslaufzeit wäre wünschenswert

Für den zuständigen Verwaltungsrichter, Gregor Nocon, ist das eine viel zu lange Zeit. "Wünschenswert sind Verfahrenslaufzeiten von bis zu sechs Monaten", bemängelt er die Situation. "Das ist eine Verfahrenslaufzeit, mit der alle Beteiligten eher leben können und wir noch einen frischen Sachverhalt haben." Hätten Verfahren ein "Kleinkindalter" erreicht, sorge das auch nicht selten für noch längere Verfahrensdauern, da die Umstände sich in der Zwischenzeit ändern könnten.

"Wenn ein Verfahren mehrere Jahre liegt", sagt der Verwaltungsrichter, "entwickelt sich natürlich die Lebenssituation des Klägers. Die Welt dreht sich auch weiter. Das heißt, auch im Heimatland kann es zu Veränderungen kommen und all das, was vielleicht zu dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes [für Migration und Flüchtlinge; Anm. d. Red.] noch maßgeblich gewesen ist, ist vielleicht jetzt auf den Kopf gestellt und wir müssen es komplett neu prüfen."

Mehr als 11.000 Verfahren noch auf der langen Bank

Das hat in den vergangenen Jahren zu einem beachtlichen Verfahrensstau geführt und das nicht nur bei Asylverfahren. 2.652 Verfahren warten insgesamt allein im Verwaltungsgericht Cottbus auf ihre Bearbeitung, 881 davon sind Asylverfahren. Zählt man die offenen Fälle aller drei Verwaltungsgerichte in Brandenburg - also von Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam - zusammen, so kommt man auf 11.573 anhängige Verfahren. So der Stand vom 31. August, den das Justizministerium auf Anfrage rbb|24 mitteilte.

Davon sind 7.919 "klassische" Verwaltungsverfahren, die restlichen 3.754 Fälle sind Asylverfahren. Damit machen Asylverfahren knapp ein Drittel aller Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in Brandenburg aus. Allein im vergangenen Jahr kamen landesweit 2.614 Asylverfahren hinzu. Ein erheblicher Zuwachs, auch wenn der schon einmal deutlich höher war: Im Jahr 2017, nach der großen Flüchtlingswelle, wurden 10.665 neu eingegangene Asylverfahren gezählt. Verglichen damit lag das vergangene Jahr nur noch bei einem Viertel davon.

Lange Verfahrenslaufzeiten

Entsprechend lang ist die durchschnittliche Dauer der Verfahren geworden. Sie lag 2022 bei 33,5 Monaten - Asylverfahren dauern dabei rund fünf Monate länger als dieser Mittelwert. Insgesamt lag die Verfahrensdauer in den vergangenen beiden Jahren so hoch wie seit mindestens acht Jahren nicht. Die stark gestiegene Zahl der Asylverfahren verschärft hier die Situation deutlich.

Dabei sollte alles ganz anders sein: Denn seit Beginn der neuen Legislaturperiode im Jahr 2019 wurden die Verwaltungsgerichte personell deutlich aufgestockt. 27 neue Richterstellen wurden hier neu geschaffen und besetzt. Insgesamt sind damit derzeit an den Verwaltungsgerichten 117 Richterinnen und Richter tätig.

Das Justizministerium spricht mittlerweile gar von einer "auskömmlichen personellen Ausstattung". Das sollte eigentlich für Tempo bei der Verfahrensdauer sorgen. Tut es aber nicht - oder besser: Tut es nicht so, dass man das statistisch merkt.

Mehr Personal, längere Verfahrensdauer

Der Grund, so das Justizministerium, sei einfach. Mehr Richterinnen und Richter arbeiten zunehmend die schon lange liegenden Verfahren auf und entscheiden sie. Erst aber wenn die entschieden sind, liegt die Verfahrensdauer für den Fall fest. Hatten sie schon lange auf eine Entscheidung gewartet, ist bei ihnen die Verfahrensdauer besonders hoch. Und werden zunehmend mehr solcher alten Fälle entschieden, steigt in der Statistik die Bearbeitungszeit. Real allerdings werden deutlich mehr Fälle als früher bearbeitet.

Die Gerichte schieben allerdings noch eine Bugwelle alter Fälle vor sich her. Die ebbt erst langsam ab. Erste positive Auswirkungen zeigen sich gerade: So sank die Bearbeitungszeit in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres merklich.

Auch das Verwaltungsgericht in Cottbus hat elf neue Richterstellen bekommen und besetzt. Damit konnte das Gericht von fünf Kammern im Jahr 2011 auf neun Kammern ausgebaut werden. Und waren manche Kammern einst völlig unterbesetzt, so seien die nun voll ausgestattet. Damit, so der Sprecher des Verwaltungsgerichts Cottbus, Matthias Vogt, hätte seit langem der Verfahrensstau wieder abgebaut werden können. "Wir hatten noch im Jahr 2018 Anhänge von 6.000 Verfahren", bilanziert Vogt nicht ohne Stolz, "und sind mittlerweile runter auf 2.400 Verfahrensanhänge, Stand Ende 2022. Das ist eine Reduzierung um mehr als die Hälfte. Also das war eine beträchtliche Leistung."

Neues Bundesgesetz soll Verfahrensdauer beschleunigen

Auch ein neues Bundesgesetz könnte helfen, die Verfahrensdauer zu verkürzen. Seit dem 1. Januar gilt das Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren. Noch ließen sich die Auswirkungen nicht fundiert einschätzen, so das Justizministerium in einer Antwort auf einen Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag.

Aber vor allen Dingen von der Möglichkeit, nun Asylverfahren auch in einem schriftlichen Verfahren entscheiden zu können, würden Gerichte bereits Gebrauch machen. Das führe, so das Justizministerium, nach Einschätzung von befragten Richterinnen und Richtern zu "einer deutlichen Zeitersparnis und Entlastung".

Das Verfahren des Mannes aus Somalia, der eine Wiederaufnahme seines Asylverfahrens beantragt hatte, um seine Rückführung nach Italien zu verhindern, wurde unterdessen entschieden. Der Antrag wurde abgelehnt, das Verfahren soll nicht wieder aufgenommen werden. Dafür hat das Gericht zwei Jahre gebraucht.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 26.09.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Andreas B. Hewel

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