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Audio: Inforadio | 14.02.2022 | Wolf Siebert | Quelle: dpa/M. Murat

Interview | Impfpflicht in der Pflege

"Ungeimpfte aus dem Verkehr zu ziehen, könnten wir als Pflegedienst nicht aushalten"

Bis Dienstag müssen Beschäftigte im Pflegebereich nachweisen, dass sie vollständig gegen Corona geimpft sind. Ein Berliner Pflegedienst-Inhaber hat nur wenige ungeimpfte Mitarbeiter. Im Interview erklärt er, warum er diese trotzdem nicht entbehren kann.

Bis zum 15. März müssen Beschäftigte im Pflegbereich ihrem Arbeitgeber nachweisen, dass sie vollständig gegen Corona geimpft oder genesen sind oder sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Ab dem 16. März gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen. Arbeitgeber müssen nicht geimpfte Beschäftigte laut Infektionsschutzgesetz melden, die Gesundheitsämter können Konsequenzen ziehen.

rbb|24: Herr Wiegel-Herlan, wie arbeitet Ihr ambulanter Pflegedienst?

Wiegel-Herlan: Grundsätzlich haben wir mehrere Touren mit examinierten und nicht examinierten Pflegekräften, die dann Leistungen der häuslichen Pflegehilfe und der häuslichen Krankenpflege erbringen. Und wir haben auch noch sogenannte Alltagshelfer. Sie gehen zum Beispiel für die älteren Menschen einkaufen, begleiten sie zu Arztbesuchen, machen in der Wohnung sauber, also alles Dinge, die ältere Menschen häufig nicht mehr alleine machen können.

zur person

Wie viele Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geimpft beziehungsweise ungeimpft?

Von unseren 60 Leuten sind vier ungeimpft, also 56 geimpft. Ja, die vier sind natürlich meine Sorgenkinder. Ich habe mit ihnen gesprochen und auch zum Teil E-Mail-Korrespondenzen zu dem Thema geführt. Bei einer bin ich hoffnungsfroh, dass sie sich noch impfen lassen wird, bei den anderen nicht. Die sind überzeugt, dass die Impfung jetzt nicht der richtige Weg für sie ist.

Gab es Kritik oder wurde die Entscheidung der Ungeimpften seitens ihrer ungeimpften Kolleg:innen akzeptiert?

Empfindlichkeitsreaktionen habe ich nicht wahrgenommen. Da herrscht zwar Unverständnis, aber auch Toleranz für den individuellen Weg, den die Leute gehen. Ich finde übrigens die Argumente gegen eine Impfpflicht in der Pflege überzeugender als die Pro-Argumente. Ich würde deshalb eine Impflicht für Leute über 60 Jahre für sinnvoller halten, weil die am stärksten gefährdet sind. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt in dieser Weise unter Druck zu setzen, halte ich für nicht zielführend.

Wissen Ihre Klienten, wer von Ihren Mitarbeiter:innen geimpft oder nicht geimpft ist?

Wir informieren die Patienten und Patientinnen nicht über den Impfstatus der Leute, die wir da einsetzen. Da würden wir irre werden. Vor allem zu Beginn der Pandemie haben die Patientinnen und Patienten schon mal gefragt. Aber inzwischen ist es eher selten. Manchmal ist es andersherum: Patienten oder Patientinnen, die selbst infiziert sind, informieren uns und sagen, dass besser erst mal keiner zu ihnen kommen soll.

Wie oft werden Ihre Mitarbeiter:innen getestet?

Also die Geimpften, werden – wenn sie im Einsatz sind – alle zwei Tage getestet, die Ungeimpften jeden Tag.

In Krankenhäusern und Pflege

Berlin will einrichtungsbezogene Impfpflicht "konsequent" umsetzen

Ab 16. März gilt bundesweit eine Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen. Berlin möchte das konsequent umsetzen. Die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen soll dadurch aber nicht gefährdet werden.

Ab dem 16. März müssen Sie die Ungeimpften der Behörde melden. Werden Sie das tun?

Ich werde diejenigen, die dann noch nicht geimpft sind, dem Gesundheitsamt melden. Ich werde das aber mit dem Votum verbinden, sie auf gar keinen Fall aus dem Verkehr zu ziehen, weil wir das als Pflegedienst überhaupt nicht aushalten könnten. Denn man muss ja die Risiken gegeneinander abwägen. Auf der einen Seite haben wir das Infektionsrisiko, was ein potenzielles Risiko ist. Wenn aber vier Leute nicht mehr zur Arbeit kommen können, dann haben wir ein akutes Risiko, was sich unmittelbar auswirkt. Soll heißen: Wir müssten wahrscheinlich eine Pflegetour auflösen und zehn oder fünfzehn Pflegeaufträge kündigen und zwar mit sofortiger Wirkung, weil wir sie gar nicht mehr bedienen könnten.

Zwei Wochen vor Stichtag

Mitarbeitende im Berliner Gesundheitswesen sehen bei Impfpflicht noch offene Fragen

Zwei Wochen noch, dann soll sie kommen: Die Impfpflicht für Mitarbeitende in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder bei der Feuerwehr. Doch in Berlin scheinen nach wie vor entscheidende Fragen offen zu sein. Von Franziska Hoppen

Die Berliner Gesundheitssenatorin Gote hat in einem rbb-Interview angekündigt, dass die "Versorgungssicherheit" im Vordergrund stehen wird, also die Versorgung der Patient:innen. Dennoch: Wie schätzen Sie das medizinische Risiko durch Ihre ungeimpften Mitarbeiter:innen ein?

Wir halten uns natürlich strikt an die Hygieneregeln, die in diesem Zusammenhang einzuhalten sind, auch die Pflegedienstleitung achtet da sehr darauf. Ich kann aber sagen: Auch die ungeimpften Mitarbeiter haben da ein sehr hohes Problembewusstssein und sind natürlich ganz besonders vorsichtig. Insgesamt haben wir überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass jemals ein Patient durch eine unserer Mitarbeiterinnen infiziert worden ist. Umgekehrt schon eher. Kürzlich hatten wir einen Fall, da hat eine Patientin ihren 90. Geburtstag im Kreise der Familie gefeiert. Da waren auch Kindergartenkinder dabei, die dann die Seuche eingeschleppt und die Uroma infiziert haben. Auf diesem Wege ist dann wahrscheinlich eine unserer Mitarbeiterinnen infiziert worden. Die war ungeimpft und ist dann eben 14 Tage ausgefallen.

Sie können also guten Gewissens sagen: Es ist vertretbar, auch nach Einführung der Einrichtungsbezogenen Impfpflicht ungeimpfte Mitarbeiter:innen einzusetzen?

Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Das Risiko der gegenseitigen Infektion hat sich durch die Änderung der Gesetzeslage nicht verändert. Wir setzen diese Leute ja auch jetzt ein. Das Risiko war und ist vorher und nachher das gleiche. Wir haben bisher geglaubt, es vertreten zu können, ungeimpfte Leute zu den Patienten zu schicken, und das glauben wir auch weiterhin.

Fühlen Sie sich seitens der Behörden, also vor allem von der Gesundheitsverwaltung, gut informiert über die Abläufe nach dem 16. März?

Die Ankündigung, dass ab 16. März die Meldepflicht eintritt, ist ja schon vor vielen Wochen erfolgt, sodass wir uns jedenfalls mental und emotional gut darauf vorbereiten konnten. Wie schnell das Gesundheitsamt dann entscheidet, ob ein Mitarbeiter gesperrt wird oder nicht, da mache ich mir keine Sorgen. Solange es keine Entscheidung gibt, kann ich so weitermachen wie bisher. Erst wenn eine dezidierte Mitteilung des Gesundheitsamtes käme, dass einzelne Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden dürfen, dann könnte ich mich damit auseinandersetzen. Unklar ist ja auch, ob diese Sperre dann sofort gelten würde.

Gote konkretisiert Pläne

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Die Berliner Gesundheitssenatorin hat Details zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht mitgeteilt. Ungeimpfte Mitarbeiter sollen zentral bei einer Stelle des Lageso gemeldet werden. Man wolle konsequent sein, die Versorgungssicherheit aber immer im Blick behalten.

Dennoch gibt es für Ihren Pflegedienst eine gewisse Unsicherheit, weil Sie nicht wissen, wie das Gesundheitsamt entscheiden wird. Können Sie zurzeit guten Gewissens neue Pflege-Aufträge annehmen?

Das machen wir schon. Wir sind natürlich grundsätzlich optimistisch, dass wir so weiterarbeiten können wie bisher, zumal wir auch immer eine gewisse Fluktuation in unserem Patienten-Bestand haben. Wir lassen es jetzt erst einmal darauf ankommen. Und die Leute haben ja auch einen hohen Bedarf ein an Pflege. Wir können die Anfragen, die wir bekommen, gar nicht alle bedienen. Wir haben eine Liste, wo immer ein Dutzend Patienten darauf warten, unsere Dienste in Anspruch nehmen zu können.

Was halten Sie generell von der Einrichtungsbezogenen Impfpflicht?

Ich verstehe durchaus, dass die Einrichtungsbezogene Impfpflicht erwogen und beschlossen worden ist. Dafür gibt es durchaus Argumente. Ich finde aber die Gegenargumente entscheidender.

Vielen Dank für das Gespräch

Mit Hanfried Wiegel-Herlan sprach Wolf Siebert.

Sendung: Inforadio, 15.03.2022, 06:10 Uhr

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