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Regional verzerrte 7-Tage-Inzidenz

Warum die Notbremse nicht alle gleich behandelt

Hier so, da so – zwischen den Bundesländern herrschten lange absurde Unterschiede bei der Pandemiebekämpfung. Die Bundesnotbremse sollte das ändern. Doch die Datengrundlage für die 100er-Inzidenz-Regel steht auf wackeligen Füßen. Von Haluka Maier-Borst

Seit Monaten das gleiche, mitunter absurde Bild: Kaum haben sich die Landeschefs und -chefinnen in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mühsam auf gemeinsame Regeln geeinigt, werden diese wenige Tage, ja teils Stunden später wieder aufgeweicht. So geschehen zum Beispiel im Fall von Brandenburg, das kurzerhand entschloss, erst ab einer Inzidenz von 200 Maßnahmen verpflichtend zu machen – obwohl der MPK-Beschluss die Grenze bei 100 zog.

Die Bundesnotbremse soll dem ein Ende setzen. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 an drei fortlaufenden Tagen müssen Landkreise eingreifen und strengere Maßnahmen treffen. Dafür ist wieder mehr Normalität erlaubt, sobald an 5 Werktagen die Inzidenz unter 100 liegt.

Doch genau diese 7-Tage-Inzidenz zeigt regional gewaltige Ungleichheiten – obwohl sie vom Robert-Koch-Institut (RKI) als Bundesbehörde herausgegeben wird. Das zeigt eine Analyse vom Datenjournalismus-Team des Bayrischen Rundfunks [tagesschau.de], das seine Ergebnisse vorab mit rbb|24 teilte.

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Es fehlt vielen Ämtern ein "Extratag"

Das Problem ist, dass die Gesundheitsämter mal mehr, mal weniger vollständige Daten für den laufenden Tag ans RKI übermitteln. Während es bei einigen Ämtern nur minimale Nachmeldungen gibt, ist es zum Beispiel im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf das Gegenteil.

Würde man dort mit einem Extratag Puffer die 7-Tage-Inzidenz berechnen, sprich an einem Mittwoch erst alle bis Montag diagnostizierten Fälle betrachten, wäre die Inzidenz mehr als 11 Prozent höher. Schaut man sich dann die Auswirkungen auf die Notbremsen-Marke der 100er- Inzidenz an, so hätte man seit dem 1. März nicht nur an 14 Tagen die 100er Marke gerissen – sondern an 33 Tagen.

Auch der Umstand, dass Berlin als eine Stadt zählt und nur als Ganzes die Marke reißen kann, macht es kaum besser. Denn auch die anderen Bezirke verzeichnen Inzidenzen, die wohl um fünf und mehr Prozentpunkte zu niedrig sind.

Einen Grund für diese teils massiven regionalen Unterschiede hat unter anderem der Spiegel schon im Herbst beschrieben [spiegel.de]: Jedes Bundesland fasst zu anderen Zeiten seine Zahlen zusammen und übermittelt sie.

So hat Brandenburg seinen Meldeschluss um 19 Uhr und übermittelt bis 20 Uhr die Fälle der letzten 24 Stunden nach Prüfung an das RKI. Das hat den Vorteil, dass man sehr vollständige Daten für den laufenden Tag übermittelt, aber zum Beispiel der aktuelle Lagebericht für die Landesregierung erst am Abend vorliegt.

Hamburg dagegen zählt laut Spiegel schon am Morgen alle Fälle zusammen und übermittelt sie dem RKI gegen Mittag. Dieser Lagebericht ist also minimal aktueller. Andererseits ist es so, dass Fälle, die in Hamburg am Nachmittag eintrudeln, erst mit einem Tag Verspätung zum RKI kommen.

Das für sich genommen wäre kein Problem, würde das RKI alle übermittelten Fälle der letzten sieben Tage zusammenzählen und die Inzidenz errechnen. Doch das tut die Behörde nicht. Sie schaut auf das Meldedatum, also wann der Fall diagnostiziert wurde.

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Von 6-Tage- und 7-Tage-Inzidenzen

Genau das führt aber dazu, das in Brandenburg noch Fälle des aktuellen Nachmittags einfließen können, in Hamburg aber nicht. De facto sind also manche der Inzidenzen 6-Tage-Inzidenzen anstatt 7-Tage-Inzidenzen. Ein Umstand, der unter Epidemiologen in verschiedenen Behörden für Unmut sorgt.

So sprach bei einer Sitzung von Landesgesundheitsbehörden und RKI ein Teilnehmer die Diskrepanz offen an. Man habe einheitliche Grenzwerte, aber keine einheitliche Methode für die Übermittlung. Und so zeigt sich ein bundesweiter Flickenteppich, wo mal die Abweichungen fast null sind oder wie eben im Fall von Steglitz-Zehlendorf besonders hoch.

Doch nicht nur zwischen den Bundesländern, auch auf Kreisebene gibt es deutliche Differenzen bei den Inzidenzen - je nach dem, ob man den laufenden Tag mit einrechnet wie das RKI, oder noch einen zusätzlichen Puffertag nutzt. Das zeigt sich auch in Berlin und Brandenburg.

Während Dahme-Spreewald sechs zusätzliche Tage über 100 verzeichnen würde, würden Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße durch Korrekturen sogar einen Über-100er-Tag weniger auf dem Konto haben. In Berlin ist die Diskrepanz zwischen den Bezirken noch größer. Während es in Steglitz-Zehlendorf die angesprochene Differenz von 19 Tagen gibt, ist sie im benachbarten Spandau bei null.

Die Gründe für diese Diskrepanzen innerhalb von Berlin und Brandenburg können vielfältig sein, sei es Personalmangel in den Ämtern, Unterschiede in der technischen Ausstattung oder auch die Frage, ob vor allem Testzentren oder Einzelpraxen die Fälle übermitteln. Und natürlich nicht zuletzt wie nah man aktuell bei den Inzidenzen an der 100er Marke ist.

Dass es mehr Angleichung bei der Übermittlung der Fälle bräuchte, scheint jedenfalls inzwischen auch den Verantwortlichen klar zu sein. Berlin hat sich Anfang des Monats entschieden, seine Zahlen im gleichen Rhythmus wie das RKI zu veröffentlichen. Und auch beim RKI wird diskutiert, den zusätzlichen Puffer-Tag bei der Berechnung der 7-Tage-Inzidenzen mit einzubeziehen. Ergebnis offen.

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