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Quelle: imago images/Matthias Koch

Türkiyemspor Berlin

"Wir möchten nicht mehr als Migrantenverein dargestellt werden"

Türkiyemspor gilt über die Grenzen Berlins hinaus als Aushängeschild für gelungene Integrationsarbeit. Im Interview erklärt der 3. Vorsitzende, dass er sich trotzdem eine andere Wahrnehmung wünscht und vor welchen Problemen der Verein steht.

Türkiyemspor Berlin wurde 1978 von türkischstämmigen Freizeitfußballern mitten in Kreuzberg gegründet und entwickelte sich schnell zu einem der größten und bekanntesten von Migranten gegründeten Vereinen in Deutschland. Der Klub gehörte viele Jahre zu den erfolgreichsten Amateurteams der Stadt, lockte tausende Zuschauer ins Stadion und bestritt sogar Freundschaftsspiele gegen Bayern München und die beiden Istanbuler Top-Klubs Fenerbahce und Galatasaray.

Heute ist Türkiyemspor vor allem wegen seines sozialen Engagements bekannt, das bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. So versucht der Sportverein vor allem Kindern und Jugendlichen in Zusammenarbeit mit Streetworkern zu helfen und eine Perspektive zu bieten. Außerdem war der Klub einer der ersten, der eine Frauen- und Mädchenfußballabteilung gründete.

Zur Person

rbb|24: Herr Dogan, 45 Jahre ist Türkiyemspor Berlin mittlerweile alt. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung des Vereins und wie ist es aktuell um ihn bestellt?

Murat Dogan: Wenn man sich die Entwicklung über die gesamte Geschichte anguckt, kann man zufrieden sein. Vor allem aktuell, weil wir nach der Insolvenz, die bis 2016 ging, kaum Teams hatten. Mittlerweile haben wir in allen Altersstufen mehrere Mannschaften. Unsere Frauen spielen in der Regionalliga und wir haben ganz viele Mädchen im Verein. Außerdem haben wir eine Basketballabteilung gegründet, die mittlerweile auch schon über 200 Mitglieder hat. Auch dort gibt es viele Mädchenteams und ein Frauenteam, das in der Regionalliga spielt.

Türkiyemspor gilt in Berlin als Vorreiter des Frauenfußballs. Die erste Mannschaft spielt derzeit in der Regionalliga, in der nun auch große Vereine wie Union Berlin, Hertha BSC und Viktoria mitmischen. Sie selbst gelten im Verein als großer Voranbringer des Frauenfußballs. Wie bewerten Sie den Status quo in der Hauptstadt?

Sehr positiv. Nach all den Jahren des Kampfes – vor allem auch unseres – hat der Frauenfußball in Berlin in den letzten zwei Jahren eine starke Aufwertung erfahren. Viktoria möchte professioneller sein, Union hat nachgezogen und wie es aussieht, wird das auch Hertha BSC tun. Und auch wir versuchen, dort weiterhin unseren Platz zu finden. Das macht die ganze Sache jetzt interessanter und es ist eine Menge Bewegung reingekommen. Wir werden in den nächsten Jahren sehen, ob die Entwicklung richtig und gut war.

Für die wegweisende Arbeit im Frauen- und Mädchenfußball wurde der Verein mehrfach ausgezeichnet, er ist aber auch für sein soziales Engagement bekannt. Türkiyemspor setzt sich lautstark gegen Diskriminierung und Gewalt im Sport ein. Dafür gab es unter anderem auch den Integrationspreis des DFB. Wie lebt der Verein diese Werte vor?

Viele Leute fragen mich immer, was wir so für Projekte dafür machen. Aber der Verein ist das Projekt. Türkiyemspor wurde 1978 als türkischstämmiger Verein gegründet, ist aber mittlerweile fester Bestandteil der Berliner Gesellschaft. Wir möchten nicht mehr als Migrantenverein dargestellt werden. Die Menschen der Generation, die mittlerweile bei uns spielen und Verantwortung übernehmen, sind alle Berlinerinnen und Berliner. Wir erheben dazu keine Zahlen, aber vom Gefühl her, sind bei uns 60 bis 70 Prozent der Mitglieder deutsche Staatsangehörige. Und die restlichen kommen wirklich aus aller Welt. Auch geflüchtete Menschen schließen sich uns natürlich an, aber das sind keine hohen Zahlen. Wir bieten ihnen die Möglichkeiten an, die wir haben, aber der Zugang zu einem Sportverein ist nicht so einfach und die bürokratischen Hürden hoch.

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Sie selbst sind hauptberuflich Sozialarbeiter und kennen sich mit den Problemen in der Stadt aus. Welchen Beitrag kann ein Sportverein leisten, um diese zu bekämpfen?

Der Beitrag, den wir leisten, der ist schon mehr als genug. Unsere Probleme liegen eher darin, dass wir die Möglichkeit haben müssen uns besser zu strukturieren. Das betrifft alle anderen Vereine auch, denn das Ehrenamt stirbt so langsam aus. Die Menschen haben nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten, um ihre freie Zeit in Ehrenamt zu investieren, sondern sind darauf angewiesen, zusätzlich Geld zu verdienen. Es ist also enorm wichtig, dass es da Zuwendungen für Vereine gibt. Das muss vom Staat und den Fußballverbänden kommen. Man weiß, dass es da viel Geld gibt, das muss nur besser umverteilt werden. Dann können wir in Personal und Sozialarbeiter investieren, die die Menschen nicht nur sportlich, sondern auch pädagogisch begleiten können und uns so langfristig für den gesellschaftlichen Frieden einsetzen. Wir sind jetzt den Weg gegangen, auch in Hauptamtlichkeit zu investieren. Es gab eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne, durch die wir mittlerweile unsere Geschäftsführung fest einstellen konnten – zwar nicht Vollzeit, aber auf 20-Stunden-Basis. Das war ein Meilenstein für uns. Es ist sehr wichtig, dass viele andere Vereine das auch machen können.

Mit welchen Zielen geht der Verein in die nächsten Jahre?

In den kommenden Jahren wollen wir noch mehr Stellen schaffen, damit der Verein weiter gesund wachsen kann und gut organisiert und strukturiert ist. Außerdem wollen wir in unsere Anlage investieren und ein Vereinsheim haben, wo unsere Mitglieder, Kinder und Jugendlich abhängen können. Das fehlt gerade noch. Auch unser Kunstrasen ist relativ schlecht und müsste erneuert werden. Das sind viele kleine Dinge, die alle anderen Vereine auch haben. Sportlich gesehen wollen wir mit den Frauen in der Regionalliga bleiben, in die Jugend- und Mädchenabteilung investieren und gute Spielerinnen und Spieler, aber auch gute Menschen ausbilden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 24.11.2023, 18 Uhr

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