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Video: rbb24 Abendschau | 26.10.2022 | Helena Daehler | Quelle: imageBROKER

Geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente

Lösungen für die Babyboomer-Lücke

Fast ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland geht in den kommenden 14 Jahren in Rente, es sind die bislang geburtenstärksten Jahrgänge. Das Problem: Es kommen nicht genug Junge nach. Was kann gegen die Lücke helfen? Von M. Röder, Y. Speck, S. Schneider

Immer weniger erwerbstätige Menschen in Deutschland kommen auf immer mehr Rentnerinnen und Rentner - der demographische Schock wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren spürbar werden, denn dann verabschieden sich die geburtenstärksten Jahrgänge in den Ruhestand: die sogenannten Babyboomer. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass das Erwerbspersonenpotenzial in der Bundesrepublik zwischen 2020 und 2035 aus diesem Grund voraussichtlich um 7,2 Millionen Arbeitskräfte sinkt, ein Rückgang um mehr als 15 Prozent.

Die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung lassen die Produktivität pro Arbeitsstunde in vielen Jobs steigen, prognostiziert die EU in einem aktuellen Bericht. Aber das gleicht den Rückgang nicht aus. Der Pflegeroboter ersetzt den Menschen (noch lange) nicht.

Geht es so weiter, wird menschliche Arbeitskraft also ein knappes, noch wesentlich begehrteres Gut als heute schon. Was kann man tun, um diese Lücke zu verkleinern? Eine Übersicht der wichtigsten Punkte, die nach Aussagen von Arbeitsforscherinnen und -forschern sowie Wirtschaftsverbänden helfen würden.

rbb|24-Datenauswertung | Demografische Entwicklung

Ein Land geht in Rente

Die Gesellschaft wird immer älter, in den nächsten Jahren gehen die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente. Bestimmte Berufe trifft der Abschied der Babyboomer besonders - das zeigen Daten der Arbeitsagentur. Von G. Gringmuth-Dallmer und S. Schneider

Einwanderung

Einfache Rechnung: Seit 50 Jahren sterben in Deutschland mehr Menschen, als geboren werden. "Will Deutschland seine Bevölkerungszahlen in etwa stabil halten, so kann dies aufgrund der Sterbeüberschüsse nur durch Zuwanderung von außen erreicht werden", erklärte der Leiter des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Markus Eltges [bbsr.bund.de]. Ein zentraler Lösungsansatz für den Fachkräftemangel ist deshalb die Einwanderung. Menschen aus dem Ausland könnten die fehlenden Fachkräfte hierzulande ersetzen, zumindest in der Theorie. "Deutschland braucht eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr”, sagt Holger Seibert. Nur dann könne die Gesamtbeschäftigung aufrechterhalten und die Babyboomer-Lücke gefüllt werden.

Es ist aber fraglich, ob das gelingen kann. Denn die Länder, aus denen die Zuwanderer bislang kamen, um beispielsweise in der Pflege zu arbeiten, haben mittlerweile mit ähnlichen demographischen Herausforderungen zu kämpfen wie Deutschland. Die Fachkräfte würden jetzt in ihren Heimatländern gebraucht, so Seibert. Im Kampf um Hochqualifizierte konkurriert Deutschland ohnehin schon mit anderen wohlhabenden Ländern weltweit. Menschen müssen hier ankommen, sich einleben, die Sprache lernen, das Leben hier lernen - nur dann werden sie dauerhaft hier als Arbeitskräfte Fuß fassen können.

Interview | Arbeitsmarktforscher zu Babyboomer-Lücke

"Es bräuchte eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr"

In den kommenden zehn Jahren gehen die Babyboomer-Jahrgänge 1958 bis '64 in Rente. Sie werden eine erhebliche Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Im Interview spricht der Arbeitsmarktforscher Holger Seibert über Wege aus dieser nahenden Krise.

EU-Fachkräftezuwanderungsgesetz: Kaum Effekte

Aber abgesehen von der Frage der Integration gibt es eine Hürde, die viele abschreckt, die sich auch eine Zukunft woanders vorstellen können: Der deutsche Arbeitsmarkt konzentriert sich noch immer auf Abschlüsse, Zeugnisse und Zertifikate. Für Einwanderer ist es oft schwierig, ihre Abschlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen. Deutschland tut sich damit noch schwer. Holger Seibert sieht hier Handlungsbedarf. “Genau da könnte man etwas tun. Für die Arbeitgeber muss ersichtlicher werden, welche Zeugnisse wie mit den deutschen Abschlüssen vergleichbar sind”.

Eine weitere Hürde ist die Sprache. Wenn eine Arbeitskraft aus Brasilien in Spremberg in der Pflege arbeiten soll, muss sie Deutsch sprechen. Ein Problem. Denn es wird vielfach erwartet, dass die Sprachkenntnisse schon mitgebracht werden. Für den Arbeitsmarktforscher Seibert ist das überambitioniert. “Wenn die Deutschkurse hier stattfinden würden, würde das die Migration attraktiver machen”.

Damit Migration den Fachkräftemangel in Deutschland beheben kann, sind noch etliche Hürden abzubauen. “Ich halte Migration als Lösung für den Fachkräftemangel für nicht ganz einfach, da es einfach zu viele Unwägbarkeiten gibt”, sagt Holger Seibert. Aus EU-Ländern wie Polen oder Spanien kommen inzwischen viel weniger arbeitssuchende Zuwanderer nach Deutschland, Menschen aus Drittstaaten außerhalb der EU können diesen Rückgang nicht ausgleichen.

Seit zwei Jahren gilt das sogenannte Fachkräftezuwanderungsgesetz der EU, es verlangt relativ strikte Voraussetzungen für eine Zuwanderung von außerhalb der Union. Die Nicht-EU-Bürger müssen bereits beim Antrag gute Sprachkenntnisse und eine ausreichende finanzielle Absicherung nachweisen, außerdem eine vergleichsweise hohe Qualifikation. Bislang sind nur sehr wenige Arbeitskräfte in Zusammenhang mit diesem Gesetz eingewandert.

Babyboomer gehen in Rente: Blick ins Ausland

So gehen andere Länder mit dem Fachkräftemangel um

Deutschlands Bevölkerung altert. Das wird sich deutlich bemerkbar machen: In den nächsten zehn Jahren gehen die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente. Was tun andere Länder gegen die Fachkräftelücke - und was kann sich Deutschland abschauen?

Ausbildung attraktiver gestalten

Wer einer Überalterung im Betrieb entgegenwirken will, muss für Nachwuchs sorgen - das sagt sich leicht. Viele Betriebe haben Probleme damit, junge Leute für Ausbildungen zu finden. Das zeigen Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Bei einer Umfrage gaben mehr als vier von zehn Betrieben an, nicht alle Ausbildungsplätze besetzt zu haben. Bei 36 Prozent der befragten Betriebe ging keine einzige Bewerbung ein [dihk.de].

Wer nur damit argumentiert, jungen Leuten werde auf dem Gymnasium eben der Kopf verdreht, sie müssten alle studieren, spricht diesen ab, eine selbstständige Entscheidung über ihre berufliche Zukunft treffen zu können. Die Zahlen zeigen: Offensichtlich sind viele Ausbildungen im Vergleich nicht attraktiv genug. Das liegt nicht selten an der Ausbildung selbst.

Wie der aktuelle DGB-Ausbildungsreport zeigt, würden im ersten Ausbildungsjahr noch mehr als 71 Prozent der befragten Azubis ihre Ausbildung weiterempfehlen - im vierten Jahr waren es nur noch 48,6 Prozent [jugend.dgb.de]. Knapp zwölf Prozent der Befragten gaben an, ihr Ausbilder sei selten oder nie am Ausbildungsplatz zu finden, der höchste Wert seit 14 Jahren. Und: Mehr als ein Drittel gab an, keinen betrieblichen Ausbildungsplan zu haben, obwohl der gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Azubis bekamen demzufolge nicht gesagt, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was die Lerninhalte sind. So zerstört man Motivation.

Audi als Dienstwagen - für Azubis

Auch beim Restaurant Wilde Klosterküche im brandenburgischen Neuzelle sei die Nachfrage an Ausbildungen in den vergangenen Jahren zurückgegangen, sagt der Küchenchef Manuel Bunke. Die Verantwortung, daran etwas zu ändern, sieht Manuel Bunke bei seinem Betrieb selbst. "Wir leben in einer Veränderungswelt. Die Älteren müssen sich an die Bedürfnisse der Jüngeren anpassen. Wer das nicht macht, bleibt auf der Strecke", sagt Bunke.

Bei der Wilden Klosterküche heißt das konkret: Die zwei Auszubildenden bekommen ein Dienstwagen. "Weil sie Probleme mit der örtlichen Anbindung hatten", erklärt Bunke. "Und weil die jungen Leute darauf stehen, ist es ein Audi geworden." Im Gegenzug verpflichten sich die Auszubildenen aber auch, zwei Jahre im Betrieb zu bleiben. Bunke nennt das ein Geben und Nehmen.

Neben dem Audi lockt die Wilde Klosterküche auch mit einer 4-Tage-Woche. Alles im Sinne einer gesunden Work-Life-Balance, sagt Bunke. Als er damals seine Ausbildung gemacht habe, sei das noch anders gewesen. "Uns wurde beigebracht, immer zu arbeiten. Weihnachten, Ostern. Warum sollten junge Menschen sich das antun?", fragt Bunke.

Später in Rente gehen

Was passiert eigentlich, wenn die Babyboomer nicht in den kommenden zehn Jahren in Rente gingen, sondern noch länger im Beruf blieben? Die Regelaltersgrenze dieser Generation liegt momentan zwischen 65 und 67 Jahren.

Es ist eine simple Rechnung. Wenn sich die erfahrenen Fachkräfte in einem Betrieb nicht mit 65 oder 67 Jahren aus dem Berufsleben verabschieden, sondern beispielsweise bis 70 arbeiten, dann hat der Betrieb drei bis fünf Jahre länger Zeit, um Nachwuchs zu finden. Außerdem bleibt dem Betrieb die Erfahrung der Mitarbeiter noch etwas länger erhalten - und davon profitieren auch Jüngere.

Man kann den Effekt auch mit dem sogenannten Altersquotienten untersuchen. Der beschreibt, wieviele Rentnerinnen und Rentner es pro 100 Menschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren gibt. Im Moment liegt er in Deutschland bei 38. Lässt man den Arbeitsmarkt so weiterlaufen, liegt er im Jahr 2035 bereits bei 53. Würde man das Renteneintrittsalter auf 70 erhöhen, bliebe der Quotient bis 2035 konstant.

Krise im Öffentlichen Dienst

Schlecht gewappnet für die Pensionierungswelle

In Berlin geht ein Viertel der Verwaltungs-Beschäftigten bis 2023 in Rente - und es gibt nicht genug Nachwuchs. Gleichzeitig wächst die Stadt weiter: In der Verwaltung droht ein Desaster. Der Senat versucht jetzt gegenzusteuern. Von Jana Göbel, Ansgar Hocke und Götz Gringmuth-Dallmer

Mehr Geld nutzt nichts, wenn die Leute nicht mehr können

Finanzielle Anreize sollen die Menschen länger im Job halten. Pro Monat, den man über die Regelaltersgrenze hinaus arbeitet, erhöht sich die Rente um 0,5 Prozent. Ein Jahr länger im Beruf bleiben bedeutet eine Rentenerhöhung von 6 Prozent. Fraglich ist nur, ob die Babyboomer bis circa 70 arbeiten wollen - und vor allem, ob sie es überhaupt noch körperlich können.

Möchte man dieses Ziel erreichen, muss man Menschen besser vor Gesundheitsschäden durch ihre Arbeit schützen - und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist, sondern von Beginn des Berufslebens an. Ein solches, auf ältere Beschäftigte angepasstes Gesundheitsmanagement in Unternehmen fordert auch das Institut der deutschen Wirtschaft in seiner Studie "Perspektive 2035" [iw-koeln.de]. Heißt zum Beispiel: Lieber ein Kollege, den man ein paar Stunden am Tag hat, als gar keinen.

Weiterbildung stärker fördern

Ja, der Begriff "lebenslanges Lernen" mag inzwischen abgedroschen klingen - aber dass man vom ersten bis zum letzten Tag seines Arbeitslebens im gleichen Job, der gleichen Firma arbeitet, wird nur noch in wenigen Berufen die Regel sein. Auch im Handwerk gilt das, die Anforderungen entwickeln sich rasant weiter. Simple Logik: Gibt es nicht genug Arbeitskräfte, kommt es umso mehr darauf an, dass die, die man hat, das können, was gerade gebraucht wird. Seit 2018 gilt das sogenannte Qualifizierungschancengesetz, mit dem die Bundesagentur für Arbeit den Erwerb neuer Qualifikationen in einer Firma unterstützt.

Im Frühjahr 2022 haben sich 39 deutsche Großkonzerne zu einer "Allianz der Chancen" zusammengeschlossen [tagesschau.de]. Dabei sind neben Autozulieferern wie Continental und Bosch auch der Chemiekonzern BASF, Siemens und die Deutsche Bahn AG. Ziel: die Mitarbeiter "von Arbeit in Arbeit zu bringen und ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen", so das Bündnis. Wer wechseln möchte, soll unkompliziert die Chance haben, sich dafür entsprechend weiterzubilden.

Ein ganz praktisches Beispiel zeigt sich in der Lausitz: Dort, wo mit dem geplanten Ende der Braunkohletagebaue spätestens 2038 Berufe überflüssig werden - rund im die Renteneintritte der letzten Babyboomer. Auf die Arbeitskräfte zu verzichten, kann sich die Wirtschaft nicht leisten - deshalb will der verantwortliche Energiekonzern Leag Mitarbeiter für den Bereich erneuerbare Energien umqualifizieren und ausbilden. Im vergangenen Mai wurde in Lübbenau der "Qualifizierungsverbund Lausitz für Erneuerbare Energien" (QLEE) gegründet, daran beteiligen sich unter anderem die Leag, der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) und das Institut für betriebliche Bildungsforschung. "Es geht hier nicht um den Ausbau der Erneuerbaren, sondern um die Qualifizierung der Menschen", sagte Jan Hinrich Glahr vom Verband BEE. Der Fachkräftebedarf in der Branche werde, vor allem zukünftig, immer größer. Diese wolle man in der Region gewinnen.

Fachkräftemangel im Handwerk

Im roten Bereich

Die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge verabschieden sich in den kommenden Jahren in Rente. Berufe wie im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik sind davon besonders betroffen - Firmen spüren die Lücke jetzt schon enorm. Von H. Daehler und S. Schneider

Mehr Frauen in Vollzeit

In kaum einem anderen europäischen Land gibt es so viele erwerbstätige Frauen wie in Deutschland. Das zeigen Zahlen der Arbeitsagentur [statistik.arbeitsagentur.de]. Demnach liegt die Erwerbsquote von weiblichen Personen bei knapp 75 Prozent.

Doch auch wenn der Anteil von erwerbstätigen Frauen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter gewachsen ist: Auf dem Arbeitsmarkt gibt es noch immer keine Geschlechtergerechtigkeit. So arbeitet zum Beispiel knapp die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeit. Bei Männern sind es gerade einmal zwölf Prozent. Ein zentraler Grund dafür: Wenn Frauen Kinder bekommen, fällt noch immer ein Großteil der unbezahlten Sorgearbeit auf sie zurück.

Die Bundesregierung erkennt in diesen Zahlen ein Potenzial. Wenn mehr Frauen in Vollzeit statt in Teilzeit arbeiten würden, könnten sie dadurch den Fachkräftemangel vermindern. Dieses Ziel zumindest ist Teil der sogenannten Fachkräftestrategie, die die Regierung Anfang Oktober vorgestellt hat [bmas.de]. Ein verbesserter Zugang zur Kinderbetreuung, mehr Kita-Plätze, eine faire Verteilung von Sorgearbeit in Partnerschaften und die Verringerung der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen sollen hierfür Anreize schaffen. Besonders für "gewerblich-technische Berufe" möchte die Regierung laut ihrer Strategie dadurch mehr weibliche Beschäftigte gewinnen.

Neue Wege gehen und Vorgaben lockern, um Quereinsteiger zu finden

An ein paar dieser Schrauben kann man drehen, aber zur Wahrheit gehört auch: Das Potenzial an Erwerbstätigen ist in Deutschland nahezu ausgereizt. Mit anderen Worten: Sind sie nicht gerade arbeitssuchend, muss man die potentiellen Kolleginnen und Kollegen anderen abluchsen.

Ein Bäcker aus Werder/Havel hat für 9.000 Euro eine Agentur mit einem Imagefilm beauftragt. Damit wirbt er auf Facebook und Instagram - aber nicht um neue Käufer seiner Brötchen, sondern um einen Angestellten oder eine Angestellte. Eine Beelitzer Sanitär- und Heizungsfirma lässt einen Mitarbeiter auf Instagram Videos und Fotos aus dessen Berufsalltag posten. Und lässt eine Recruitingfirma Umfragen in sozialen Netzwerken machen, um neue Kollegen zu finden. Wer klickt, wird direkt von einer Mitarbeiterin angerufen. Headhunter suchen längst nicht mehr nur in der Preisklasse Top-Managerin oder Krankenhauschef, sondern arbeiten auch für Handwerksbetriebe, weil der Bedarf so groß ist [deutschlandfunkkultur.de].

Dieser Bedarf zeigt sich zum Beispiel im Bereich Verkehr: 35 Prozent der Berufskraftfahrer gehen in den kommenden zehn Jahren in Rente, teilt das Statistische Bundesamt mit. In Brandenburg sind mehr als ein Drittel der Beschäftigten dieser Branche, vor allem Lkw-Fahrer, 55 Jahre oder älter - deutlich über dem Altersdurchschnitt der Erwerbstätigen insgesamt. Es gibt inzwischen Betriebe, die Fahrern mehrere Tausend Euro Prämie zahlen, um sie abzuwerben.

Strategien im Kampf gegen Fachkräftemangel

"Hast du schonmal über eine Ausbildung im Handwerk nachgedacht?"

Immer mehr große Konzerne investieren in ihre Personalabteilungen. Bei der Suche nach Fachkräften kommen reichlich Geld und kreative Ideen zum Einsatz. Kleinere Betriebe tun sich damit oft schwer - ziehen aber nach. Von Anja Dobrodinsky

Bewerbungsprozess vereinfachen

Auch die Branche Personenbeförderung im Landverkehr hat sowohl in Brandenburg (40,5 Prozent) als auch in Berlin (34 Prozent) einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Beschäftigten über 55 Jahren - hier droht also mit dem Abschied der Babyboomer eine große Lücke. Noch größer, weil das erklärte Ziel der Regierung ist, den ÖPNV weiter auszubauen. Aber dafür braucht man überhaupt erstmal genug Leute, die all die neuen Busse oder Bahnen fahren.

Die Berliner Verkehrsbetriebe zum Beispiel haben deshalb ihren Bewerbungsprozess radikal vereinfacht: Anstatt zu verlangen, dass jeder Bewerber und jede Bewerberin vor einem Schreibtisch in der Zentrale Platz nimmt, organisiert die BVG mehrmals im Jahr "Recruiting-Events", während Corona nur digital, aber zunehmend auch auf Betriebshöfen. Diese Veranstaltungen richten sich dabei auch gezielt an Frauen, die den Beruf wechseln möchten.

Wer die Grundvoraussetzungen erfüllt, kann einfach vorbeikommen, sich vorstellen und eine Runde mit dem Bus auf dem Betriebshof drehen. Anstelle eines Anschreibens braucht man ein Foto seines Führerscheins, einen Lebenslauf und eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister (FAER), das war's. Quereinsteiger brauchen keine abgeschlossene Berufsausbildung mehr, auch der Einstellungstest wurde überarbeitet, sagte der BVG-Sprecher Hannes Schwentu rbb|24.

Um das Anstellen und Ausbilden neuer Mitarbeiter zu vereinfachen, will die Regiobus Potsdam-Mittelmark ihre eigene Fahrschule gründen. | Quelle: rbb

Eine eigene Bus-Fahrschule

Auch die Prüfungsvoraussetzungen müssten geändert werden, um mehr Quereinsteiger zu erreichen, sagt der Chef des Verbandes Mitteldeutscher Omnibusunternehmen (MDO). Erst nach dem Pkw- und danach dem Lastwagenführerschein kann man den Busführerschein machen. Dafür brauche man zwischen 96 und 110 Pflichtstunden beim Bus-Fahrtraining. In Österreich sind es nur 38,5 Pflichtstunden. Das treibe die Kosten für den Führerschein für die deutschen Unternehmen in die Höhe, sagt der Geschäftsführer Tilman Wagenknecht - auf 6.000 bis 10.000 Euro. Statt unbeweglicher Vorgaben sollte die tatsächliche Eignung der Fahrschüler entscheidend für die Prüfung sein, schlägt Wagenknecht vor. Die liege in der Beurteilung der Fahrlehrer.

Die Verkehrsgesellschaft Regiobus Potsdam-Mittelmark, die dem Landkreis gehört, packt dieses Problem jetzt selbst an: Weil viele Fahrer in den nächsten beiden Jahren in Rente gehen und sie so dringend Nachwuchs braucht, will die Firmenleitung 2024 eine eigene Fahrschule in Bad Belzig aufmachen - nur für den Eigenbedarf.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 26.10.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Marie Röder, Yasser Speck, Sebastian Schneider, rbb|24

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