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Quelle: dpa/Daniel Kubirski

Interview | Gewalt von Impfgegnern

"Angst ist ein Beschleuniger der Radikalisierung"

Gewalt gegen Impfärzte und Fackelaufmärsche vor Wohnhäusern von Politiker:innen: Die "Querdenker"-Bewegung hat Zulauf durch Impfskeptiker bekommen und sich radikalisiert. Sie eint die Ablehnung von staatlicher Autorität, sagt der Soziologe Sebastian Koos.

rbb: Impfzentren werden angegriffen, impfende Ärzte werden auch in Berlin und Brandenburg beschimpft und bedroht: Warum gibt es zum jetzigen Zeitpunkt solche Radikalisierung von Impfgegnern, welche Motivation steckt dahinter?

Sebastian Koos:
Wir haben schon relativ früh in der Pandemie eine gewisse Radikalisierung beobachten können, die in bestimmten Wellen analog zu den Verschärfungen der Pandemieauflagen verlief. Bei den Impfgegnern handelt es sich um keine homogene Gruppe. Aber sie vereint, dass sich Ungeimpfte gesellschaftlich stigmatisiert fühlen, indem sie zum Beispiel für die Situation in den Krankenhäusern verantwortlich gemacht werden. Viele wollen das überhaupt nicht wahrhaben und mittragen. Sie fühlen sich in ihren subjektiv verstandenen Freiheitsrechten sehr stark eingeschränkt. Der Freiheitsbegriff dieser Menschen ist vom Individuum gedacht und nicht von der Gesellschaft, der auch die Freiheit der anderen berücksichtigt. Da ist die Pandemie von Anfang ein Beispiel dafür zu überdenken, wie wir uns eine größtmögliche Freiheit sichern können bei gleichzeitiger Kontrolle dieses dramatischen Infektionsgeschehens.

Zur Person

Was treibt die Menschen an, die jetzt demonstrieren? Geht es auch um die Ablehnung von staatlichen Institutionen und der demokratischen Ordnung im Allgemeinen?

Zunächst muss man sagen, dass es insgesamt sehr wenig Menschen sind, die sich unter dem Deckmantel der Querdenken-Bewegung zusammengefunden haben. Nach einer von uns durchgeführten Umfrage sind es weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Aber die Gruppe der Impfskeptiker ist natürlich deutlich größer. Viele haben sich aber bisher den Querdenkern nicht zugerechnet. Da ist jetzt ein neues Mobilisierungspotenzial entstanden. Dabei spielen das Misstrauten in den Staat und politische Institutionen eine wichtige Rolle. Beim Impfen ist Vertrauen, eben auch in Institutionen zentral, denn es handelt sich um einen unmittelbaren Eingriff in die körperliche Integrität. Nicht alle, die jetzt protestieren, lehnen die Demokratie als Regierungssystem völlig ab, aber sie sind sehr misstrauisch gegenüber staatlicher Autorität.

Kann man von einem Wiederaufleben der Querdenker-Szene sprechen, die in den vergangenen Monaten ja weniger Menschen mobilisieren konnte?

Wir haben diese Protestierenden von Anfang an als heterogene Misstrauensgemeinschaft bezeichnet. Und eine Impfpflicht war historisch schon immer umstritten. Diese Politisierung ist ein Einfallstor für strategisch agierende Gruppen, um zu mobilisieren und Ängste zu schüren. Querdenken-Gruppierungen verwenden und verbreiten gezielt Unwahrheiten. Verschwörungstheorien sind innerhalb dieser Gruppen sehr verbreitet. Das Impfthema findet nun eine deutlich größere Resonanz in der Bevölkerung.

Fackelmärsche vor Wohnhäusern von PolitikerInnen und sogenannte "Spaziergänge" der Corona-Gegner finden Nachahmer. Ist das eine neue Dimension der Radikalisierung?

Fackelmärsche tragen ganz eindeutig faschistoide Züge. Es geht darum, Angst zu machen und zu zeigen "Wir wissen, wo Du wohnst". Das hat eine völlig andere Dimension als Demonstrationen. Die Debatte über die Impfpflicht bringt es mit sich, dass stärker mobilisiert werden kann. Bei den Querdenkern habe ich eine Radikalisierung am Rande der Gesellschaft ausgemacht. Bei den Impfgegnern rückt diese viel stärker in die gesellschaftliche Mitte. Die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung ist damit größer. Es handelt sich aber weiterhin um eine Minderheit. Nun müssen wir überlegen, wie solch eine Polarisierung verhindert werden kann. Man muss dazu eine klare Position beziehen, aber auch aufklären und im Gespräch bleiben, weil es viele Ängste gibt. Wir brauchen Multiplikatoren, denen diese Menschen mehr vertrauen als der politischen Elite oder den Medien. Die Angst ist ein Beschleuniger der Radikalisierung.

Das Gespräch mit Sebastian Koos führte Susann Kreutzmann für rbb|24.

Die Kommentarfunktion wurde am 13.12.2021 um 11:09 Uhr geschlossen

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