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Video: Abendschau | 18.04.2021 | Petra Gute | Quelle: Pool KNA/Gordon Welters

Kommentar | Gedenkfeier in der Pandemie

Das Gedenken fühlt sich falsch an, obwohl es richtig gemeint ist

Am Sonntag soll Deutschland innehalten und jener gedenken, die in der Pandemie gestorben sind. Die Fahnen auf öffentlichen Gebäuden wehen auf halbmast, es gibt einen Gedenkgottesdienst und eine Feier. Kommt das zum richtigen Zeitpunkt? Von Ulrike Bieritz

Tod und Sterben finden nie zu einem richtigen Zeitpunkt statt. Und einen richtigen Zeitpunkt, um der Toten zu gedenken und die Hinterbliebenen zu trösten, gibt es eigentlich auch nicht. 80.000 Menschen sind an und mit Corona gestorben: oft allein, ohne die Begleitung von Angehörigen, Seelsorgern. Nur das vollvermummte Pflegepersonal war da. Kinder, Enkel, Ehegatten und enge Freunde konnten sich nicht verabschieden, ihren Liebsten nicht in der letzten Stunde die Hand halten, am Grab durften nur wenige stehen, Trauerfeiern fanden nur im kleinsten Kreis statt. Und das ist bis heute so.

Das ist auch das Problem des Gedenkakts: Gelungene Trauerfeiern brauchen Gemeinschaft, und die ist im Moment nur sehr eingeschränkt möglich. Auch in der Kirche und im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, wenn nur fünf Politiker und zehn Hinterbliebene mit Abstand zusammen sind.

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"Den Hinterbliebenen das Gefühl geben: Ihr seid nicht allein"

Der Tod ist mitten in unseren Alltag gerückt, wenn wir jeden Morgen in den Nachrichten die neusten Zahlen erfahren, und doch ist er weit weg, sind Hinterbliebene allein in ihrem Schmerz. Es ist schlimm, wenn das Letzte, was von Vater, Schwester, Onkel gesehen wurde, die zuklappende Rettungswagentür war.

Den Verstorbenen und den Lebenden Raum zu geben, in dieser – für alle – extremen Zeit ist richtig. Sie in die Mitte zu holen, ihrer zu gedenken, den Hinterbliebenen das Gefühl zu geben: Ihr seid nicht allein, wir sind mit und bei euch, kann guttun. Es geht darum, für einen Tag innezuhalten.

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"Immer noch sterben Menschen allein, ohne Beistand"

Und doch fühlt es sich falsch an. Genauso wie das abendliche Klatschen für die Pflegekräfte im ersten Lockdown, das gemeinsame Singen von den Balkonen, die Kerzen in den Fenstern.

Wir sind mitten in der Pandemie. Ein Ende ist nicht abzusehen. Die Politik plant noch schärfere Maßnahmen. Die Inzidenzen steigen, die Intensivstationen werden voller, die Krankheitsverläufe schwerer. Die Folgen von Corona sind vielfältig: Häusliche Gewalt nimmt zu, viele sind erschöpft, andere habe genug von den Einschränkungen und ignorieren sie. Ärzte und Pfleger arbeiten über der Belastungsgrenze – und immer noch hat sich vielerorts an strengen Besuchsregeln in Krankenhäusern und Pflegeheimen nichts geändert – trotz der Impfungen. Immer noch sterben Menschen allein, ohne Beistand, werden Angehörige außenvor gelassen – das hat nachhaltige Folgen.

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"Wir sind aber noch mittendrin in der Katastrophe"

So löblich die Idee des Bundespräsidenten ist, das Land zu einen in der Trauer, um damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, so falsch wirkt der Zeitpunkt und das Anliegen eines staatlich angeordneten Trauerns.

Es ist üblich, nach großen Katastrophen solche Gelegenheiten zu schaffen – wir sind aber noch mittendrin in der Katastrophe.

Zum Trost, den Religionen bieten können, gehört das nach Vorne schauen. Das fällt schwer in diesen Tagen, wo niemand weiß, wie es mit der Pandemie weitergeht, wo die Politik gerade neue Einschränkungen beschließt, die Langzeitfolgen, nicht nur für die Gesundheit, nicht absehbar sind.

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"Das Gedenken fühlt sich falsch an, auch wenn es richtig gemeint ist"

Ein staatlich angeordnetes Gedenken lindert keine Not oder Existenzangst, macht nicht weniger traurig und sorgt nicht dafür, dass Sterben in diesen Zeiten keine einsame Angelegenheit mehr ist. Es mag für einen Tag ein gutes Gefühl sein, dass Sterben und Tod im Mittelpunkt stehen – aber dann?

Dann geht der Kampf um Notbremsen und Ausgangssperren weiter, dann sind die Verstorbenen wieder eine Zahl in den morgendlichen Nachrichten, dann geht es so aus, wie mit dem Klatschen für die Pflegekräfte.

Und deshalb fühlt sich das Gedenken gerade jetzt so falsch an, auch wenn es richtig gemeint ist.

Ich erwarte von der Politik und den Kirchen, dass sie sich nach der Trauer um die Verstorbenen, um die Lebenden kümmern, um die Opfer von Gewalt und um diejenigen, deren Liebsten im Sterben liegen, und die sie immer noch nicht begleiten dürfen oder nur für kurze Zeit mal im Krankenhaus sehen.

Und dass es, wenn alles vielleicht irgendwann vorbei ist, ein Aufarbeiten all der Dinge gibt, die schief gelaufen sind– eine Entschuldigung und vor allem, dass daraus gelernt wird.

Menschen dürfen nicht allein gelassen werden im Sterben und Angehörige sollen ihre Liebsten nicht allein lassen müssen. Punkt.

Sendung: rbb|24, 18.04.2021, 10:15 Uhr

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