Tausende Kadaver in der Oder
Nach dem massenhaften Fischsterben ist weiter unklar, was die Katastrophe ausgelöst hat. Nachdem zunächst Quecksilber im Fluss nachgewiesen wurde, stehen nun große Mengen an gelösten Salzen im Fokus. Frankfurt sprach derweil Verbote aus.
Der Brandenburger Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hat große Mengen an gelösten Salzen als eine der Ursachen für die verendeten Fische in der Oder genannt. Neue Laborergebnisse vom Freitag hätten erhöhte Salzfrachten in dem Fluss aufgezeigt, erklärte er am Freitagabend in rbb24 Brandenburg Aktuell. Dies sei "absolut atypisch". Man könne daraus schließen, dass diese ursächlich für den Tod der vielen Fische seien. Diese Ergebnisse seien aber noch nicht abschließend, weitere Ergebnisse werden demnach erwartet.
Ob auch Quecksilberwerte erhöht sein könnten, wie es erste Untersuchungen gezeigt haben, werde weiter überprüft. Vogel betonte, dass Quecksilber als Fischgift langfristig wirke. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sei Quecksilber aber nicht in solchen Mengen in die Oder eingebracht, dass es hätte Fischsterben auslösen können.
Offiziell habe der Umweltminister nach wie vor keine Informationen von polnischer Seite, dass Chemieabfall in den Fluss gekippt worden sei. Vogel stehe im Kontakt mit dem polnischen Umweltministerium und der Marschallin vom Lebuser Land. "Alle polnischen Behörden zeigen deutlich an, dass sie selber zu wenig wissen, dass sie auf Informationen von uns vertrauen", so der Grünen-Politiker.
Es gebe Hinweise darauf, dass bei Opole, in der Nähe von Wrocław im Süden Polens, Ende Juli Stoffe in die Oder gelangt seien. Allerdings könne keine Aussage darüber getroffen werden, welche Stoffe das genau seien. Außerdem gebe es keine Erkenntnisse darüber, inwieweit sich diese in den Fischen angereichert haben.
Die Stadt Frankfurt (Oder) hat derweil mit sofortiger Wirkung unter anderem das Baden, Viehtränken und Angeln per Allgemeinverfügung auf unbestimmte Zeit verboten.
Demnach erreichte die Welle mit organischen Substanzen Frankfurt (Oder) am 8. August. Die Auswirkungen auf das Ökosystem ließen auf synthetische chemische Stoffe, sehr wahrscheinlich auch mit toxischer Wirkung für Wirbeltiere schließen, hieß es. Es sei davon auszugehen, dass der Kontakt mit Wasser aus diesem Gewässer für Mensch und Tier gefährlich ist.
Die Folgen des Fischsterbens werden laut Vogel noch jahrelang zu spüren sein. "Für die Oder als ökologisch wertvolles Gewässer ist das ein Schlag, von dem sie sich mehrere Jahre vermutlich nicht mehr erholen wird", sagte er bei einem Besuch in Schwedt (Landkreis Uckermark). Die Fischbestände müssten erst langsam neu aufgebaut werden.
"Wenn auch das Zooplankton, also die kleinen Lebewesen in der Oder, geschädigt sind - und davon ist auszugehen -, dauert es einen langen Zeitraum, bis überhaupt das Futter für die Fische wieder in ausreichendem Ausmaß in der Oder zu finden ist."
Eine ernsthafte Gefährdung der Ostsee durch giftige Substanzen, die über den Fluss dorthin gelangen könnten, sieht Vogel dagegen nicht: "Ich würde erstmal davon ausgehen, dass, was immer sich auch in der Oder gerade befindet, so weit verdünnt wird, dass es in der Ostsee keinen Schaden mehr anrichten wird."
Noch am Freitag galt Quecksilber als mögliche Ursache. Vogel bestätigte am Mittag eine Quecksilberbelastung. "Aber wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage treffen, dass das Quecksilber auch ursächlich für den Tod der Fische verantwortlich ist", hieß es.
Möglich sei auch eine Kombination von mehreren Faktoren wie Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffen, sagte Vogel. "Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen." Aktuell gebe es aber historische Niedrigwasserstände an der Oder.
Solche geringen Wassermengen führten dazu, dass jeder Stoff im Wasser in einer höheren Konzentration vorliege, sagte Vogel. Von daher könne es durchaus sein, dass Stoffe, die normalerweise in der Dosierung nicht so gravierend seien, jetzt durch die erhöhte Dosis gefährlich würden. Es sei inzwischen geklärt, dass Fische auch in Deutschland sterben würden und nicht nur verendete Tiere aus Polen angeschwemmt worden seien, sagte der Umweltminister.
Auch Naturschützer gehen von weitreichenden Folgen für den Nationalpark Unteres Odertal aus. "Die Auswirkungen sind einfach furchtbar", sagte der stellvertretende Nationalparkleiter Michael Tautenhahn am Freitagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. "Für den Nationalpark ist das schlichtweg eine Katastrophe." Die Vergiftungswelle sei komplett durch die Oder gegangen. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer.
Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen, sagte Tautenhahn im Gespräch mit dem rbb. "Sie fressen diese wahrscheinlich vergifteten Fische und werden möglicherweise auch daran sterben", so Tautenhahn. Der Nationalpark Unteres Odertal zählt zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland.
Die Gewässer im Oderbruch sind nicht mit Giftstoffen belastet. Das sagte der Leiter der Umweltverwaltung im Kreis Märkisch-Oderland, Gregor Beyer, am Freitag in rbb24 Brandenburg Aktuell. Alle in Rede stehenden Schadstoffe ließen sich bei Wasserproben aus dem Oderbruch und den anschließenden Seen aktuell nicht nachweisen, erklärte Beyer. "Wir haben rechtzeitig am Dienstagabend begonnen, alle Schotten zum Grabensystem des Oderbruchs dicht zu machen", erklärte Beyer. Dadurch sei die Welle mit Giftstoffen nicht in das Oderbruch gelangt.
Vorsichtshalber bleibe es vorerst weiter verboten, Wasser aus dem Oderbruch zu entnehmen, um damit Gärten und Felder zu bewässern oder Tiere zu tränken, so Beyer weiter. Am Montag werde beraten, ob dieses Verbot aufgehoben werden kann.
Nach Angaben der polnischen Umweltschutzbehörde wurde das Fischsterben wahrscheinlich von einer Wasserverschmutzung durch die Industrie ausgelöst. Polen wird die Untersuchungsergebnisse von massenweise verendeten Fischen aus der Oder aber frühestens am Sonntag vorlegen können. Bislang habe das Staatliche Forschungsinstitut in Pulawy noch keine Fische erhalten, sagte der Leiter Krzysztof Niemczuk am Freitag der Nachrichtenagentur PAP.
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki von der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unterstützt die These der dortigen Umweltschutzbehörde. Das Fischsterben in der Oder sei offenbar durch die Einleitung von Chemieabfällen ausgelöst worden, teilte er am Freitagnachmittag mit. "Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen", sagte Morawiecki. Morawiecki betonte, alle zuständigen Behörden seien in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Von möglichen Beweisen wurde bisher nichts bekannt.
Sendung: Antenne Brandenburg, 12.08.2022, 14 Uhr
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