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Quelle: imago images/Joseffson

Meinung | Berliner Schüler ohne Perspektive

Lernrückstände sind längst nicht mehr unser Problem

Etwa 100.000 Erst- bis Drittklässler gehen ab Montag wieder in die Schule. Der Rest - geschätzte 300.000 Berliner Schüler - schaut vorerst in die Röhre. Zuletzt konnten sie sich immerhin im Schnee verlustieren. Jetzt also öfter mal zum Friseur? Von Sabine Krüger

Ganz ehrlich, dass ich wegen Corona und der Schulsituation noch einmal Schnappatmung bekomme, hätte ich nicht gedacht. Meiner Meinung nach hatte ich die Situation mit dem zweiten Lockdown ganz gut angenommen. Mein Viertklässler kam und kommt den Umständen entsprechend auch halbwegs zurecht.

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Dass Berlin, nachdem es im Januar mit einer Ankündigung für Schulöffnungen vorgeprescht war, etwas ungelenk zurückruderte, hat mich und meine Familie natürlich dennoch mitgenommen. Aber weil die Fallzahlen tatsächlich noch recht hoch waren, hatte ich es verstanden - oder zumindest: versucht, zu verstehen. Und auch versucht, dem Neunjährigen die Sache kindgerecht zu erklären: "Ich weiß, dass ich Dir gesagt habe, dass es jetzt bald wieder losgeht mit der Schule - aber die Politiker mussten sich umentscheiden. Die Ansteckungsgefahr ist einfach zu hoch". Wir sind also, bildlich gesprochen, wieder aufgestanden, haben unsere Krönchen gerichtet und sind weitergelaufen.

Dass im Februar die Klassen ab der vierten bei den Berliner Schulöffnungen immer noch nicht gleich mit dran sind, kann ich auch nachvollziehen. Nach dem Fauxpas im Januar will man sich jetzt zurückhaltend geben - das kann ich irgendwie verstehen. Der Sohn schon auch. Nur als wieder jetzt die Frage kam, wann er und seine Klassenkameraden denn nun dran seien - und wieder die Antwort, dass das noch ungewiss sei, wurde klar: Das mit dem Krönchen und dem Weiterlaufen ist nicht mehr. Um ganz ehrlich zu sein: Das Kind lief ziemlich heiß.

Zum Glück kam der Schnee. Er kühlte die Gemüter. Und wir hatten, neben den Diskussionen, welche Aufgabenblätter aus dem Home-Schooling unbedingt gemacht werden müssen, endlich noch etwas anderes zu tun.

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Was mich jetzt langsam zur Schnappatmung zurückkehren lässt, ist (neben dem schwindenen Schnee) die Tatsache, dass vom Senat zu den anderen Klassen - die es neben 1 bis 3 noch gibt - einfach gar keine Ansagen kommen. Man arbeite noch an einem Stufenplan, hieß es zuletzt. Damit können zwar 100.000 Erst- bis Drittklässler ab Montag zurück in die Schule - alle anderen, grob geschätzt, 300.000 Berliner Schülerinnen und Schüler bleiben nicht nur weiter zuhause, sondern auch komplett im Ungewissen.

Und nicht nur die Tatsache, dass einfach gar nichts kommt, lässt mich hyperventilieren: Es sind auch Aussagen aus der Politik wie die der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek am Montag. Nun müsse man sich aber wirklich dringend um den versäumten Stoff, also die Lernrückstände, kümmern. Von "riesigen Herausforderungen" ist die Rede, von einem Aktionsplan.

Ganz ehrlich: Unser Problem sind schon lange nicht mehr irgendwelche Bildungslücken. Inzwischen ist es nicht nur fast unmöglich geworden, unser Kind überhaupt zum Lernen zu motivieren - sogar das Angebot für Brettspiele wird inzwischen dankend abgelehnt.

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Dazu kommt der tägliche Kampf gegen die drohende Mediensucht. Solange Schnee lag, war alles prima, da war rausgehen angesagt. Jetzt ringe ich wieder gefühlt stündlich um das Familien-Pad. Findig ist das Kind geworden: Die Lern-App Anton durfte es eigentlich immer benutzen - bis ich herausgefunden habe, dass es unbeaufsichtigt nur Erstklässler-Aufgaben gelöst hat, um an die Belohnungen (Spiele spielen) zu kommen.

Nicht Lernrückstände sind unser Thema, sondern die allumfassende Perspektivlosigkeit. Irgendjemand schrieb in den sozialen Medien: Dann nehmen wir die Kinder einfach ab 1. März jede Woche mit zum Friseur. Da wir seit Dezember schon zwei Mal im Zoo und einmal im Tierpark waren, bleibt tatsächlich irgendwann wohl nur noch das.

Beitrag von Sabine Krüger

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