Untersuchung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte - Berlinale-Macher der Anfangsjahre laut Studie teils NS-belastet

Fr 21.10.22 | 19:34 Uhr
Der Berliner Zoo Palast kurz vor der Eröffnung der VII. Internationalen Berliner Filmfestspiele am 21.06.1957 (Quelle: dpa/Bruechmann)
Bild: dpa/Bruechmann

Die Internationalen Filmfestspiele in Berlin standen in der Nachkriegszeit auch unter dem Einfluss von Akteuren mit nationalsozialistischer Vergangenheit. Zu diesem Schluss kommt eine am Freitag veröffentlichte Untersuchung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte [berlinale.de].

Das Institut hatte in einer ersten Studie [ifz-muenchen.de] vor zwei Jahren bereits aufgezeigt, dass der erste Berlinale-Leiter Alfred Bauer eine bedeutendere Rolle im nationalsozialistischen Regime gespielt hatte als bis dahin bekannt.

Personen und Netzwerke im Fokus der Folgestudie

Die Anschlussstudie konzentrierte sich auf Personen und Netzwerke, die das filmgeschichtliche Gesicht der frühen Nachkriegszeit prägten. In einer Zusammenfassung heißt es, "dass die Internationalen Filmfestspiele Berlin insbesondere in den Anfangsjahren von Personen geprägt wurden, die durchaus als NS-belastet angesehen werden können".

Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass "andere maßgebliche Akteure keineswegs Funktionsträger des Nationalsozialismus" gewesen seien. Eine "ungebrochene personelle Kontinuität" wird nicht gesehen, zumal bis zum Wiederaufbau der Filmwirtschaft einige Jahre vergangen seien.

"Zudem waren in der Berliner Senatsverwaltung keineswegs überzeugte Nationalsozialisten für die Filmfestspiele zuständig", hieß es. Nicht zuletzt habe die Leitung der Berlinale unter steter Beobachtung der US-amerikanischen und britischen Besatzungsmacht gestanden mit jeweils einem Vertreter im Gründungsausschuss der Berlinale.

"Insofern handelte es sich bei diesem zentralen Gremium um eine Institution, in der frühere Unterstützer und Gegner des NS-Regimes sowie Vertreter der Siegermächte gemeinsam daran arbeiteten, die Filmfestspiele als 'Schaufenster der freien Welt' zu etablieren", heißt es.

NS-Vergangenhait 2020 aufgedeckt

Der erste Berlinale-Direktor Alfred Bauer sei von der Senatsverwaltung für eigenmächtiges Handeln und die getroffene Filmauswahl wiederholt kritisiert worden. Zugleich sei er "als hervorragender Organisator der Filmfestspiele und bestens vernetzter Filmfunktionär geschätzt" worden. "Gerade Bauers Bereitschaft, seine vielfältigen Kontakte zu nutzen, um immer wieder Fürsprecher zu finden, die auf politischer Ebene zu seinen Gunsten Einfluss nahmen, halfen ihm, sich in kritischen Situationen an der Spitze der Festspielorganisation zu halten", schreibt das Institut.

Bauer hatte die Berlinale von ihren Anfängen 1951 bis 1976 geleitet. Nach seinem Tod wurde eine Auszeichnung nach ihm benannt. In der Nazi-Zeit war Bauer als Referent der Reichsfilmintendanz von 1942 bis 1945 über die gesamte deutsche Filmindustrie bestens informiert und spielte im Bereich der Produktionsplanung eine zentrale Rolle. Der Reichsfilmintendant stand in direktem Austausch mit dem für Propaganda zuständigen Reichsminister Joseph Goebbels.

Das aktuelle Berlinale-Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian hatte die Studie im Februar 2020 in Auftrag gegeben. Die Verleihung des nach Bauer verliehenen Preises wurde seitdem abgesetzt. Damals hatte die Wochenzeitung "Die Zeit" [Bezahlinhalt] Recherchen über Rolle und Aufgaben Bauers in der Reichsfilmintendanz der Nationalsozialisten öffentlich gemacht.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.10.2022, 19:30 Uhr

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