Interview | Transfermarkt-Experte Tobias Kröger - "Sheraldo Becker ist ein Paradebeispiel für den Weg von Union"

Sa 15.10.22 | 10:09 Uhr
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Unions Becker (r.) im Zweikampf mit Herthas Sunjic (l.). Quelle: imago images/Matthias Koch
Bild: imago images/Matthias Koch

Die Website transfermarkt.de ist in Deutschland mit das größte Fußball-Portal. Die Datenbank umfasst Infos über Spieler, Trainer und Klubs - unter anderem auch Marktwerte. Transfermarkt-Experte Tobias Kröger erklärt, wie die Seite funktioniert.

rbb|24: Tobias Kröger, das Online-Portal transfermarkt.de berechnet seit Jahren den Marktwert von Fußball-Spielern und ihren Teams. Wie geht man dabei vor, was sind Faktoren und Indikatoren?

Kröger: Wir setzen nicht auf einen Algorithmus, sondern auf die Schwarmintelligenz der User. transfermarkt.de ist als die Fußballseite mit dem Forum bekannt. Dort hat jeder Spieler seinen eigenen Thread, in dem User ihre Vorschläge zum Marktwert gut begründet abgeben können. Von Transfermarkt-Seite gibt es dann einen Verantwortlichen - für die ersten drei Ligen in Deutschland bin ich das -, der Updates und Marktwerte mit zwei weiteren Personen bespricht und mit Hilfe der User-Werte, aber auch Spieler-Statistiken beschließt.

Über transfermarkt.de

Die Online-Plattform transfermarkt.de wurde im Mai 2000 gegründet.

Seit 2001 wird die Datenbank, die Informationen zu Spielern, Trainern und Wettbewerben umfasst, von den Userinnen und Usern gepflegt und erweitert.

Mittlerweile gibt es von Transfermarkt auch internationale Auftritte auf Deutsch, Englisch, Türkisch, Italienisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch und Spanisch.

Tobias Kröger ist bei transfermarkt. de der Marktwert-Koordinator für die 1. und 2. Bundesliga sowie Dritte Liga.

Union Berlin und Hertha BSC haben derzeit jeweils einen berechneten Gesamtmarktwert von rund 104 Millionen Euro. Wie haben sich die Marktwerte der beiden Klubs in den vergangenen Jahren entwickelt?

Union Berlin hat seit dem Bundesliga-Aufstieg deutlich an Wert hinzugewonnen. Das liegt zum einen an der höheren Liga, aber auch an den guten Transfers, die man getätigt hat. Union steht für Weiterentwicklung der Spieler, auch solchen, bei denen man nicht unbedingt eine Bundesliga-Karriere erwartet hätte. Das steigert dann natürlich den Wert des Spielers.

Die riesige Entwicklung in der Tabelle hat der Verein auch im Kader vollzogen. In diesem Sommer hat man mit Jordan Siebatcheu den Rekordtransfer auf der Zugangsseite, mit Taiwo Awoniyi aber auch den Rekordtransfer auf der Abgangsseite getätigt. Da spielt man mittlerweile in einer Region, die selbst vor zwei Jahren noch kaum vorstellbar gewesen wäre.

Und bei Hertha?

Ende 2018 hatte Hertha einen Wert von 174 Millionen. Der ist mittlerweile auf 104 Millionen geschrumpft. Dazwischen liegt eine Zeit, in der man mit dem Windhorst-Geld extrem investiert hat. Wenn man sich Transfers wie Lucas Tousart oder Krzysztof Piatek anschaut, muss man von einer Achterbahnfahrt sprechen. Insgesamt muss man aber sagen, dass es bei einem Verlust von 70 Millionen beim Marktwert komplett in die falsche Richtung geht. Da ist in der Kaderplanung also einiges schiefgelaufen. Die letzten Wochen machen aber Mut, da hat man ein gutes Bild abgegeben.

Nochmal zurück zu Union: Wer sind dort die Schlüsselspieler, die den Gesamtmarktwert in die Höhe treiben?

Der wertvollste und wahrscheinlich beste Spieler im Kader ist Sheraldo Becker, der mittlerweile auf 15 Millionen gestiegen ist. Er ist ein Paradebeispiel für den Weg von Union. Am Anfang ist er eher mitgelaufen und man wusste nicht, in welche Richtung es gehen würde. Er hat sich aber seitdem kontinuierlich gesteigert und ist in dieser Saison explodiert. Rani Khedira oder Paul Jaeckel sind ähnliche Beispiele.

Die Transferpolitik von Union ist eng verbunden mit dem Namen Oliver Ruhnert. Können Sie - beim Blick auf die Marktwerte - sein Erfolgsgeheimnis entschlüsseln?

Oliver Ruhnert geht jeden Sommer auf Schnäppchenjagd und schaut, wie er einen Spieler mithilfe des Trainerteams in seinem Verein aufbauen kann. In den ersten Bundesliga-Jahren hat er vor allem auf ablösefreie Spieler gesetzt, die noch nicht in der Bundesliga etabliert waren. Union hat diesen Spielern eine Chance geboten, an die sie vielleicht gar nicht mehr geglaubt haben, und so eine Mentalität im Verein geschaffen, die es ihnen ermöglicht, über ihr Potenzial hinauszuwachsen. Das ist eine Kunst, die viele Manager zu erreichen versuchen, aber nur die wenigsten schaffen es. Ruhnert holt Spieler, die auf den ersten Blick nicht für die Bundesliga geeignet sind, aber allesamt einschlagen - das ist schon ein Phänomen.

Bei Hertha hat Torwart Oliver Christensen zuletzt einen Sprung nach oben gemacht, auch der Wert von Neuzugang Wilfried Kanga ist gestiegen. Wem trauen Sie bei Hertha in der nächsten Zeit noch Marktwert-Sprünge zu?

Dodi Lukebakio wird wahrscheinlich wegen seiner guten Leistungen im nächsten Update steigen. Auch bei Linus Gechter sehe ich nach wie vor sehr viel Potenzial, auch wenn er zuletzt nicht gespielt hat. Marton Dardai muss man ebenfalls nennen und auch bei Lucas Tousart haben sich die Leistungen wieder stabilisiert. Da ist also wieder Potenzial nach oben vorhanden und auch Chidera Ejuke macht einen guten Eindruck.

Vielleicht hätte man sich anstelle von zwei, drei Spielern, die alles überstrahlen, lieber sieben, acht Spieler holen sollen, bei denen die Chance dann größer ist, dass zwei oder drei wirklich einschlagen.

Tobias Kröger über Herthas Transferpolitik

Hertha hat viele Millionen in den Kader investiert - im Marktwert spiegelt sich das nicht. Er scheint ein Indikator einer gescheiterten Transferpolitik zu sehen. Was waren die größten Fehler aus Ihrer Sicht?

Für mich war es ein großer Fehler, dass man Lucas Tousart geholt hat, um ihn dann bis zum Saisonende direkt wieder zurück an Lyon auszuleihen. Er war damals ein teurer Spieler in Herthas neuer Transferoffensive. Wenn man den holt und dann trotzdem erstmal ein halbes Jahr in Lyon parkt, ist das für die Außendarstellung, aber auch für den Spieler ein schlechtes Signal. Man sagt ihm: Wir geben sehr viel Geld für dich aus, du sollst der Anker im Mittelfeld werden, aber komme mal erst im Sommer.

Bei Piatek muss man im Nachhinein auch sagen, dass man danebengegriffen hat. Insgesamt ist man vielleicht zu sehr ins Risiko gegangen. Vielleicht hätte man sich anstelle von zwei, drei Spielern, die alles überstrahlen, lieber sieben, acht Spieler holen sollen, bei denen die Chance dann größer ist, dass zwei oder drei wirklich einschlagen.

Mittlerweile betont Herthas Geschäftsführer Sport Fredi Bobic immer wieder, einen Transferüberschuss erwirtschaften zu müssen. Wie schwer ist die aktuelle Situation auf dem Markt für Hertha BSC?

Der Markt ist auf jeden Fall schwer, gerade für Hertha, weil dort gefühlt immer auch ein Name hinter dem Transfer stehen muss. Da sehe ich eher keine Transfers aus der zweiten Liga, so wie zuletzt etwa bei Union. Ich finde Herthas Transferpolitik allgemein schwer zu beschreiben. Bei Union siehst du meiner Meinung nach ein klares Konzept, bei Hertha wirkt das eher wild zusammengekauft. Und es wird im Winter wirklich schwer, Qualität nachzuholen.

Bislang konzentriert ihr euch mit euren Marktwerten auf Spieler. Ist es, nachdem zuletzt auch immer mehr Trainer Ablösen gekostet haben, eine Überlegung auch deren Marktwerte zu bestimmen?

Darüber machen wir uns immer wieder Gedanken. Aber es ist nicht wirklich geplant, das zu machen. Auch, weil wir uns unsicher sind, wie eine Trainer-Bewertung stattfinden sollte.

Apropos bewerten: Fühlt es sich manchmal komisch an, Menschen, die die Spieler ja auch sind, ein Preisschild anzuhängen?

Als Privatperson auf jeden Fall. Wobei ich das ja auch schon ein paar Jahre mache und das kein Gedanke ist, der mich ständig umtreibt. Aber immer mal habe ich diesen Gedanken auch. Dass ich quasi sage: Dieser Spieler, dieser Mensch ist mehr Wert als ein anderer. Aber wir wissen ja, in welchem Kontext diese Marktwerte gemeint sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb sport.

1 Kommentar

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  1. 1.

    Es gibt ja immer Vereine bei denen die gekauften Spieler meist besser werden, wie Freiburg, Union aber z.B. auch Hoffenheim und Frankfurt zu nennen sind.
    Andere wie Hertha, HSV und Schalke stehen für das Gegenteil.
    Da gibt es noch Vereine wie Leverkusen, Gladbach oder Wolfsburg, wo schon lange viel Potential immer versandet.
    Woran liegt das. Die erstgenannten kaufen solide Spieler.
    Die zweitgenannten kaufen one Hit Wonder auf dem Höhepunkt auf dem Weg nach unten.
    Die Letzteren spekulieren.

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