Konzertkritik | Arcade Fire in Berlin - Der Elefant tanzt durch den Raum

Fr 30.09.22 | 09:07 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Arcade Fire auf der Bühne (Quelle: imago/Leonardo Negrao)
Audio: rbb24 Inforadio | 30.09.2022 | Hendrik Schröder | Bild: imago/Leonardo Negrao

Bombastische Shows und opulente Songs, dafür steht die Band Arcade Fire. Lange waren sie die Lieblinge der Indie-Szene. Bis im Sommer Vorwürfe sexualisierter Gewalt laut wurden. Hendrik Schröder über ein Konzert unter besonderen Vorzeichen.

Toll fängt es an in der Mercedes-Benz-Arena am Berliner Ostbahnhof. Die Band Arcade Fire kommt über den Zuschauerraum rein, reckt die Hände, klatscht ab und schwenkt die Arme. Über der Bühne hängt eine bogenförmige Videowand, auf der ein Sternenhimmel glitzert. Sänger Win Butler steigt auf die Monitorboxen. In roter Kunstlederjacke mit halblangen Haaren singt er gen Menge, dass die Halsschlagader bald platzt. Um ihn herum immer sieben, acht seiner Mitmusiker:innen, die fortwährend die Instrumente tauschen - auch während eines Songs.

Eine wilde Truppe ist das: Einer mit Rastas ist dabei, einer der aussieht, wie bei der Loveparade ausgebüxt, eine Geigerin, die auch zu den Wiener Philarmonikern passen würde und natürlich Butlers Ehefrau Regine Chassagne. Es dauert zwar ein paar Songs lang - aber dann ist Alarm in der allerdings lange nicht ausverkauften Hütte.

Vom Sternenhimmel zum Vulkan

Die Songs gehen fast nahtlos ineinander über, manchmal wird das Publikum sogar in die Übergänge eingebunden, singt "Uhuhu", bis der Drummer schon den nächsten Song anzählt.

Stark, präsent und ruhelos sind Arcade Fire an diesem Abend - und spielen sich zwei Stunden den Hintern ab. Wobei die Intensität mit jedem Track zunimmt. Der Bogen über ihnen wird dabei, wie passend, vom Sternenhimmel zum glutroten Vulkan. Scharfe farbige Laser zucken gen Hallendecke. Zwischendurch gehen sie auch mal auf die kleine Bühne in der Mitte der Halle.

Win Butler steigt dann auf das Klavier und singt seiner Ehefrau quasi ins Gesicht, die mit zuckenden Mundwinkeln in die Tasten haut. Danach toben sie durch die Menge zurück, baden sich in der Nähe der Fans, genießen das sichtbar.

Win Butler - ein Täter?

Und doch ist etwas anders als sonst. Vorwürfe gegen den Sänger stehen so unsichtbar wie spürbar im Raum. Wie der sprichwörtliche Elefant. Die Halle ist nur halbvoll. So war es in anderen Städten auch schon. Die Vermutung ist, dass viele Fans nicht kommen wollten, weil die Berichte aus dem August über Win Butler ein gedankenloses Feiern unmöglich machen.

Das Portal "Pitchfork" brachte im August einen Bericht, dass Butler mehrere junge Fans, zum Zeitpunkt der Taten zwischen 18 und 23 Jahren alt, sexuell belästigt und begrapscht haben soll. Er soll zudem Nacktfotos gefordert und Sex mit ihnen gehabt haben. Er soll das mit Gästelistenplätzen und Partyeinladungen honoriert haben.

Butler bestätigte die Kontakte, sagt aber alles sei in seiner Wahrnehmung einvernehmlich gewesen. Anzeigen gibt es bislang nicht. Wenn auch nur die Hälfte stimmt, denkt man: eklig. Und das ausgerechnet bei ihm, diesem weichen Anti-Macho, der immer für das Gute stand. Stellung dazu bezieht er an diesem Abend in Berlin nicht, sagt kein Wort darüber.

Sie hätten die Tour absagen sollen, damit enttäuschte Fans ihre Tickets zurückgeben können, hieß es in Internetforen. Das haben sie nicht gemacht. Stattdessen haben sie ein überragendes Konzert gespielt. Das aber doch nur hemmungslos genießen konnte, wer Werk und Künstler im Kopf trennen kann.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.09.2022, 6:00 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

10 Kommentare

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  1. 10.

    Das muss ich leider korrigieren. Ein Teil der Sitzplätze war abgehängt, die Ränge maximal halb gefüllt. Und im Innenraum war sehr viel Platz, um zB problemlos auch mitten im Konzert fast ganz nach vorne zu kommen. Das sieht von oben natürlich wuselig aus. Bei ausverkauften Konzerten ist das aber ganz anders, sehr viel dicht gedrängter.

  2. 9.

    Dass die Halle nicht ganz voll war, liegt bestimmt nicht an den Vorwürfen, vielmehr gehen Sie wahrscheinlich einher mit dem nur mittelmäßig erfolgreichen Album, und man musste schon im Vorfeld bezweifeln ob AF in Europa das Standing hat 80 Euro fürs Ticket zu verlangen und solch große Hallen zu füllen, und hat sich offensichtlich überschätzt (2017 in Wuhlheide waren es ca 50 Euro Eintritt).
    Anfangs war Win/AF etwas verkrampft und etwas sehr gewollt. Später als die Emotionen zwischen Band und Publikum hin und her sprangen, normalisierte sich das in die gewohnte unbändige Spielfreude. Ich fand den Sound und die Abmischung in der Halle unheimlich schlecht, das fiel mir vor allem Anfangs auf. Bestimmte Frequenzen waren nur Matsch, und die Tiefen dröhnten. Die visuelle Show fand ich überragend, vllcht war das Benchmark. Das Vorprogramm war ein Totalausfall, ich hatte mich auch auf Feist gefreut. Nicht ihr bestes Konzert, aber trotzdem gut und ein Erlebnis wie immer. Das Kommen hat gelohnt.

  3. 8.

    Live nation und Ticketmaster hätten die Tickets nach der Absage von Feist zurücknehmen müssen. Wegen ihr haben wir die Karten gekauft. Es geht auch Arcade Fire nur ums Geld.

  4. 7.

    Die Arena war keineswegs "halbvoll". Auf den Rängen gab es einige leere Plätze, aber der ausschließlich mit Stehplätzen besetzte Innenraum war dicht gefüllt, also bitte keine solche "Halbwahrheiten".

  5. 6.

    Dann ist das halt für Sie kein Kriterium, für viele andere aber schon.

  6. 4.

    Dass das mit der Einvernehmlichkeit zu klären ist - klar. Und wenn was Strafbares rauskommt, ist das zu verfolgen, auch klar.
    Das mit Moral und Vorbild und so ist aber kein Kriterium. Dieses Durchmoralisieren der Gesellschaft geht mir sowas von auf den S..., den ich gar nicht habe.

  7. 3.

    Volljährig ist nicht gleich erwachsen (siehe Jugendstrafrecht). Popstars haben auch eine Vorbildfunktion. Das Ausnutzen sogenannter Groupies ist zumindest moralisch fragwürdig. Zumal die Einvernehmlichkeit fraglich ist.

  8. 2.

    wie war denn feist, als vorgruppe?

  9. 1.

    Es ist wirklich "eklig" wenn ein Rockstar Sex mit erwachsenen Menschen hat. Und das nach eigener Aussage auch noch einvernehmlich. Solche Konzerte sollte man unbedingt meiden. Das geht einfach mal gar nicht....

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