rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: rbb/Felix Leitmeyer

Krieg in der Ukraine

"Meine Tochter will nicht zurück. Sie hat Angst"

Seit zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Für viele Geflüchtete hat sich die Hoffnung auf eine rasche Rückkehr in ihre Heimat zerschlagen. Wie geht es ihnen - und wie geht es Menschen aus Russland, die nach Berlin und Brandenburg geflohen sind?

Am Samstag vor zwei Jahren startete Russland den Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine, seitdem halten die Kämpfe im Land an. Mehr als sechs Millionen Menschen sind seitdem aus der Ukraine geflohen, mehr als eine Million von ihnen nach Deutschland. Die meisten sind Frauen und Kinder, Männer im wehrfähigen Alter dürfen das Land nur mit Ausnahmegenehmigung verlassen.

Wie geht es den Geflüchteten jetzt, in welcher familiären Situation sind sie, was macht der Krieg mit ihnen? Wie blicken russische Menschen, die in der Region Berlin-Brandenburg leben, auf ihre Situation und auf ihr Heimatland?

Viktoria Kosorukova, 19 Jahre, Studentin aus Kiew

Quelle: rbb/F.Leitmeyer

Viktoria Kosorukova ist im Frühjahr 2022 aus Kiew nach Potsdam zu einem Freund der Familie geflohen. Mittlerweile lebt sie in einem Studentenwohnheim und studiert Schauspiel an der Filmuniversität Babelsberg. Sie hatte bereits ihre ersten kleinen Jobs, zum Beipspiel in der Soko Leipzig.

 

"Als ich aus Kiew weggegangen bin, habe ich so geweint. Ich musste so viele Freunde verlassen. Es war auch nicht leicht, aus der Stadt wegzukommen, erst gab es kein Benzin. Dann haben wir welches bekommen und sind nach Deutschland gefahren. Das war eine lange Reise und ich habe mich gefragt: Gibt es dort irgendwelche Universitäten oder Schulen für Schauspiel? Meine Mutter hat gesagt, das sei nicht der Moment. Aber unser deutscher Freund in Potsdam hat gesagt: Ja, es gibt eine Filmuni hier in Potsdam. Dem Dekan dieser Filmuniversität habe ich geschrieben und jetzt bin ich dort. Ich wohne mittlerweile in einem Studentenwohnheim, wirklich ein schöner Ort. Und ich habe einen deutschen Freund. Meine Familie hat Geld vom Jobcenter, ich bekomme das nicht mehr, denn ich habe gearbeitet und bekomme Bafög.

Ich liebe Potsdam. Das ist ein Ort, an dem ich mich wieder sicher gefühlt habe. Ich lebe hier seit fast zwei Jahren und ich kenne mich hier aus. Ich fahre mit meinem Fahrrad durch die Stadt und weiß, hier an diesem Theater habe ich gespielt, dort in dem Restaurant habe ich mit meinen Freunden mal gegessen.

Manchmal fühle ich mich schuldig, dass ich hier studieren kann, auf eine Party gehen und einfach mein Leben leben, während Leute in der Ukraine sterben. Sie haben kein Licht und kein Wasser. In meinem Kopf ist immer diese Frage: Ist das ok, dass ich mein Leben habe? In den letzten Monaten macht mir auch die politische Situation in Deutschland viele Sorgen. Das scheint keine gute Zukunft für Migranten zu sein in diesem Land."

 

Petro Svetik, 33 Jahre, Musiklehrer aus Charkiw

Quelle: rbb/F.Leitmeyer

Petro Svetik ist vor eineinhalb Jahren aus Charkiw nach Berlin geflohen. Seine Flucht war aus ukrainischer Sicht illegal, denn er hat den Wehrdienst verweigert. Er wohnt in einer Geflüchtetenunterkunft in Charlottenburg und spielt Schlagzeug in einer Band in einem Proberaum in Marzahn-Hellersdorf. Bald ist das erste Konzert.

 

"Acht Monate lang habe ich den Krieg von der Ukraine aus miterlebt. Ich habe in einer Stadt gelebt, die jeden Tag bombardiert wurde. Ich musste dort rauskommen, egal wie. Ich habe einigen Kindern damals weiter Musikunterricht gegeben. Erst in einem Proberaum, dann unter der Erde, wo man nichts vom Krieg mitgekommen hat.

Ich bin Pazifist und möchte kein Soldat sein. Für mich steht Freiheit über allem. Im Krieg wirst du gezwungen zu sterben. Du hast keine Wahl. Manche haben Glück, manche nicht. Als unerfahrener Soldat hast du keine Fähigkeiten im Kampf, nur dein Maschinengewehr.

Nachdem ich meine Einberufung zum Militär bekommen habe, bin ich zum Militärsammelpunkt gegangen. Der zuständige Soldat ließ mich Gott sei Dank wieder gehen. Manch andere ukrainische Männer zahlen für so etwas Schmiergeld. Ich habe das nicht getan, hatte ohnehin kaum welches, habe für meine Flucht aus der Ukraine gespart.

Meine Mutter war froh, dass ich gegangen bin, dass ihr Sohn nicht in den Krieg gezogen ist. Sie hat gesagt: Gut gemacht. Auch ein Teil meiner Freunde hat mich unterstützt. Ein anderer Teil aber hat den Kontakt daraufhin abgebrochen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es Wege gab, auf denen ich legal hätte fliehen können. Ich glaube, es gab keinen.

Ich bleibe Musiker, möchte in Berlin wieder als Musiklehrer arbeiten. Ich hoffe, mein Leben lang in Deutschland bleiben und arbeiten zu können."

 

Arshak Machikyan, 29 Jahre alt, Friedens- und Klimaaktivist aus Moskau

Quelle: Maxim Polyakov

Arshak Machikyan ist im März 2022 aus Russland nach Deutschland geflohen. Ihm wurde seine russische Staatsbürgerschaft entzogen, weil er Demonstrationen gegen den Krieg gegen die Ukraine organisiert hat. Geboren wurde er in Armenien.

 

"Der Krieg richtet sich nicht nur gegen die Ukraine. Es ist ein Krieg gegen die Demokratie und gegen uns alle. Putin beeinflusst die ganze Region. Es sagt sich leicht, aber ich denke, der Rest der Welt sollte mehr tun, um die Ukraine und andere Länder in Zentralasien und dem Kaukasus zu helfen, unabhängiger von Russland zu sein.

Dass ich aus Russland stamme beeinflusst mein Leben in Berlin nicht. Aber ich sehe bei anderen russischen Menschen, die schon lange in Deutschland leben, dass sie sich isoliert fühlen. Einige von ihnen sind sogar zurück nach RUssland gegangen, weil sie offensichtlich vereinnahmt sind von der russischen Propaganda.

Ich denke, neue russische Migranten sind wichtig, um diese Propaganda als solche zu enttarnen. Dafür müssen wir uns aber sicher fühlen können, und das braucht Zeit. Zu Beginn des Krieges waren Aktivisten wie ich spannend für die Menschen. Mittlerweile haben es aber viele satt, über den Krieg zu reden. Das muss sich ändern, finde ich, denn es ist genau das, was Putin möchte: Dass wir müde vom Krieg werden und aufhören, die Ukraine zu unterstützen.

Dass Nawalny gestorben ist, ist eine schreckliche Tragödie für die russische Gesellschaft, aber wie er selbst gesagt hat: wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Es ging niemals nur um ihn, sondern um etwas viel Größeres. Und er ist nicht der erste Mensch, der vom russischen Regime umgebracht wurde. Natürlich mache ich mir jetzt noch viel mehr Sorgen um meine Freunde, die in Russland in Haft sind.

Wenn Russland eines Tages ein freies Land ist, möchte ich dahin zurück. Fürs erste versuche ich, die armenische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Den Antrag habe ich vor einem Jahr gestellt. Ich lebe mit einer ukrainischen Familie in der Wohnung einer deutschen Familie, die im Moment im Ausland ist. Ich denke darüber nach, mich an einer Universität zu bewerben. Momentan bin ich Stipendiat der Allianz Foundation."

 

Tatiana Timofeeva, 59 Jahre, Historikerin aus Moskau

Quelle: Privat

Die Historikerin Tatiana Timofeeva kommt aus Moskau und hat dort zuletzt als Dozentin an der Lomonossow-Universität gelehrt. Als Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, blieb sie noch so lange in Moskau, bis ihre Studenten ihren Abschluss hatten. Im Juni 2022 reiste sie dann nach Deutschland aus. Hier arbeitet sie jetzt an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

 

"Beruflich geht es mir sehr gut, mir hat sich ein Traum erfüllt - ich arbeite als akademische Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien an der Viadrina Universität in Frankfurt. Ich mache auch einen Integrationskurs, es sind viele Ukrainer in der Gruppe und ich freue mich besonders, wenn ich ihnen helfen kann. Außerdem arbeite ich ehrenamtlich als Dolmetscherin bei Caritas, und das gibt mir auch ein gutes Gefühl, eine Art Erleichterung.

Emotional geht es mir aber sehr schlecht. Der Krieg geht weiter und ich kann nichts dagegen tun oder mich davon befreien. Leider wurde aus dem Krieg eine Alltagsroutine. Hoffnungslosigkeit und Trauer spüre ich sehr stark.

Ich bin wirklich sehr froh, dass ich in Frankfurt an der Oder wohne. Die Stadt ist so menschlich, ich habe sogar Verständnis und Mitgefühl für meine Situation von unbekannten Menschen bekommen. Nie habe ich Ablehnung erlebt, vielleicht habe ich einfach Glück. Ich habe Freunde gefunden und ein Zuhause.

Aber ich bleibe Russin, und jeden Tag fühle ich mich auf eine Art für den Krieg verantwortlich. Ich weiß nicht, wie es in der Zukunft weitergeht. Es ist schrecklich, keine Möglichkeit zu haben langfristig zu planen."

 

Daria Kasianenko, 43 Jahre, promovierte Dolmetscherin aus Kiew

Quelle: rbb/Felix Leitmeyer

Daria Kasianenko ist mit ihrer Tochter Katja (6 Jahre) und ihrem Sohn Sascha (11 Jahre) vor zwei Jahren aus Kiew nach Deutschland geflohen. Die promovierte Dolmetscherin hat als Professorin an der Universität in Kiew gearbeitet. Momentan wartet sie darauf, dass ihr Abschluss in Deutschland anerkannt wird. Ihre Kinder tun sich unterschiedlich schwer mit dem Umzug.

 

"Als meine Kinder nach Hause kamen, haben sie geweint, denn sie haben so viel Militär noch nie in ihrem Leben gesehen. Da haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir die Stadt verlassen und Richtung Süden fahren. Aber da war es noch gefährlicher, als wir uns vorgestellt haben, denn das ist nicht weit von Irpin und Butcha. Wie wir jetzt wissen, wurden diese Städte sehr stark angegriffen. Wir warteten vom früheren Morgen bis zum späten Abend, dass wir einen Zug finden, aber alle Züge waren so voll. Ich hatte wirklich Angst, denn ich habe zeitweise meinen Sohn in der Menschenmenge am Bahnhof verloren. Dann haben wir es nach Berlin geschafft.

Meine Tochter wurde im letzten Sommer eingeschult. Sie ist ein sehr offenes, fröhliches und immer gut gelauntes Kind. Die Lehrerin in der Schule sagte: Sie ist unsere Glühbirne. Ich arbeite hier sehr viel ehrenamtlich. Ich dolmetsche viel für Geflüchtete, sehr oft für Krebskranke.

Zwischenzeitlich ist Sascha zurück in die Ukraine zu den Großeltern gezogen. Freunde, das Klima in der Klasse, das alles spielt eine sehr große Rolle. Und meinem Sohn war das zu kompliziert hier. Er sagt, Mama, ich fühle mich in der Ukraine so wohl, ich will nicht mehr in Berlin sein. Nach einer kurzen Zeit in der Ukraine kam er dann mit der Großmutter zurück.

Meine Tochter will nicht zurück. Sie hat Angst. Sie sagt immer: Mama, da wird auch jetzt gerade noch immer angegriffen. Ich glaube, jedes Kind aus der Ukraine hatte diese Albträume. Auch die Erwachsenen. Ich auch. Aber ich hoffe, wir kriegen das schon hin. Denn ich habe in Deutschland meine zweite Heimat gefunden."

 

Anhelina Abraamian, 21 Jahre, Krankenpflegerin aus Kiew

Quelle: rbb/Felix Leitmeyer

Anhelina Abraamian ist vor knapp zwei Jahren mit ihrer Schwester aus Kiew nach Deutschland geflohen. Hier lernt sie deutsch, um eines Tages hier arbeiten zu können. In der Ukraine hat sie als Krankenschwester gearbeitet.

 

"Ich bin seit fast zwei Jahren in Deutschland und möchte arbeiten. Aber der Prozess, meinen Abschluss anerkennen zu lassen, dauert sehr lange. Ich habe fast ein halbes Jahr lang alle meine Dokumente zusammengesammelt.

Ich verstehe, dass ich für den Job erst gut Deutsch sprechen können muss. Es geht nicht anders. es ist ganz wichtig, eine gute Verbindung mit den Patienten zu haben. Ich mag meine Arbeit. Ich habe keine Probleme mit Dingen wie Blutabnehmen, wenn es jemandem schlecht geht, kann ich sofort helfen. Ich denke, ich muss trotzdem noch ein bisschen warten, bis es losgeht."

Die Gespräche führten Anna Bordel und Felix Leitmeyer für rbb|24.

Sendung: rbb24 Inforadio, 24.02.2024, 9:10 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen