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Quelle: imago images/Pop-Eye

Interview | Berliner Polizeisprecher zu Racial Profiling

"Wir müssen uns kritisch hinterfragen und weiterentwickeln"

Der Innensenator räumt ein, dass es bei der Berliner Polizei Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe gibt, Racial Profiling. Polizeisprecher Cablitz, der selbst Migrationsgeschichte hat, erzählt im Interview, wie die Polizei damit umgeht - und was sich ändern muss.

rbb: In den USA laufen seit Jahren Diskussionen über rassistisch motivierte Polizeigewalt. Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, der von einem weißen Polizeibeamten zu Tode gedrückt worden war, gab es im vergangenen Jahr viele Proteste im ganzen Land. Herr Cablitz, wie schätzen Sie als Berliner Polizist diese Lage bei uns ein?

Thilo Cablitz:
Aus meinen eigenen Erfahrungen heraus würde ich sagen, diese Probleme gibt es hier in dieser Intensität nicht. Aber grundsätzlich existiert das Problem auch bei uns, das dürfen wir auch nicht verhehlen. Wir dürfen das nicht kleinreden, sondern müssen uns jeden Tag damit auseinandersetzen. Aber es gibt in Berlin eben nicht die Vielzahl an Fällen, die man vielleicht vermutet. Ich bin davon überzeugt, dass das ganz überwiegende Gros meiner Kolleginnen und Kollegen wirklich im Dienste der Allgemeinheit steht.

Infobox: Zur Person

Thilo Cablitz, geboren 1978 in Berlin, hat nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner die Polizeilaufbahn beschritten. Nach Stationen im Funkwageneinsatzdienst, als Zivilfahnder, in der Dienstgruppenleitung eines Polizeiabschnitts sowie im Einsatzstab der Direktion 5 stieg er in den höheren Dienst auf. Er leitete zwei Polizeiabschnitte und die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Berlin. Seit 2018 ist er deren Pressesprecher. Cablitz ist unter anderem Mitbegründer des Netzwerks für Vielfalt, Inklusion und Akzeptanz der Polizei Berlin und Beiratsmitglied des Projektes "ZuRecht", das sich mit der gleichberechtigten Teilhabe am Rechtssystem auseinandersetzt.

Aber der Innensenator sagt: Ja, es gibt Racial Profiling. Also gibt es Polizeibeamte, die andere Menschen eher kontrollieren, wenn sie zum Beispiel schwarz sind. Andere sagen: Wenn im Görlitzer Park die meisten Dealer schwarz sind, ist es auch okay, wenn dort Schwarze überdurchschnittlich oft kontrolliert werden. Wer hat Recht?
 
Ich muss dem Senator da leider recht geben. Es gibt dieses Racial Profiling. Wir müssen uns mit Täterstrukturen auseinandersetzen, wir müssen schauen, wer Straftaten begeht. Kriminalität hat keine Herkunft, und dabei bleiben wir als Polizei auch. Was wir aber natürlich schon beachten müssen, um dann auch Ansatzpunkte für soziale Träger oder andere NGOs bieten zu können, ist: Gibt es eventuell eine verfestigte Community in bestimmten Bereichen, die es gilt, sozial aufzubrechen, weil sie eben droht, in kriminelle Bereiche abzurutschen?

Sie würden dann also Sozialarbeiter ansprechen und sagen: Augenmerk darauf, da passiert etwas, was uns nicht gefällt?

Ganz genau, weil man natürlich auch versucht, den Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu finden. Ich beziehe das mal als Beispiel auf die Familie: Wenn man jetzt einen Familienkreis hätte, der kriminell tätig ist und man wächst da hinein, dann hat man aufgrund der Sozialisation wenig Möglichkeiten und Ansatzpunkte, da herauszuwachsen.

Es geht eben auch um eine Art der Sozialisation. Und auch der muss man begegnen können, aber das auch immer wieder mit Augenmaß. Man darf nicht pauschal verurteilen, sondern man muss das individuelle Verhalten betrachten. Und den Menschen die Möglichkeit geben, eben auch eine andere Sozialisation als eine kriminelle zu erfahren.

Insgesamt muss da also sehr viel mehr getan werden in der Berliner Polizei? Oder sind Sie eher zufrieden?

Mit der Polizei Berlin bin ich schon sehr zufrieden. Ich glaube, wir legen einen starken Fokus darauf, wir setzen uns damit auseinander. Das aber hilft dem einzelnen nicht, der davon betroffen ist. Wir müssen uns kritisch hinterfragen und immer wieder weiterentwickeln, damit so etwas tatsächlich gar nicht mehr passiert.

Herr Cablitz, Sie sind selbst multikulturell aufgewachsen - Ihre Mutter ist weiß, Ihr Vater ist schwarz. Und Sie sind Polizist geworden. Wenn sie auf einer Demo eingesetzt waren, wurden Sie schon als Rassist und Nazi beschimpft. Andere sagten, sie wollten lieber mit einem deutschen Polizisten reden. Das muss sehr hart für Sie gewesen sein, oder?

Ja, wenn man sich nicht immer wieder darauf zurückbesinnt, wofür man eigentlich da ist und dass wir im Dienste der Allgemeinheit stehen. Wenn man sich das immer wieder vor Augen führt, dann relativiert das vieles und dann prallt so etwas eigentlich weitestgehend an mir ab. Problematisch ist es trotzdem, wenn man das Gefühl hat, man kann nie irgendjemandem etwas recht machen, ob nun aufgrund der Uniform oder eben aufgrund des unveränderlichen Äußeren.

Haben Sie in Ihrer Polizeikarriere mal überlegt, in diesem Zusammenhang hinzuschmeißen?

Nein, ganz im Gegenteil. Es hat mich eher noch angespornt, gegen eben solche Ungerechtigkeiten und gegen Straftaten vorzugehen. Das kam und kommt für mich nicht in Frage. Es gab Tage, an denen ich durchaus frustriert war oder auch herbe getroffen, das will ich gar nicht verheimlichen oder schmälern. Aber letzten Endes spornt es eher an, ich mache weiter, weil es in der Gesellschaft immer noch solche Taten gibt, weil es immer noch Ausgrenzung gibt.

Wie genau gehen Sie bei Kontrollen von Menschen vor? Wie kann man als Polizist dem Vorwurf des Rassimsus vorbeugen?

Es ist nicht nur wichtig, während der Kontrolle, sondern schon davor respektvoll mit jedem Menschen umzugehen. Es ist immer wichtig zu erklären, warum man tätig wird. Genau deshalb schulen wir das, dass man ins Gespräch kommt, dass man erläutert und nicht pauschal sagt: Wir befinden uns an einem kriminalitätsbelasteten Ort. Und weil ich es hier darf, tue ich es auch jetzt: die Kontrolle durchführen. Man muss dann auch sagen: Ja, mir ist Cannabisgeruch aufgefallen - und das haben wir auch am Freitag bei dem Einsatz im Görlitzer Park gesehen. Und siehe da, man hat tatsächlich auch Cannabis gefunden. Genau darum geht es: Maßnahmen zu erläutern, zu erklären und erstmal einen wunderschönen guten Tag zu wünschen. Es gibt aber leider auch Fälle, die nicht so ablaufen. Da gibt es natürlich auch von vornherein ein gewisses Konfliktpotenzial.

Braucht es vielleicht auch eine zwischengeschaltete Person, die moderieren kann und Vertrauen wiederherstellen kann?

Für uns als Polizei ist Vertrauen natürlich absolut essentiell und wichtig, wir leben von diesem Vertrauen der Bevölkerung. Viele Straftaten klären wir gemeinsam mit der Bevölkerung auf, weil sie Zeuginnen und Zeugen sind. Wir brauchen die Menschen in unserer Stadt.

Inzwischen sind in Berlin ja auch viele türkisch- und arabischstämmige Polizeibeamte im Dienst. Liegen darin nicht viele Vorteile für die Polizeiarbeit in Berlin?

Ich denke schon, das ist auf jeden Fall besser. Wir konnten in den letzten drei Jahren ein knappes Drittel an Kolleginnen und Kollegen mit Migrationsgeschichte gewinnen. Bei uns sind fast 100 Nationalitäten vertreten. Das hilft auf jeden Fall dabei, die Stadt abzubilden in ihrer Diversität. Zum anderen bekommt man dadurch ein Gefühl für Vielfalt und kann das auch stärken. Auf der anderen Seite müssen wir vorsichtig sein, dass das allein uns dabei helfen kann, Rassismus zu begegnen. Denn rassistische Motivation gibt es eben auch in anderen Ethnien.

Herr Cablitz, Sie haben mal gesagt, unser Ziel müsse sein, dass wir uns letztlich alle als einzigartig betrachten - und gleichzeitig als doch gleich. Wie weit sind wir davon noch entfernt?

In unserer Polizei sind wir noch davon entfernt, das wirklich in Gänze erreicht zu haben. Wir sind zwar zur Neutralität angehalten, aber trotzdem liegt hier noch Arbeit vor uns. Wir betreiben das schon intensiv und setzen uns damit auf unterschiedlichen Ebenen auseinander, scghon während der Ausbildung und im Studium. Wir haben auch einen Extremismusbeauftragten, es gibt also ganz viele Facetten. Aber wir müssen uns immer wieder selbstkritisch hinterfragen und sagen: Reicht das? Ist das der richtige Weg, oder welchen Weg müssen wir weiter beschreiten?

Herr Cablitz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dies ist eine redigierte und gekürzte Fassung des Hörfunkinterviews mit Thilo Cablitz von rbb 88.8. Das Interview führte Ingo Hoppe.

Die Kommentarfunktion wurde am 11.03.2021, 19:04 Uhr geschlossen

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