Montagsdemos - Heißer Herbst endet lauwarm

Do 01.12.22 | 06:43 Uhr | Von Olaf Sundermeyer
Archivbild: Viele Menschen nehmen an einer Protest-Demonstration im Stadtzentrum teil und schwenken dabei unter anderem auch Russland-Fahnen. Erneut sind an diesem Montag in Frankfurt (Oder) Hunderte Menschen zu einer Protest-Demonstration auf die Straße gegangen. Anlass waren die Energiekrise, der Ukraine-Krieg und die Corona-Politik. Mit Trommeln, Trillerpfeifen, Deutschland-Fahnen und russischen Flaggen zogen sie am Tag der Deutschen Einheit durch die Innenstadt, wie ein dpa-Reporter berichtete. Er schätzte die Teilnehmerzahl auf etwa 2000. Auf Transparenten stand unter anderem «Nur Frieden ist ein Sieg» oder waren Friedenstauben abgebildet. (Quelle: dpa/P. Pleul)
Bild: dpa/P. Pleul

Wettermäßig ist der Herbst zu Ende. Zugleich flaut die zum "heißen Herbst" erklärte Protestwelle ab: Die Demonstrationen zur Coronapolitik, dem Krieg in der Ukraine und gegen die Inflation haben weniger Zulauf und finden kaum Gehör. Das hat Gründe. Von Olaf Sundermeyer

Für einige Wochen öffnete sich den wütenden Montagsspaziergängern der wärmende, politisch aufgeheizte, mediale Resonanzraum der Republik. Zehntausenden Demonstranten in einigen großen, vor allem aber in zahlreichen kleinen, ostdeutschen Städten wurde eine Aufmerksamkeit zu Teil, deren Abwesenheit sie regelmäßig beklagen. In diesem Resonanzraum wurden sie neugierig betrachtet, sie wurden vielfach befragt, ihnen wurde zugehört.

Die Öffentlichkeit hat erfahren, wer sie sind und was sie wollen.

Bis es immer weniger wurden, die zum proklamierten "heißen Herbst" auf die Straße gingen: In dieser Woche kamen in Brandenburg bei insgesamt 45 Versammlungen laut Polizei noch 5.400 Menschen "mit thematischem Bezug zur Coronapolitik, Russland-Ukraine-Krieg sowie der Energiepolitik" zusammen. Etwa so viele, wie das Sorbenstädtchen Drebkau in der Lausitz Einwohner hat.

Auch in den übrigen ostdeutschen Bundesländern ebbt die Protestwelle ab, von Woche zu Woche gehen weniger Menschen auf die Straße. Im politisch-medialen Resonanzraum ist für sie längst kein Platz mehr. Dafür dürfte es gleich mehrere Gründe geben.

Im Westen kein Anschluss

So hat sich das Demonstrationsgeschehen nicht wesentlich über das ostdeutsche Protestmilieu hinausbewegt, im Westen keinen Anschluss gefunden. Die ausgeprägte, demonstrative Hinwendung der Straßenproteste zu Russland verfängt dort wenig.

Am Beispiel Brandenburg hat der Protest zudem im wirtschaftlich prosperierenden, stark wachsenden Speckgürtel um Berlin kaum verfangen (in den Protestorten Potsdam, Falkensee, Ahrensfelde oder Fredersdorf haben sich regelmäßig nur sehr wenige Menschen versammelt). In der Hauptstadt hat er keine Rolle gespielt, abgesehen von einer bundesweiten, zentralen Kundgebung der AfD, die zwischenzeitlich von der allgemeinen Krise profitieren konnte.

Hochburg Randlage

Wichtigste Schauplätze der Demonstrationen waren in den Randlagen: Vor allem in Cottbus, dem landesweiten Zentrum des rechten Protestmilieus (analog zu Gera in Thüringen, Bautzen oder Plauen in Sachsen), das dort – mobilisiert durch die starke AfD - schon seit Jahren auch zu anderen Themen auf der Straße zusammenkommt. Oder in Schwedt, dem Standort der PCK-Raffinerie, der in besonderer Weise durch den Lieferstopp der Ölimporte aus Russland betroffen ist sowie in Frankfurt (Oder).

Die Demonstrationen erscheinen in den Regionen weit außerhalb Berlins eher als Ausdruck eines strukturellen Problems aus mangelndem Demokratievertrauen, das sich in der aktuellen Krise offenbart, aber darin nicht seine Ursache hat. In dieser Gemengelage reüssieren Protestinitiativen wie "Zukunft Heimat" (Cottbus), die "Frankfurter Freigeister" oder "Freie Brandenburger" (analog zu "Freien Sachsen", "Freien Thüringern"): Über ihre Reichsbürgerargumentation sprechen sie auf den Demonstrationen (und begleitend in den sozialen Medien) dem Staat zunächst die demokratische Legitimation ab, erklären Politiker und Medienvertreter zu Schuldigen und Feinden, und liefern ein Widerstandsangebot mit eigenem Machtanspruch ("Wir sind das Volk!").

Dieser Mechanismus griff bereits bei den Corona-Protesten im vergangenen Winter in Ostdeutschland, häufig vorangetrieben durch dieselben Akteure an zum Teil identischen Orten.

Durch Hilfspakete im Krisenmodus eingerichtet?

Ein echter, bundesweiter Sozialprotest, wie er zu Beginn der Demonstrationen vor allem von linken Gruppierungen und einigen Medien vorausgesagt wurde, hat sich daraus bis heute nicht entwickelt. Zugleich fand die Politik zum Teil bereits Antworten auf die Frage, wie die durch drastisch gestiegene Energiepreise betroffenen Menschen, Haushalte und Unternehmen entlastet werden können. Mit den Ergebnissen der Entlastungspakete I+II+III: Tankrabatt, Wohngeld, Heizkostenzuschuss und so weiter.

Unterdessen geht die Inflation bereits leicht zurück, und vielen Menschen ist es offensichtlich gelungen, sich im Krisenmodus einrichten. Für zahlreiche (nicht alle) Linke hat die Dominanz einzelner rechtsextremer Gruppen, Aktivisten und die Vereinnahmung durch die AfD eine Teilnahme bei den Protesten zudem unmöglich gemacht.

Konservative gehen in Deutschland traditionell kaum auf die Straße. Und die Grünen als Bewegungspartei mit linken Wurzeln fielen dafür komplett aus, zumal sie ihrerseits die Energie- und Außenpolitik der Bundesregierung prägen: durch Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock. Beide wurden durch die rechtsextremen Treiber der Proteste von Beginn an zu Hassfiguren erklärt, die Grünen zu einer Partei von Kriegstreibern.

"Wutwinter" zeichnet sich nicht ab

Zur gleichen Zeit gelang es dem radikalen Klimaprotest der "Letzten Generation" über ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen, den politisch-medialen Resonanzraum der Republik zu besetzen. Darin, so scheint es, ist zur gleichen Zeit kein Platz für unterschiedliche Protestbewegungen: Nicht im Bundestag, nicht in den Meinungsrubriken der großen Medien, nicht in den Talkshows, auch nicht auf den sozialmedialen Kampfplätzen. Zumal die durch die Klimakleber ausgelöste Polarisierung das bundesweite Erregungspotenzial absorbiert zu haben scheint, darunter auch das leicht erregbare ostdeutsche Protestmilieu.

Zum Herbstende hat sich der Resonanzraum für die wütenden Montagsspaziergänger wieder geschlossen. Ob er sich ihnen noch einmal öffnen wird, lässt sich aktuell nicht sagen. Ein "Wutwinter", den einige von ihnen bereits ausgerufen hatten, zeichnet sich zum Jahresende jedenfalls nicht ab.

Beitrag von Olaf Sundermeyer

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