Interview | Sportmediziner Thorsten Dolla - "Im American Football gibt es alles, was die Traumatologie zu bieten hat"

Mo 12.09.22 | 12:10 Uhr
Der Dresdner Eric Hauschild wird beim GFL-Spiel gegen die Berlin Adler verletzt vom Platz geführt (imago images/Hentschel)
Bild: imago images/Hentschel

Die NFL ist in die neue Saison gestartet, die Ableger GFL und ELF suchen ihre Meister. Doch welche Risiken birgt die körperbetonte Sportart American Football? Im Interview berichtet Sportmediziner Thorsten Dolla vor allem von Gefahren für den Nachwuchs.

Die American-Football-Saison ist mit den Playoffs in Deutschland und vor allem dem Start der Saison in der National Football League, der US-Profiliga, am Wochenende im vollen Gange. Was dabei immer mitspielt: die Verletzungsgefahr. In den vergangenen Jahren gab es eine stetig größer werdende Diskussion um die Gefahren und Folgen von Verletzungen im American Football. Ein Thema, mit dem sich auch der Berliner Arzt Thorsten Dolla bestens auskennt. Acht Jahre lang betreute Dolla in der NFL Europe die Berlin Thunder.

Zur Person

Thorsten Dolla

Thorsten Dolla wurde 1963 in Berlin geboren und absolvierte sein Studium der Humanmedizin an der Freien Universität.

Als Mannschaftsarzt begleitete er unter anderem die Fußball-Bundesligisten Hertha BSC und den 1. FC Union und ist seit 2002 Stadionarzt beim DFB-Pokalfinale und Länderspielen im Olympiastadion.

Von 1999 bis 2007 betreute er in der europäischen Football-Liga NFL Europe die Berlin Thunder.

rbb: Herr Dolla, Football gilt als besonders harte Sportart und die Spieler sind mit Schutzausrüstung ausgestattet. Welche Risiken gibt es trotzdem?

Thorsten Dolla: Durch die Ausrüstung hat man einen gewissen Schutz, der aber nicht dafür sorgt, dass es keine Verletzungen gibt. Die Verletzungen bei der Sportart sind vielfältig. Es gibt häufig Muskelverletzungen und Verletzungen des Bewegungsapparates, aber auch Gehirnerschütterungen und größere Kopfverletzungen. Im American Football gibt es alles, was die Traumatologie zu bieten hat.

Gerade die Kopfverletzungen stehen häufig als besonderes Risiko im Fokus, nicht nur im American Football. Warum sind diese so ein großes Problem?

Eines der größten Risiken bei Kontaktsportarten, zu denen man natürlich American Football zählen muss, sind die Kopfverletzungen. Es kommt zu Gehirnerschütterungen und Spieler bekommen dann nicht die nötige Erholungszeit, weil nicht ordentlich diagnostiziert wird oder man gute Spieler schnell wieder spielen lassen möchte. Die Risken dabei sind vielfältig und es kann eine chronisch-traumatische Enzephalopathie entstehen. Dadurch bekommen die Spieler große Probleme und können versterben. Pathologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Menschen chronische Veränderungen im Gehirn hatten.

Müssen viele Footballer ihre Karriere aufgrund von Verletzungen frühzeitig beenden und haben danach mit körperlichen Beschwerden zu tun?

Das kommt auf die Position an, auf der ein Spieler gespielt hat. Manche Position bringen eine größere Verletzungsanfälligkeit mit sich. Auf der anderen Seite probiert man, die Spieler auch zu schützen. Nicht nur durch Helme und Schutzausrüstung, sondern auch durch das Reglement. Man sorgt sich besonders um die Kopfverletzungen, wo mittlerweile ein neutraler Arzt feststellen muss, ob es zu einer Gehirnerschütterung gekommen ist. Und dann wird dafür gesorgt, dass der betroffene Spieler erstmal nicht mehr spielt. Und zwar mindestens eine Woche. Ähnliches wurde unter anderem jetzt auch im Fußball übernommen. Auch dort hat man Kopfverletzungen, genauso wie beim Boxen oder Eishockey.

Reichen diese Regeln zum Schutz der Spieler aus?

Letztendlich ist es ein Kollisionssport und man muss wohl manche Dinge in Kauf nehmen. Aber man hat sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, was notwendig war, um den Sport sicherer zu machen. Ganz sicher wird man ihn nie machen, weil die Zuschauer natürlich auch Tackles sehen wollen. Und die bringen halt Gefahren mit sich. Trotzdem ist es Aufgabe der Medizin, dafür zu sorgen, dass wenn es zu Verletzungen kommt, diese bestmöglich behandelt werden. Oder halt durch Regeln dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst zu den Verletzungen kommt. Es gibt aber viele Leute, die den Sport weiterhin kampf-betont und körperlich halten wollen und das bringt große Gefahren mit sich – besonders, wenn ich an den Nachwuchs denke.

Sind die Risiken des American Footballs für Kinder und Jugendliche höher?

Ja, weil sie sich in der Entwicklung befinden. Da gibt es eine besondere Gefährdung. Erst recht, wenn man zu früh die Tackles erlaubt. Das kann ich als Mediziner einfach nicht verstehen. Auch im Fußball hatte man in Amerika die Diskussion und Kinder dürfen dort erst mit 14 Jahren anfangen, Kopfbälle zu trainieren. Im Football kann man zwar bis 16 Jahre Flag-Football spielen, in Berlin erlaubt man aber zum Beispiel Kindern ab zehn Jahren mit Helm zu spielen. Man kann sich vorstellen, dass das sehr hohe Lasten sind, die gehalten werden müssen, obwohl Schulter und Nackenbereich noch nicht vollständig ausgeprägt sind. Wenn dann dazu auch noch Tackles eine Rolle spielen, dann kann man sich verletzen. Da muss man sehr vorsichtig sein. Erst recht, wenn man sieht, dass andere Bundesländer das Tackling schon viel früher erlauben. Das kann nicht sein und ist aus meiner Sicht in keiner Weise zu verantworten.

Glauben Sie, dass die Eltern der Kinder genügend über die Risiken aufgeklärt werden?

Nein, das glaube ich nicht. Es ist ein Mannschaftssport, was ich aus sozialen Gründen sehr schätze, aber ich muss nicht nur die Eltern aufklären, sondern auch die Kinder und dafür sorgen, dass die Sportart besonders im Kindesalter einigermaßen sicher ist. Und dann kann es nicht sein, dass man zu früh Tacklings zulässt und gesundheitliche Gefahren der Kinder in Kauf nimmt. Da bedarf es auch der Aufklärung von Seiten der Verantwortlichen. Die müssen sich die Frage stellen, ob sie die Gefahr zulassen wollen.

Halten diese Risiken für den Nachwuchs auch Eltern davon ab, ihre Kinder zum Football zu schicken?

Natürlich. Das ist nachweislich nicht nur in Deutschland sondern auch in Amerika so. Da entsteht dann auch das Problem, dass man gegebenenfalls keinen Nachwuchs mehr rekrutieren kann, wenn die Eltern Angst vor größeren Verletzungen haben. Das ist die Gefahr. Und dafür muss man sich umstellen und im Jugendbereich die Regeln ändern.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lukas Witte, rbb Sport.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.09.2022, 16:15 Uhr

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