Zirkusshow von Diana Salles - Höhenflüge und Wunden einer Transition

Mo 13.05.24 | 12:26 Uhr | Von Marvin Wenzel
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Akrobatikkünstlerin Diana Salles. (Quelle: rbb/Wenzel)
Video: rbb24 Abendschau | 08.05.2024 | M. Wenzel | Bild: rbb/Wenzel

Die in Berlin lebende Brasilianerin Diana Salles inszeniert in ihrer Zirkusshow radikal offen ihre eigene Transition. Und kämpft damit für Verständnis für trans Menschen. Ein Treffen bei einer Probe im Pfefferberg-Theater. Von Marvin Wenzel

Wie schwerelos windet sich Diana Salles in mehreren Metern Höhe um ihre eigene Achse. Sie trägt einen rubinroten Rock und einen beigefarbenen BH. Ihr gesamtes Körpergewicht hängt nur an einem dünnen schwarzen Seil – das hat die Akrobatin zwischen ihrem Hinterkopf und ihrem Nacken eingeklemmt.

Gelb leuchtende Scheinwerfer sind auf sie gerichtet, sonst ist alles dunkel auf der Bühne. Ihre Bewegungen erinnern an einen schwebenden Engel. Sobald sie aufhört sich zu drehen, hängt sie wie leblos am Seil. Sofort entsteht der Eindruck, eine toter Mensch hänge an einem Galgen.

Akrobatikkünstlerin Diana Salles. (Quelle: rbb/Wenzel)
Akrobatin Diana Salles | Bild: rbb/Wenzel

Auf der Bühne des Pfefferberg-Theaters in Berlin-Prenzlauer Berg probt Diana Salles an diesem Vormittag im Mai ihre Soloshow "Delusional – I Killed a Man" (auf Deutsch: "Wahnvorstellungen: Ich habe einen Mann getötet"). In der Show widmet sich die Brasilianerin ihrer persönlichsten Reise.

Sie sagt: "'Delusional' dreht sich um ein Gefühl der Trauer, das viele trans Personen während ihrer Transition erleben". So gehe es um das "quälende, aber auch befreiende Gefühl", ihr früheres Ich ermordet zu haben. Ein Thema, das bisher selten mit den Mitteln des Zirkus auf einer Theaterbühne erzählt wurde.

Höhenflüge stehen für Euphorie und schwere Momente der Transition

Vor drei Jahren zog die im brasilianischen São Paulo aufgewachsene Künstlerin nach Berlin. Damals startete sie mit ihrer Transition. Parallell dazu verarbeitete sie ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle während dieses "sehr persönlichen Prozesses" in einer Zirkusshow. "Ich brauchte etwas, an dem ich mich festhalten konnte", sagt sie. Die Zeit sei nicht einfach gewesen. "Mit meiner Kunst habe ich etwas Bedeutendes kreiert - das mir einen Sinn gibt."

In ihrer Show präsentiert sich die Künstlerin in ausdrucksstarken Figuren am Boden und in der Luft. Sie trägt altmodische Stoffkleider, die an das 18. Jahrhundert erinnern, und futuristische Outfits aus rotem Latex. In Ihrer Performance schöpft sie die Kunst des Zirkus aus: Ringakrobatik, Gesang, moderner Tanz am Boden. Vor allem die schwindelerregenden Drehungen an einem roten Vertikaltuch sind beeindruckend. Die Höhenflüge und Landungen stehen für die Euphorie, aber auch die schweren Momente während ihrer Transition.

Akrobatikkünstlerin Diana Salles. (Quelle: rbb/Wenzel)

"Ich wollte dann aus etwas Schrecklichem etwas Gutes machen"

In einer Szene tanzt Diana ekstatisch zu einem harten Technobeat im pinken Neonlicht, als wäre sie in einem Club. Sie wirkt glücklich. Plötzlich hört sie auf zu tanzen und bekommt einen ängstlichen Ausdruck: "Ich höre aus der Mitte der Menge einen Mann schreien: 'Du bist keine Frau!'" Sie macht eine Pause, atmet tief durch und schreit: "Fuck!" Anschließend dröhnt der Satz: "Du bist keine Frau" mehrmals aus den Lautsprechern der Bühne.

Regisseurin Firenza Guidi. (Quelle: rbb/Wenzel)
Regisseurin Firenza Guidi | Bild: rbb/Wenzel

Diana hat diese transfeindliche Beleidigung tatsächlich erlebt - in einem Berliner Techno-Club. "Die Beleidigung hat mich tief verletzt", sagt sie. "Aber ich wollte aus etwas Schrecklichem etwas Gutes machen: Die Show geht dem Licht entgegen."

Die Zirkusshow hat sie zusammen mit der italienischen Regisseurin Firenza Guidi konzipiert. Bei der Probe sitzt Guidi in der ersten Reihe und bittet die Künstlerin, die Szene mit der Beleidigung noch einmal zu wiederholen. "Diese Stelle steht für die Vorurteile, Zweifel und Wunden, die eine Transition bei den Menschen hinterlässt", sagt die Regisseurin.

Kunstwerk und politisches Statement

Da es in der Show um die "psychologische und körperliche Reise einer Künstlerin" gehe, habe sie bei der Zusammenarbeit darauf geachtet, sehr sensibel zu sein. Guidi lernte Salles vor drei Jahren noch unter ihrem männlichen Vornamen kennen. "In den Monaten danach sah ich Tag für Tag das Aufkommen von Diana."

Gudi sagt: "Auch noch in der Show sehen wir, wie sich Diana in einem Körper präsentiert, der sich stets verwandelt und voller Widersprüche ist". Diese Widersprüche hätten sie gemeinsam in Szene setzen wollen. Das gelingt durch ausdrucksvolle Figuren, die intensive Stimmungen auslösen. Sowohl beschwingt-fröhliche als auch traurig-nachdenkliche.

"Wir sind zwei Individuen, sie sich gegenseitig helfen und unterstützen", sagt die Regisseurin. Ihnen gehe es um "Empowerment" für trans Menschen. So hätten sie mit der Show nicht nur ein Kunstwerk erschaffen wollen, sondern auch ein "politisches Statement". Guidi sagt: "Ich bin zufrieden, wenn die Zuschauer den Saal verlassen und verstehen, wieviel Freude und Zufriedenheit es bringt, die richtige Entscheidung zu treffen. Auch wenn das hart sein kann."

"Berlin hat mich inspiriert, Mauern zu durchbrechen"

Vor der letzten Generalprobe macht Diana Salles eine Pause auf der Bühne und betont, dass Berlin sehr wichtig gewesen sei bei der Entstehung von "Delusional". "Die Stadt ist ein Ort, an dem ich Akzeptanz und Verständnis finde", sagt sie und ergänzt: "Mehr als an allen anderen Orten, wo ich bisher war". Sie sei beeindruckt von der Freiheit, die Menschen im Nachtleben, in den Bars und Straßen hätten. "Berlin hat mich inspiriert, Mauern zu durchbrechen und einfach Ich selbst zu sein."

Akrobatikkünstlerin Diana Salles. (Quelle: rbb/Wenzel)
Bild: rbb/Wenzel

Dadurch konnte eine Show entstehen, in der sie sich radikal öffnet. Mit der Zirkus-Performance tourt sie aktuell durch Europa, im August ist sie wieder beim Berlin Circus Festival auf dem Tempelhofer Feld zu erleben.

Durch die Inszenierung des Todes und der Wiedergeburt ihrer eigenen Identität möchte sie Menschen auf der ganzen Welt zeigen, wie "persönlich und wunderschön - aber gleichzeitig schwer" eine Transition sein kann. Sie hofft, dass die Zuschauer das verstehen und nach der Show etwas mehr Empathie für trans Menschen empfinden.

Ein Ziel hat die Luftakrobatin schon erreicht: Sie schöpft aus ihrer Performance Energie und sagt: "Jedes Mal, wenn ich in die Luft gehe, fühle ich mich mit mir selbst verbunden - und frei."

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.05.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Marvin Wenzel

1 Kommentar

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  1. 1.

    Danke für diesen schönen Beitrag Herr Wenzel.

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