Interview | Reiser-Bruder Möbius zu Rio-Reiser-Platz - "Rio hätte sicherlich nichts dagegen"

Der Heinrichplatz in Kreuzberg wurde am Sonntag in Rio-Reiser-Platz umbenannt - nach dem verstorbenen Sänger von "Ton Steine Scherben". Um die Umbenennung gab es auch Streit. Rios Bruder Gert Möbius versteht das nicht. Er findet: Das passt gut.
rbb|24: Hallo Herr Möbius, ab Sonntag heißt der Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg Rio-Reiser-Platz. Wie würde ihr verstorbener Bruder Rio das Ihrer Meinung nach finden?
Gert Möbius: Rio hätte sicherlich nichts dagegen. Wir haben da ja beide da in genau der Gegend in Kreuzberg sehr viel gearbeitet und kulturell bewegt. Als wir dahinkamen in den 70er Jahren, gab es da in dieser Hinsicht noch nicht viel. Viele Jugendliche kamen dann ins Jugendhaus Naunystraße, wo wir eine Theatergruppe gegründet hatten. Aus diesem Umfeld heraus haben wir dann später auch die Besetzungen der Häuser gemacht.
Und das ist ja auch nicht schlecht, da einen Platz zu bekommen. Auch für die Gegend ist der Ort doch dann nach einem progressiven Künstler benannt, der da auch hinpasst.
Kommen Sie am Sonntag zur Einweihung?
Natürlich!
Haben Sie persönliche Erinnerungen an Ihren Bruder im Zusammenhang mit diesem Platz?
Auf jeden Fall. Da, genau in dieser ganzen Ecke in Kreuzberg, sind wir immer gewesen. Wir haben auch eine Zeitlang in der Oranienstraße gewohnt. Das Rauchhaus ist auch nicht weit entfernt. Rio hat dann auch einige Jahre in der Adalbertstraße gewohnt. Das ist ja alles in der Nähe. Rio hat da als König von Deutschland seine Karriere gemacht. lacht
Wir haben beide im Laufe der Jahre in verschiedenen Stadtteilen gewohnt – aber Kreuzberg ist immer unsere zweite Heimat geblieben.
Eigentlich war der Heinrichplatz schon 2021 in Rio-Reiser-Platz umbenennt worden. Anwohner hatten sich aber dagegen gewehrt und es musste erst juristisch geklärt werden. Hat Sie das geärgert?
Wirklich geärgert hat mich das nicht. Ich habe es aber gar nicht recht verstanden. Da hatten ja einige Leute geklagt. Warum, weiß ich nicht. Ich kenne die Leute sogar zum Teil. Manche sagen wohl, sie wollten "ihren Heini" behalten. Ich weiß gar nicht, was die mit dem "Heini" haben. Aber das sind nicht viele. Nur vier oder fünf protestieren da.
Soweit ich es weiß, ist der Protest ja auch gar nicht gegen Rio gerichtet. Sondern vor allem gegen Claudia Roth von den Grünen [Roth war von 1982-1985 Managerin von Ton Steine Scherben, d.Red.]. Ich weiß gar nicht genau, was sie gegen sie haben. Kurios ist das. Aber so ist das in Kreuzberg eben manchmal.
Für den Rio-Reiser-Platz muss übrigens nicht mal irgendwo ein Briefkopf geändert werden. Denn den Platz gibt es als Adresse ja gar nicht postalisch.
Hätte Rio nicht einfach eine Statue oder Gedenktafel bekommen können?
Es ist noch gar nicht ganz beschlossen, was da jetzt hinkommt. Erst mal kommt ein erklärendes Schild zu Rio und der Band. Aber wir haben uns überlegt, da künftig eine Art kleine Bühne hinzustellen, auf der man auch Musik machen kann. Das würde den Platz auch kulturell beleben. Dafür gibt es Pläne, die das Bezirksamt bestimmt akzeptieren wird. Das wäre mal eine ganz andere Form von Denkmal.
Ihr Bruder hieß gar nicht Rio. Sondern Ralph Christian Möbius. Wie kam er eigentlich auf seinen Künstlernamen. Haben sie Ralli, Ralph oder Rio zu ihm gesagt? Und wäre Ralph-Möbius-Platz nicht besser?
Ganz früher war er Ralli, später Ralph. Dann wurde er zu Rio. Er hat sich erst Rio der Galaxis genannt. Erst in Berlin, als er eine Hauptrolle in einem Kinofilm bekam, rief er mich an, um zu fragen, ob er den Künstlernamen Reiser, den ich damals benutzte, auch benutzen kann. Er würde sich gerne Rio Reiser nennen, sagte er. Das fand ich wunderbar.
In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens war er Rio für mich, nicht mehr Ralli oder Ralph. Auch für den Rest unserer Familie. Selbst unsere Mutter hat Rio zu ihm gesagt.
Ralph-Möbius-Platz wäre tatsächlich irgendwie falsch. Ich finde Rio-Reiser-Platz besser. Denn unter dem Namen ist er bekannt und die Leute können sich darunter jemanden, auch den König von Deutschland, vorstellen.
Das Grab Ihres Bruders ist seit 2011 nicht mehr in Nordfriesland, sondern auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin. Das haben Sie initiiert. Sind Sie oft dort?
Ja, natürlich. Ich werde auch am Samstag, seinem Todestag, wieder hingehen. Ich gehe drei bis vier Mal im Jahr hin. Das Ehrengrab wird vom Gartenbauamt des Friedhofs betreut und ich schaue immer danach.
Wie hat sich Kreuzberg in den letzten Jahrzehnten in Ihren Augen verändert?
Ich bin 1969 nach Kreuzberg gezogen. Da habe ich für eine Mark pro Quadratmeter ganz billig ein Fabrikgebäude ohne Heizung und Toilette gemietet. Da haben wir – auch Rio – trotzdem gewohnt. Zu der Zeit kamen auch die ersten türkischen Familien. Die deutschen Familien, die damals da waren, waren meist kinderreiche Familien, die sozial nicht so gut gestellt waren. Künstler gab es in Kreuzberg so gut wie noch gar nicht. Auch kulturell war nicht viel los. Aber das familiäre Verhältnis im Kiez war fantastisch. Man kannte sich und hat sich auf den Straßen guten Tag gesagt. Das ist ja heute gar nicht mehr denkbar.
Dann kamen dann immer mehr Studenten und Künstler. Nach der Wende hat sich vieles verändert. Viele sind weggezogen. Nach Mitte oder Friedrichshain. Später kamen viele wieder zurück, weil sie im Osten nicht klarkamen mit den Leuten. Dann war es eine Weile wieder fast so, wie es früher mal war. Nur die Mischung der Leute war noch viel internationaler. Da waren dann Leute aus Portugal, Italien, Frankreich und Spanien.
Heute ist das ja auch so: wenn man am Heinrichplatz ein Lokal besucht, hört man alle Sprachen. Aber es hat sich nochmal verändert. Immer, wenn ich in Kreuzberg bin, kommt es mir vor, als laufe ich auf Stromkabeln. Da gibt’s jetzt Feinschmeckerlokale und Galerien – da war früher gar nicht dran zu denken. Wenn das damals schon so gewesen wäre, wäre ich gar nicht weggezogen.
Aber dass eine Gegend sich so sehr ändern kann, finde ich bemerkenswert. Die Atmosphäre ist so anders da inzwischen. Auch Rio hatte ja bis zu seinem Tod eine Wohnung dort, in der er einen Großteil seiner Zeit verbracht hat. Das, was da heute zu erleben ist, ging ja damals schon langsam los. Das hat Rio nicht gestört. Da war er nicht so empfindlich. Er hat es eben auch in Nordfriesland, wo er ja in Fresenhagen auf einem Bauernhof lebte, auch nicht mehr wirklich ausgehalten. Das war ihm zu weit weg von allem. Die Kreuzberger Atmosphäre war ihm näher als das von Bauern geprägte Nordfriesland.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
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Sendung: radioeins, 18.08.2022, 9 Uhr