Interview | Trauerkultur im Fußball - "Wir möchten Fans beim Thema Tod besser helfen"

So 26.11.23 | 08:09 Uhr
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Das Berliner Olympiastadion
Bild: IMAGO / Jan Huebner

Mit dem Projekt "Trauer unterm Flutlicht" wollen Sportvereine Trauer-Strukturen aufbauen und ihre Fans im Umgang mit Todesfällen unterstützen. Im Interview erläutert Saskia Kriese, Fanbeauftragte bei Hertha BSC, worauf es dabei ankommt.

rbb|24: Frau Kriese, im September ist in Berlin ein Projekt gestartet, das den Titel "Trauer unterm Flutlicht" trägt und sich mit Trauerarbeit in Sportvereinen auseinandersetzt. Hertha BSC soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Wie kam es dazu und was darf man sich darunter vorstellen?

Saskia Kriese: In Zusammenarbeit mit "KickIn!" und "Trauer und Fußball" wurde das Projekt schon im letzten Jahr mit dem Hamburger SV als Modellverein durchgeführt. Zusammen mit meinem Kollegen Andreas habe ich an einer Schulung zum Umgang mit trauernden Fans teilgenommen. In diesem Zuge haben wir vor Ort einen Eindruck bekommen, wie fortschrittlich und ambitioniert der HSV in dieser Hinsicht ist: Dort gibt es unter anderem einen eigenen Friedhof und Gedenkraum. In der Implementierung von Trauer-Strukturen in den Verein ist der HSV schon sehr weit.

Und wie weit ist Hertha BSC in dieser Hinsicht?

Wir haben natürlich zwei, drei Methoden, die greifen, wenn ein Vereinsmitglied verstirbt. Wir haben aber relativ schnell gemerkt – auch weil uns häufig Anfragen zu diesem Thema erreichen – dass wir uns breiter aufstellen möchten, um unseren Fans beim Thema Tod besser helfen zu können. Hertha BSC ist mehr als ein Fußballverein, Hertha ist Familie. Und es beschäftigt die Leute eben auch, wenn sie zwanzig Jahre lang mit jemandem zusammen in die Kurve gehen und er plötzlich nicht mehr da ist. Das hinterlässt eine Lücke.

Zur Person

Saskia Kriese
City-Press

Saskia Kriese ist Fanbeauftragte für Vielfalt und Inklusion bei Hertha BSC. Unter anderem ist sie im Verein zuständig für das Projekt "Trauer unterm Flutlicht" und das Awareness-Team "Wo ist Lotte?", an das sich von Diskriminierung Betroffene an Heimspieltagen wenden können.

Die Initiative "Trauer unterm Flutlicht" wurde von "KickIn!", einer Beratungsstelle für Inklusion im Fußball, in Zusammenarbeit mit dem Projekt "Trauer und Fußball" gestartet.

Gefördert wird das Projekt vom "Pool zur Förderung innovativer Fußball- und Fankultur" (PFiFF) der Deutschen Fußball Liga (DFL). In der laufenden Saison will sich Hertha BSC als sogenannter "Modellverein" verstärkt in die Projektarbeit einbringen.

Wie können Sportvereine ihren trauernden Mitgliedern und Fans helfen?

Trauer ist sehr individuell, ein sehr sensibles Thema. Manche Leute gehen sehr offen mit dem Tod um, für andere ist das eher ein Tabu-Thema. In ersten internen Runden haben wir es geschafft, alle unterschiedlichen Abteilungen im Verein abzuholen – und glücklicherweise volle Zustimmung bekommen. Dass verschiedene Teile des Vereins gemeinsam daran arbeiten wollen, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das etwas Gutes werden kann. Abgesehen davon sind wir auch mit unseren Fans und Institutionen wie Bestattungsunternehmen oder Hospizen in Kontakt getreten, was genauso essenziell ist.

Es ist zum Beispiel ein Bestatter auf uns zugekommen, der Hertha-Fan ist und uns dabei helfen möchte, eine Art "Erste-Hilfe-Szenario" für Fans zu erstellen. Schon bevor jemand stirbt, können die Menschen dann darauf vorbereitet sein, was getan werden kann und muss, wenn jemand verstirbt. Als Fan- und Mitgliederbetreuung sind wir mit den Leuten darüber im Austausch, was die Bedürfnisse sind, die Menschen in solchen Situationen haben.

Welche Möglichkeiten haben Fans und Interessierte, die erst jetzt auf dieses Projekt aufmerksam werden, daran teilzuhaben und eigene Ideen einzubringen?

Nachdem wir die erste Pressemitteilung zu dem Thema veröffentlicht haben, war ich total positiv überrascht: Es haben sich ganz viele Menschen an uns gewendet, die einen Hertha-Bezug haben, selbst Hertha-Fans sind oder einen Herthaner in der Familie hatten, der verstorben ist. Sie haben uns ihre sehr persönlichen, berührenden Trauergeschichten erzählt und zum Ausdruck gebracht, wie froh sie darüber sind, dass wir uns nun näher mit diesen Themen auseinandersetzen. Dadurch merken wir, dass Leute den Bedarf haben, gehört und gesehen zu werden – und dass die Lücke, die jemand hinterlassen hat, gesehen wird.

Es ist aber immer so, dass man noch mehr Menschen mit mehr Ideen für seine Projekte gewinnen kann. In der zweiten Phase – Anfang des kommenden Jahres – werden wir vermehrt auf Feedback-Schleifen im Austausch mit den Fans setzen, um ihre Ideen aufzunehmen und zu gucken, was realisierbar ist und zu Hertha passt.

Blau-weiße Kränze liegen an den Gräbern verstorbener Hertha-Fans (Bilder: Privat)
Blau-weiße Kränze liegen an den Gräbern verstorbener Hertha-Fans. | Bild: Privat

Die aktive Fanszene von Hertha BSC pflegt schon seit Jahren eine Trauerkultur – häufig in Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt Berlin. Die Ultra-Gruppe "Harlekins Berlin '98" veranstaltet zum Beispiel jährliche Fußballturniere wie den "Remember Benny-Cup" oder den "Spreebär-Gedenkcup" zu Ehren verstorbener Weggefährten. Außerdem sammeln sie regelmäßig Spendengelder, die verschiedenen Hilfsorganisationen und Einrichtungen – etwa im Kampf gegen Leukämie – zugutekommen. Ist die aktive Fanszene auch in die nun laufende Projektarbeit involviert?

Wir arbeiten eng mit dem Fanprojekt zusammen, für das Erinnerungskultur im Fußball auch eine große Rolle spielt, das wird also in unsere Arbeit einfließen. Wir wollen alle Fans von Hertha BSC abholen. Alle, die Lust darauf haben, dürfen mitreden. Am Ende geht es gar nicht darum, welcher Gruppierung man angehört, ob man Mitglied ist oder nicht. Es geht darum, den Verein in diesem Bereich nachhaltig mitzugestalten.

In einer Pressemitteilung zum Start des Projekts hieß es, dass spätere Konzeptbestandteile auch als Vorlage für andere Klubs erprobt und Handlungsempfehlungen an die Bedürfnisse anderer Vereine angepasst werden können. Bei Heimspielen des 1. FC Union Berlin werden während Halbzeitpausen beispielsweise schon seit Jahren Nachrufe auf verstorbene Fans vorgelesen. Gibt es ähnliche Überlegungen für Hertha BSC? Und ist die "Alte Dame" in puncto Trauerkultur mit den "Eisernen" im Austausch?

Wenn alle immer nur auf sich schauen, machen alle doppelte Arbeit. Natürlich ist es so, dass man in Fragen einer Trauerkultur neue Impulse setzen kann. Man muss das Rad aber auch nicht neu erfinden. Wie in vielen anderen Bereichen auch, kann man sich anschauen, was schon mal gemacht wurde, was funktioniert hat und gut umsetzbar ist. Ganz konkret stehen wir zu diesem Thema nicht mit Union im Austausch. Innerhalb der Projektgruppe "Trauer unterm Flutlicht" gibt es aber eine Art Steuerungsgruppe, an der viele weitere Vereine beteiligt sind: zum Beispiel der Karlsruher SC, der HSV oder die Stuttgarter Kickers. Es findet also ein vereinsübergreifender Austausch statt.

Die begonnene Projektarbeit ist zunächst auf eine Dauer von zwölf Monaten ausgelegt. Was können und wollen Sie in diesem Zeitraum erreichen?

Wichtig ist, dass eine verstorbene Person in Erinnerung bleibt. Solange man sich noch an eine Person erinnert, bleibt sie. Viele Hinterbliebene legen Wert darauf, dass Hertha eine Form des Erinnerns möglich macht; zum Beispiel, indem eine Kerze im Stadion angezündet werden kann. Das zu ermöglichen – niederschwellig und ohne siebzehn Formulare, die vorab ausgefüllt werden müssen – ist ein Ziel dieses Projekts. Eine Form des Rituals zu finden, die allen Herthanerinnen und Herthanern zugänglich ist. Es wohnen aber auch nicht alle in der Nähe des Olympiastadions und Vereinsgeländes. Und im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen haben wir auch kein eigenes Stadion. Unsere Strukturen sind andere. Wir können beispielsweise nicht einfach eine Gedenkplakette anbringen. Wir sind aber dabei, kreative Wege und Lösungen zu finden, um auf verschiedenen Ebenen Angebote zu schaffen. Wir wollen auch einen Stammtisch zum Thema Tod und Trauer organisieren, um mit den Menschen darüber zu sprechen, was es bedeutet, wenn jemand stirbt und auch darüber, welche Pflichten und Fragen auf Hinterbliebene zukommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.

2 Kommentare

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  1. 1.

    Diese Aktion ist gut und wichtig. Solche Initiativen im Profisport sind lange überfällig. Denkbar wären beispielsweise weiterhin Arbeitsgruppen zum Umgang mit Demenz beim Curling oder Anlagebetrug im Motorsport.

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