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Audio: rbb24 Inforadio | 19.07.2022 | Bruno Dietel | Quelle: rbb/Bruno Dietel

Schau im Kraftwerk Mitte

"Tresor" stellt Schätze der Berliner Techno-Szene aus

Der "Tresor" ist seit der ersten Party 1991 einer der wichtigsten Clubs der Berliner Techno-Szene. Den Anfang - einen Tresorraum am Potsdamer Platz - gibt es nicht mehr, aber viele Erinnerungen sind nun in einer Ausstellung zurück. Von Bruno Dietel

Es ist still im Kraftwerk Mitte, so still, wie es hier sonst selten ist. Denn seit 2005 ist das Kraftwerk die neue Heimat des legendären Clubs "Tresor". Der Wind weht leise bei der Vorstellung der Ausstellung zur Geschichte des Clubs durch die Hallen und lässt zwei meterlange, schwere, rote Vorhänge tanzen. Sie sind aus ehemaligen Bannern des "Tresor" zusammengenäht.

Dieser Ort ist ein Tempel der Berliner Clubkultur und seine Heiligtümer sind gerade ausgestellt: Auf drei Etagen des imposanten Kraftwerks sind Relikte und Erinnerungen aus drei Jahrzehnten Club- und Stadtgeschichte zu sehen.

Die früheren Banner des "Tresor" sind nun ein Vorhang zur Ausstellung | Quelle: rbb/Bruno Dietel

"Anderes London hinter einer Mauer"

Laurens von Oswald ist einer der Co-Kuratoren von "Tresor 31: Techno, Berlin und die große Freiheit. Bei der Vorstellung der Schau hat er sein Baby mit dabei. Es versteht noch nicht viel, aber mit großen Augen liegt es wach in seinen Armen. Es scheint, als würde dieser Ort jeden Menschen faszinieren, ganz gleich welchen Alters - ganz gleich mit welchem Wissen man zum ersten Mal die Hallen betritt.

Auch wer wie das Baby nicht zu denjenigen gehört, der/die in den 90ern selbst mitgefeiert hat im "Tresor", kann sich in der Ausstellung mitreißen lassen. Gleich hinter den schweren Vorhängen erwartet die Besucher eine Diashow zu den Anfängen des "Tresor"- projiziert auf eine der rauen Kraftwerk-Wände. Man kann den Bildern den feuchten Geruch von Party, Schweiß und Drinks fast ansehen. Auf vielen Dias schon damals: Dimitri Hegemann, der Mann hinter dem "Tresor", einer seiner Mitbegründer.

An allen Ecken im Erdgeschoss laufen Filme und Dokumentationen, viel Archivmaterial aus früheren "Tresor"-Zeiten ist dabei. "Ein anderes London hinter einer Mauer" - so wird Regisseur Michael Andrawis über seinen ersten Besuch von West-Berlin zitiert, seine "Tresor"-Doku "The Vault & The Electric Frontier" von 2005 wird auch im Erdgeschoss gezeigt.

Erinnerungen akribisch gesammelt

In der ersten Etage angekommen, stehen mehrere lange Vitrinen hintereinander, insgesamt fast 20 Meter lang. Sie sind gefüllt mit allem, was sich in 30 Jahren Clubgeschichte so angesammelt hat: Eintrittskarten, Flyer, Abrechnungen, Zeitungsartikel, Booking-Faxe. Auf einem kleinen Notizzettel ist die handschriftliche Abrechnung für das erste "Berlin Atonal", inklusive Bankverbindung.

Die "Tresor"-Macher:innen haben jeden Artikel gesammelt, der über sie und diesen neuen Techno damals geschrieben wurde: "Fiese Töne", hieß es im Spiegel 1991 über Techno, auch "Marschmusik für Roboter" lässt sich nachlesen. Und dann liegen da tatsächlich die Originalschlüssel für den eigentlichen Tresor in der Leipziger Straße 126, aufgebahrt wie ein Schatz. Und noch ein kleines Heiligtum ist ausgestellt - die Original-Schließfächer des ehemaligen Tresorraums.

Techno musste erst einmal verstanden werden

Selbst die Kuratoren waren überrascht, wie akribisch jedes Einzelteil der "Tresor"-Geschichte archiviert ist, so Co-Kurator Laurens von Oswald: "Als wir das Thema angegangen haben, haben wir hier einfach reichlich Material gefunden, was echt großartig war. Und das ist nicht einmal ein Bruchteil, man hätte damit die ganze Halle damit füllen können, weil das einfach super dokumentiert und gut aufgehoben ist."

Da liegt zum Beispiel ein Brief an die Audio-Firma Bose, in der sich die "Tresor"-Leute über die Qualität der teuer eingekauften Anlage beschweren: "Das sollte die beste Anlage in Berlin sein, sie klang aber einfach nur alles andere als gut, einfach nur schlecht!" Es ist eines von mehreren Stücken, das zeigt, wie der Techno als Musikrichtung überhaupt erst verstanden werden musste. Es sind auch Zeugnisse, die offenbaren, wie Menschen damals gelernt haben, wie man überhaupt mit dieser Form von Musik umgehen muss - insbesondere Hersteller von Soundsystemen.

Die original Schließfächer | Quelle: rbb/Bruno Dietel

Entmystifizierung der Berliner Clubkultur

"Tresor 31" räumt auch mit der Präsentation solcher Schreiben mit Legenden und Mythen der Berliner Clubkultur auf – da war kein großer Plan dahinter, sondern große Träume. Es wurde experimentiert, mal erfolgreich, mal weniger: Im ersten Stock sind ein kleines trojanisches Pferd aus Holz und ein Modell des "Tresor"-Turms zu sehen.

Das trojanische Pferd sollte - mit 80 Menschen im Innenraum - den Techno in alle Ecken Deutschlands bringen: Förderantrag abgelehnt. Der "Tresor"-Turm sollte mit Coworking-Spaces und Raum für Kultur und Kunst eine Alternative am Potsdamer Platz werden - dieser Traum von Dimitri Hegemann ist ebenfalls nicht in Erfüllung gegangen.

Auch die Ausstellung selbst ist ein akustisches Experiment: Am Eingang werden Kopfhörer verteilt, die einen Soundtrack zur Schau liefern. "Tresor"-Gründer Dimitri Hegemann selbst begrüßt die Besucher:innen im Technotempel, es ist der Start einer Art Radiosendung: "Radio Mars" - benannt nach einer Partyreihe im Fischlabor: Der West-Berliner Bar, in der Ende der 80er-Jahre die ersten DJs überhaupt in der Stadt elektronische Musik auflegten.

Quelle: rbb/Bruno Dietel

Der "Tresor" aus Sand als Symbol für Stadtentwicklung

Der Höhepunkt von "Tresor 31" liegt versteckt im dritten Stockwerk des Kraftwerks - eine Sand-Installation des niederländischen Künstlers Anne De Vries. Er hat die Leipziger Straße von 1991 und vor allem den ehemaligen "Tresor"-Club nachgebaut. Im Originalmaßstab - so wie die Sandwüste des Potsdamer Platzes der 90er-Jahre, einer der beeindruckendsten Freiräume der Nachwendezeit.

Die Sand-Installation ist atemberaubend, eine begehbare und über Kopfhörer gleichzeitig hörbare Zeitreise an einen verschwundenen Kulturort, so Co-Kurator Laurens von Oswald: "Du hörst Musik, also Originalaufnahmen vom "Tresor" damals. Wenn du im Klo stehst, wirst du halt von Leuten angequatscht, die erzählen dir Geschichten an der Bar. Das ist die Original-Gartentür, also der Notausgang vom 'Tresor', die andere Tür steht ja im Humboldtforum." Aschenbecher an der Bar, Getränkekisten, Toiletten, Boxen – alles aus dem "Tresor" ist haarklein aus Sand nachgebildet, selbst die Größe des Kopfsteinpflasters auf der nachgebauten Leipziger Straße stimmt.

Wehmut und Ungewissheit

Der Sand ist auch Symbol für die Geschichte des "Tresor" und der Berliner Clubkultur: Sand wird durch Zeit und Wind geformt, zerfällt wieder und wird weitergetragen. Die Ausstellung "Tresor 31" ist gerade durch die umfangreiche Sammlung an Relikten der Clubgeschichte ein Stück nostalgisch, fast schon wehmütig. Es ist eine Schau über die Jugendjahre einer erwachsen gewordenen Berliner Clubkultur, deren nächste Jahre unter dem Eindruck von Pandemie und schwindenden Freiräumen keineswegs sicher sind.

"Tresor 31: Techno, Berlin und die große Freiheit", zu sehen noch bis 28. August im Kraftwerk Mitte, täglich geöffnet außer Montag.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.07.2022, 6:55 Uhr

Beitrag von Bruno Dietel

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