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Audio: rbb24 Inforadio | 12.10.2022 | Thorsten Gabriel | Quelle: imago/P.Meiflner

Umbau in Berlin-Mitte

Kritik an Senatsbaudirektorin wegen Gestaltung des Molkenmarkts wächst

Beim Gestaltungswettbewerb für den Molkenmarkt gab es Mitte September für viele überraschend keinen Sieger. Die Senatsbaudirektorin beteuert: Das war auch nie so geplant. Doch Text- und Bilddokumente lassen daran zweifeln. Von Thorsten Gabriel

Es geschieht in den Morgenstunden des 12. September 2022. Auf einer eigentlich unspektakulären Webseite ändert ein Mitarbeiter der "DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH" einen einzigen, aber doch entscheidenden Satz, der bis dahin dreieinhalb Wochen lang dort zu lesen war. Warum er ihn ändert und in wessen Auftrag, ist bis heute ebenso unklar, wie das Motiv dahinter: Sollte hier lediglich ein Fehler korrigiert oder womöglich etwas verschleiert werden? Mehrere Indizien sprechen jedenfalls dafür, dass hier nicht ein Flüchtigkeitsfehler korrigiert werden sollte. Doch der Reihe nach.

Keine Entscheidung seit den 1990er Jahren

Zukunft des Molkenmarktes bleibt weiter offen

Seit Anfang der 90er Jahre überlegt Berlin, was aus dem Molkenmarkt in Mitte werden soll. Etliche Diskussionen gab es schon, nun lagen einem Preisgericht endlich zwei finale Entwürfe vor. Doch eine klare Entscheidung blieb aus. Von Sebastian Schöbel

Es geht um den Werkstatt-Prozess zur Neugestaltung des Berliner Molkenmarkts - einem gewaltigen, auf Jahre angelegten Bauvorhaben in der historischen Mitte Berlins. Am 17. August 2022 wird auf der eigens zum Werkstattverfahren eingerichteten Webseite molkenmarkt.berlin.de eine Einladung zu einem "digitalen Bürgerabend" veröffentlicht: Am 12. September gebe es "letztmalig im Rahmen des Werkstattverfahrens" die Möglichkeit, sich über die verbliebenen zwei Entwürfe für das geschichtsträchtige Areal zu informieren.

Auf der Grundlage dieser Präsentation würde sich die Jury am Folgetag beraten. Und dann folgt der entscheidende Satz: "Ziel ist es, einen Siegerentwurf für das Molkenmarkt Quartier zu bestimmen, der anschließend als Grundlage für weitere Planungen dienen soll."

Die Nicht-Entscheidung war kein Jury-Unfall

Aus zwei Entwürfen soll einer ausgewählt werden – anders lässt sich dieser Satz kaum interpretieren. Das ist die Zielvorgabe. Doch genau das geschieht am Tag nach der Präsentation nicht. Die Jury fällt keine Entscheidung zugunsten eines Entwurfs. Kann vorkommen, wenn mehr als 20 Sachverständige sich auf der Zielgeraden einigen sollen ­– könnte man meinen. Doch es zeigt sich: Dass es so kam, war kein Jury-Unfall am Abend des 13. September. Diese Nicht-Entscheidung wurde vorher angebahnt.

Keine zehn Stunden vor dem digitalen Bürgerabend am 12. September wird der besagte Satz klammheimlich von der Webseite getilgt und durch einen anderen ersetzt. Die Meta-Daten der Webseite verraten nicht nur das Datum, sondern auch die Uhrzeit der Änderung: Seit 07.45 Uhr und 53 Sekunden steht dort nun stattdessen der Satz: "Ziel ist es, zu den Entwürfen der beiden Planungsteams, welche sich gemäß der Auslobung in einem vorgeschalteten offenen Wettbewerb 2021 als erste Preisträger für dieses Verfahren qualifiziert haben, Empfehlungen für die folgenden Planungsprozesse zu formulieren."

Petra Kahlfeldt ist seit Dezember 2021 Senatsbaudirektorin in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen | Quelle: imago/S.Gudath

Per "Wayback Machine" zum Originaltext

Verantwortet wird die Webseite vom Wiesbadener Beratungsunternehmen DSK, das den Senat beim Molkenmarkt-Prozess unterstützt. Da die Zeitzonen-Angabe in den Metadaten der Webseite nicht eindeutig ist, kann es auch sein, dass die Änderung erst zwei Stunden später geschah. Aber sie geschah am Morgen jenes 12. September. Vom Ziel, einen Siegerentwurf zu küren, ist seitdem dort nichts mehr zu lesen.

Dass dieser Satz geändert wurde, hatte zuerst die "Berliner Zeitung" berichtet. Über den Zeitpunkt dieser Änderung hatte sie im Interview mit der Senatsbaudirektorin allerdings nur spekuliert, dass dieser nach dem 6. September gelegen haben müsse.

Dass sich überhaupt nachweisen lässt, dass es die Ursprungsfassung gab, ist einem Zufall zu verdanken: Am 6. September machte die Internetarchiv-Seite "Wayback Machine" ihren ersten und bislang einzigen "Schnappschuss" der besagten Molkenmarkt-Webseite. Dort ist, anders als auf der aktuellen Seite, noch von der Siegerkür die Rede.

Protestaufruf mit mehr als 230 Erstunterzeichnenden

Auf einer Pressekonferenz am 14. September sind sowohl die Jury-Vorsitzende Christa Reicher als auch Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt darum bemüht, den Eindruck zu erwecken, es sei nie geplant gewesen, einen endgültigen Sieger zu ermitteln. Kahlfeldt sagt, die Jury habe lediglich auf Basis der Entwürfe Empfehlungen für den weiteren Prozess erarbeiten sollen. So sei es auch in der Auslobung des Wettbewerbs formuliert gewesen. "Unsere Aufgabe war nicht, einen Sieger zu küren", assistiert ihr die Preisgerichtsvorsitzende Reicher.

Die öffentlichen Reaktionen auf diese Nicht-Entscheidung schwanken zwischen Verwunderung (bei mindestens einem der Wettbewerbsteams) und Empörung (in Fachwelt und Politik). Zwei Wochen später gibt es den Aufruf eines Bündnisses, das die Ernennung eines klaren Siegers fordert [berlin-plattform.de]. Der Aufruf hat aus dem Stand mehr als 230 Erstunterzeichnende: Architektinnen, Stadtplaner, Wissenschaftlerinnen und soziale Organisationen sind dabei und auch die Politik – mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Regierungsreihen.

Streit um Höhe

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Linke: Kahlfeldt als Senatsbaudirektorin "nicht weiter tragbar"

Am lautesten ist die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg. Sie hält Petra Kahlfeldt vor, als Senatsbaudirektorin "nicht weiter tragbar zu sein" [berliner-zeitung.de]. Aus dem Vorwurf, Kahlfeldt habe das Molkenmarkt-Verfahren "manipuliert", habe sie nur "fachlich entsprechende Schlüsse gezogen", so Gennburg gegenüber dem rbb. Wenige Tage nach der denkwürdigen Pressekonferenz zum Ausgang des Verfahrens, hatte Gennburg noch gesagt, es gehe jetzt darum, dass die Senatsbaudirektorin und alle anderen Beteiligten deutlich machen müssten, dass in dem Verfahren "keine illegitimen Dinge gemacht wurden".

Genauso verärgert, wenn auch zurückhaltender in der Wortwahl, zeigt sich der Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Julian Schwarze, gegenüber dem rbb. Die "Erzählung", dass es nie beabsichtigt gewesen sei, einen Siegerentwurf auszuwählen, treffe so nicht zu, konstatiert auch er unter Verweis auf die veränderte Webseiten-Information. Und er ergänzt: "Welche Rolle Frau Kahlfeldt dabei persönlich gespielt hat, ist eine der Fragen, die jetzt zu klären ist."

Kahlfeldt: "Ich bin mir überhaupt nicht im Klaren, was Sie meinen"

Die seit einem Monat in der Kritik stehende Senatsbaudirektorin zeigt sich beim Thema Molkenmarkt dünnhäutig. Immer wieder bringt sie in Interviews zum Ausdruck, man solle ihr doch keine bösen Absichten unterstellen. Das wird auch am Abend des 11. Oktobers deutlich. Da ist Kahlfeldt beim BDA, beim Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, zum "Stadtgespräch" eingeladen. Die Veranstaltung soll Auftakt für eine ganze Reihe von Gesprächsabenden mit ihr sein. Das Pikante: Der BDA hat den Protestaufruf zum Molkenmarkt ebenfalls unterzeichnet.

Als sie aus dem Publikum heraus mit dem Vorwurf konfrontiert wird, sie habe Verfahrensabläufe über den Haufen geworfen und damit das Vertrauen in Beteiligungsprozesse zerstört, weist sie das zurück: "Ich bin mir überhaupt nicht im Klaren, was Sie meinen", erwidert sie. Das Verfahren zum Molkenmarkt habe "exakt nach Auslobung" stattgefunden. Sie beruft sich dabei auf eine Passage im Auslobungstext [stadtentwicklung.berlin.de], in der es auf Seite 114 heißt: "Das Preisrichtergremium gibt zum Ende des Werkstattverfahrens im Rahmen des Abschlusskolloquiums eine schriftliche Empfehlung für die weitere Bearbeitung der Planungsaufgabe."

"Wo Menschen sind, passieren auch Fehler"

Vorgehalten wird ihr allerdings seit Wochen immer wieder ein anderer Satz aus der Auslobung, gleich vorn auf Seite 9. Dort ist nämlich zu lesen: "Zum Abschluss des Werkstattverfahrens tritt das Preisgericht erneut zusammen und berät über die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt."

Darauf angesprochen weicht sie regelmäßig aus. Auch nach der Veranstaltung beim BDA behauptet sie gegenüber dem rbb zunächst, im Auslobungstext sei nicht von der Auswahl eines einzelnen Entwurfs die Rede. Auf weiteres Nachhaken erklärt sie dann: "Das ist eine Inkonsistenz. Auf irgendeiner Seite wird es tatsächlich so dargestellt, aber wissen Sie: Wo Menschen sind, passieren auch Fehler."

Seit zwei Jahren – so habe ihr dies auch ihre eigene Verwaltung bestätigt – sei das Verfahren genau darauf angelegt gewesen, dass es nach einer "vertieften Erarbeitung der Wettbewerbsaufgaben" für die beteiligten Architekturbüros zu Ende ginge – ohne Votum für einen einzelnen Sieger. Haben also viele Fachleute den Werkstattprozess einfach nur missverstanden? Das ist die Deutungsmöglichkeit, die Kahlfeldt anbietet.

Ein Video wirft Fragen auf

Ginge es nach ihr könnte man die ganze Aufregung also als Missverständnis abhaken, den Blick nach vorn richten und danach fragen, wie es nun am besten weitergehen kann – gäbe es da nicht diesen YouTube-Clip [youtube.com]. Es ist der Mitschnitt einer Veranstaltung vom 14. April 2022. "Zwischenkolloquium Werkstattverfahren Molkenmarkt" heißt es.

Gleisdreieckpark in Berlin

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Sieben, bis zu 90 Meter hohe Gebäude sollen im Herzen Berlins entstehen. Anwohner sehen die Dimension des Projekts kritisch. Aber auch, dass in den Neubauten keine Wohnungen vorgesehen sind. Der Investor glaubt, die Lage sei zum Wohnen ungeeignet.

Bei Minute 31 erklärt jemand, wie es in dem Verfahren nun weitergehen soll: "Im Ergebnis soll ein Konzept ausgewählt werden, das die wirklich zahlreichen Anforderungen bestmöglich löst und von allen Beteiligten dann auch mitgetragen wird. Das prämierte Konzept wird dann Grundlage sein für die sogenannte 'Charta Molkenmarkt'." Auch hier wieder: ein prämiertes Konzept soll es sein. Von zweien ist nicht die Rede. Die Person, die das im gerade mal sechs Monate alten Video vorträgt, ist eine, die es wissen muss: Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt.

"Masterplan Molkenmarkt" soll bis Ende 2023 abgeschlosssen sein

Zwar hält sie ihren Vortrag im Video nicht frei, sondern liest vom Blatt ab – trotzdem stellt sich die Frage, warum sie diese Information so vortrug, wo es sich doch – folgt man ihrer heutigen Argumentation – schon damals ganz anders verhielt. Man könnte dagegenhalten, dass Kahlfeldt zum Zeitpunkt des "Zwischenkolloquiums" erst knappe vier Monate als Senatsbaudirektorin im Amt war. Da steckt man noch nicht überall richtig drin. Doch das Molkenmarkt-Projekt war ihr seit je her vertraut. Denn vor ihrer Zeit als Senatsbaudirektorin gehörte sie als Architektin dem Fachpreisgericht an, das die Entwürfe der beteiligten Architekturbüros begutachtete. So ist es ebenfalls in der Auslobung des Werkstattprozesses dokumentiert.

Bis Ende des Jahres, spätestens aber bis Ende Januar 2023 will der Senat einen "Masterplan Molkenmarkt" beschließen, so sieht es der rot-grün-rote Zeitplan vor. Bis dahin wird die Senatsbaudirektorin noch viele Fragen beantworten müssen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.10.2022, 10:10 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

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