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Audio: rbb24 Abendschau | 15.02.2023 | Julia Kubowicz | Quelle: Matthias Bartsch/rbb

Neue Polizeiwache am Kottbuser Tor

Eine Wache für alle Fälle

Am Kottbusser Tor in Kreuzberg wird am Mittwoch eine neue Polizeiwache eröffnet. Lange wurde gestritten: Ist sie wichtig, weil die Kriminalitätsrate hier besonders hoch ist - oder wird damit Steuergeld verschwendet Matthias Bartsch hat sich im Kiez umgehört.

An diesem kalten, tristen Februarmorgen wirkt das Kottbusser Tor noch trauriger, als es sowieso schon ist. Ein Obdachloser torkelt sichtlich betrunken von Mülleimer zu Mülleimer und begutachtet den Inhalt. Mitten auf dem Gehweg liegt ein Haufen Plastikmüll, als hätte ihn jemand dort sorgsam gestapelt. Und am U-Bahn-Eingang zieht einem ein unangenehmer Urin-Geruch in die Nase.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Kotti, wie ihn ganz Berlin nur nennt, ist ein hässlicher Platz, wie so manch anderer in Berlin auch. Doch der Kotti ist anders, speziell, abstoßend und faszinierend zugleich, und manchmal auch ein Ort, den man meiden sollte, jedenfalls zu manchen Tageszeiten.

Der Kotti als kriminalitätsbelasteter Ort

Das Kottbusser Tor ist das Zentrum der nordöstlichen Hälfte Kreuzbergs, des historischen SO 36. Benannt ist der Platz nach einem Stadttor, das sich im 18. Und 19. Jahrhundert an dieser Stelle befand und in Richtung Cottbus aus Berlin herausführte. Der Kotti gilt als einer der gefährlichsten Orte in der Hauptstadt. Rund um den Platz, an dem sich die U-Bahnlinien 1 und 3 mit der Linie 8 kreuzen, hat sich eine größere Drogenszene etabliert.

Die Berliner Polizei registriert im Schnitt pro Tag mindestens eine Körperverletzung oder Raubtat, zwei bis drei Diebstähle und diverse Rauschgiftdelikte. Damit gilt der Platz als einer von sieben sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin. Die Polizeipräsenz ist erhöht, Beamte dürfen ohne bestimmten Anlass Kontrollen durchführen.

Berlin

Umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor öffnet am 15. Februar

Die Idee einer Polizeiwache an diesem Ort gab es schon seit Jahren. Als die Pläne konkreter wurden, wuchs auch die Kritik. "Es ist versäumt worden, frühzeitig mit der Nachbarschaft drüber zu reden", sagt die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann. Mit diesem Ort seien Ängste verbunden. Etwa die Frage: "Haben wir dann eine Polizeiwache, die von oben auf uns runter guckt?", so die Grünen-Politikerin.

Neue Wache durchgehend mit mindestens drei Beamten besetzt

Herrmanns Frage kann man mit Ja beantworten. Die neue Wache befindet sich im ersten Stock des Zentrum Kreuzberg. Ein grauer, zwölfgeschossiger Gebäuderiegel aus den 1970er Jahren, mit gelben Fensterelementen. Er liegt unmittelbar am Kottbusser Tor und führt über die Adalbertstraße. 25 Polizeibeamte werden im Schichtbetrieb dort arbeiten.

Durchgehend sollen mindestens drei Beamte ständig vor Ort sein. Am Kotti zu arbeiten scheint aber für Berliner Polizisten wenig attraktiv zu sein. Im ersten "Gewinnungsverfahren" hatte sich innerhalb der Behörde nur ein Beamter beworben. Dann hätten sich aber mehrere Polizisten über die übliche und permanente Rotation der Einsatzhundertschaften freiwillig gemeldet.

Quelle: Matthias Bartsch/rbb

"Ein Brennglas sozialer Schieflagen"

Der Bezirk ist skeptisch. Die Menschen, die dort arbeiten sollen, sind nicht leicht zu finden. Aber was ist mit den Anwohnern und den Berlinerinnen und Berlinern, die hier arbeiten oder auf dem Weg zur Arbeit den Kotti passieren?

Die meisten, das wird in den Gesprächen schnell klar, wollen der Polizeiwache eine Chance geben. Gisela lebt mit ihrer Tochter Theresa in einer Seitenstraße gleich in der Nähe der U-Bahnstation. Sie sagt, dass sie keine Angst hat, wenn sie unterwegs ist. Aber mehr Kontrolle könne nicht schaden. "Es ist schon gut, wenn man weiß, wo man im Fall der Fälle auch hinlaufen kann. Dass eine Polizeiwache jetzt vor Ort ist, finde ich richtig" ergänzt Theresa.

Auch Ludwig sieht es ähnlich. Er erzählt von seinen Schwestern, die beide schon häufiger unangenehm angesprochen wurden. Gerade in den Abend- und Nachtstunden sei so eine Wache wichtig.

Drogensüchtige an öffentlichen Orten

"Der Konsum von harten Drogen ist sichtbarer geworden"

In Berliner U-Bahnhöfen werden immer häufiger Drogensüchtige beim Konsum gesehen. Woran das liegt und wie sich die Szene in den letzten Jahren verändert hat, beschreiben Streetworker einer Berliner Suchthilfe-Stelle. Von Simon Wenzel

Eda ist gerade volljährig geworden. Sie denkt anders über die neue Polizeiwache. Es sei zwar viel los am Kotti, und besonders als Frau erlebe man häufiger, dass meistens betrunkene Männer übergriffig werden. "Aber was soll die Polizei daran ändern?", fragt sie. "Ich glaube nicht, dass ein paar Polizisten mehr den Kotti in einen ruhigen Ort verwandeln."

Und dann gibt es noch das Bündnis "Kotti für alle". Von Anfang an kritisierte es das Vorgehen des Senats. Protest, Bedenken und Gegenvorschläge seien ignoriert worden, sagt Kim Barkowski, Sprecher des Bündnisses. "Der Kotti ist nicht allein Brennpunkt der Kriminalität, sondern vor allem Brennglas sozialer Schieflagen", sagt Barkowski.

Es gehe um gesellschaftliche Missstände. "Mehr Polizei wird diese Auswüchse des Elends lediglich gewaltsam verfolgen oder einfach aus der Innenstadt verdrängen können. Damit ist aber niemandem geholfen – außer vielleicht jenen, die sich von einer Entwicklung der Gegend zu einem hochpreisigen, innerstädtischen Wohn- und Ausgehbezirk jede Menge Rendite versprechen."

Spranger überzeugt vom neuen Standort

Ganz anders sieht das Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Es mache sie traurig und sauer, dass am Kottbusser Tor Beamte immer aufs Schlimmste beleidigt würden. Dennoch stehen viele Vorwürfe im Raum. Dass die Senatorin das Projekt durchgepeitscht, Anwohner und Initiativen nicht berücksichtigt habe. Jetzt ist die 214 Quadratmeter große Wache Realität geworden.

Ob die 3,5 Millionen Euro sinnvoll investiertes Geld sind oder wie Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, befürchtet, Berlins teuerster Pausenraum entstanden ist, wird die Zukunft zeigen. Genug zu tun gibt es am Kotti allemal. Auch ohne Wache hat die Berliner Polizei eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr rund um den Kotti 33.700 Einsatzstunden gezählt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Matthias Bartsch

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