#Wiegehtesuns? | Alleinerziehend und arbeitslos in der Inflation - "Meine Zahnversicherung ist jetzt gekündigt - das spart uns zumindest 35 Euro im Monat"

So 24.07.22 | 10:50 Uhr
Symbolbild: Familien von Armut bedroht (Quelle: imago/Ute Grabowsky)
Bild: www.imago-images.de

Aus gesundheitlichen Gründen muss Marisa ihren Beruf als Sozialarbeiterin aufgeben. Seit Monaten kommen sie und ihr Sohn nur noch mit Hilfe von Lebensmittelspenden über die Runden. Unterkriegen lässt sie sich aber nicht. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Marisa schaut nicht weit in die Zukunft, sie lebt im Hier und Jetzt. Die aktuell immer weiter steigenden Preise bereiten ihr als alleinerziehenden Mutter ohne Job Sorgen. Wie sie über die Runden kommt und wer sie dabei unterstützt, erzählt sie hier.

1.400 Euro habe ich für mich und meinen Sohn im Monat zur Verfügung. 830 Euro davon bekomme ich vom Arbeitsamt, dazu kommen noch Kindergeld und Unterhalt. Das meiste Geld ist aber schon wieder weg, kurz nachdem es auf meinem Konto angekommen ist: 625 Euro zahle ich für die Miete, 18 Euro für Haftpflicht- und Hausratversicherungen, 13 Euro fürs Handy. Dazu kommen noch Strom- und Internetkosten, Kosten für das Kabelfernsehen und drei Euro, die ich jeden Monat an das Tierheim spende.

Unterm Strich haben wir 130 Euro zur freien Verfügung - und davon müssen wir alles stemmen: Klamotten, Freizeitaktivitäten oder den neuen Schulrucksack. Gerade in den Zeiten, in denen ich die komplette Garderobe meines Sohnes aufbessern muss, weil er wieder einen Wachstumsschub hatte, sind 130 Euro sehr wenig.

Ich habe früher immer so 200 Euro Haushaltsgeld eingerechnet - für Essen, Putzmittel, Waschmittel und was sonst noch so anfiel. Das ist heute überhaupt nicht mehr möglich. Ich komme eigentlich nur noch über die Runden, weil ich die Hilfe der Arche habe.

Heutzutage hast du das Gefühl, das Geld ist nichts mehr wert. Was sind schon 130 Euro, bei dem was das Leben kostet?

Wir Eltern wissen mittlerweile, dass Montag der Tag ist, an dem die Arche im Wedding Lebensmittelspenden ausgibt. Wir melden uns dann bei der Leitung an und können zur Lebensmittelausgabe kommen. Meistens hat das Team für uns schon Boxen mit Lebensmitteln zusammengestellt. Wir packen die dann in unsere Tüten um und können die Lebensmittel kostenlos mit nach Hause nehmen. Da ist von frischem Fisch über Fleisch, Milch, Bio- und vegane Produkte bis hin zum Duschgel alles mit dabei, was du eigentlich brauchst zum Leben.

Wenn ich sehe, dass wir von der Arche Nudeln oder sogar Fleisch bekommen haben, denke ich als erstes eigentlich immer nur wow!

Wenn ich montags sehe, dass wir von der Arche Nudeln oder sogar Fleisch bekommen haben, denke ich als erstes eigentlich immer nur "Wow!". Manchmal kaufe ich dann noch ein bisschen Gemüse dazu, wenn das nicht sogar auch schon in der Tüte ist. Dann kann ich für mich und meinen Sohn sogar noch eine schöne Soße kochen.

Mittlerweile merke ich aber immer mehr: Ich habe 15 Sachen im Einkaufswagen und zahle dann locker mal 45 Euro. Das macht einfach keinen Spaß mehr und es tut auch richtig weh, an der Kasse zu stehen. Ich versuche also immer vorausschauend zu wirtschaften, Prospekte zu wälzen und Preise miteinander zu vergleichen. Anders geht es nicht mehr.

Einfach mal spontan aus der Laune heraus eine Pizza bestellen - das ist purer Luxus mittlerweile und nicht oft drin. Natürlich möchten wir auch mal eine essen, aber wenn da mal noch eine Beilage dazu kommt, sind wir locker wieder 30 Euro los.

Unser Essverhalten hat sich in der letzten Zeit durch die steigenden Preise also sehr geändert. Ich kaufe zwar frische Sachen, aber wir essen viel weniger Fleisch, was ja auch gut ist. Es ist so teuer geworden, selbst das - ich nenne es mal so - Arme-Leute-Fleisch, sprich Hackfleisch. Ich bin fast aus allen Wolken gefallen, als es hieß, 500 Gramm Hackfleisch sollen fünf Euro kosten. Vorher habe ich es für die Hälfte bekommen. Die Preise sind zwar vorher schon kontinuierlich gestiegen, aber als das jetzt mit der Wirtschaftskrise angefangen hat, gab es nochmal einen Aufschlag von zwei Euro und mehr.

Ich habe mir richtig antrainieren müssen, nicht ständig in Sorge leben zu müssen.

Ich gucke also immer, wo Hackfleisch im Angebot ist, dann wird es in Gefrierbeutel eingeteilt und kommt direkt in den Gefrierschrank.

Bei anderen Sachen geht das aber natürlich nicht. Mein Sohn brauchte vor Kurzem einen neuen Schulrucksack. Da hat sich gezeigt: wer billig kauft, kauft zweimal. Und wenn du dann nach Rucksäcken guckst, die wirklich was hergeben - dann tut es echt weh. Ich glaube, ich bin mit 45 Euro noch echt ganz gut dabei weggekommen. Bei dem, was ich aber insgesamt im Monat habe, hat mich das an meine Grenzen gebracht.

Ich habe zwar auch bei der Arche gefragt, ob sie im Moment noch einen Rucksack auf Lager haben oder ob es jemanden gibt, der eventuell einen sponsern könnte. Aber da habe ich zehnmal überlegt, ob ich überhaupt frage. Es ist wirklich kein tolles Gefühl, andere Menschen um etwas bitten zu müssen.

Wenn ich die Nachrichten sehe, ist zwar irgendwie beruhigend, zu sehen, dass ich nicht alleine bin. Hunderttausend anderen geht es ja genauso. Andererseits kann ich vieles in den Medien auch nicht mehr verfolgen, weil mir die vielen Meldungen Angst machen. Ich habe mir richtig antrainieren müssen, nicht ständig in Sorge zu leben.

Immer klappt das natürlich nicht: Es kommt schonmal der Gedanke an das nächste Jahr, wenn im März oder April die Nebenkostenabrechnung kommt. Bis dahin habe ich aber hoffentlich zumindest ein bisschen Geld zurücklegen können. Das klappt, weil ich an anderer Stelle wieder spare. Meine Zahnversicherung ist jetzt gekündigt - das spart uns zumindest 35 Euro im Monat. Ein bisschen was versuche ich also schon für den Fall der Fälle zurückzulegen. Ich lebe aber natürlich auch im Moment - und in dem muss ich über die Runden kommen - und da freue ich mich über 35 Euro mehr im Monat.

Für mich ist das jetzt eine Art Überbrückungszeit. Ich arbeite darauf hin, wirklich wieder so fit und gesund zu sein, um arbeiten zu können. Irgendwann, hoffe ich, kommt das Gehalt wieder rein und dann ist diese Zeit vorbei. Es geht uns gut, wir haben alles, was wir brauchen. Trotzdem kommen manchmal diese Gedanken hoch, wie sehr es mich nervt, immer zweimal darüber nachdenken zu müssen, ob diese oder jene Selbstverständlichkeit jetzt drin ist oder nicht.

Gesprächsprotokoll: Kristina Schlick

Sendung: rbb 88.8, 21.07.2022, 17:10 Uhr

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