Polizei ermittelt in rund 130 Fällen - Erste Anklagen zu Silvesterkrawallen in Berlin bei Gericht eingegangen

Fr 03.03.23 | 09:58 Uhr | Von Ulf Morling
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Archivbild: Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. (Quelle: dpa/TNN)
Audio: rbb24 Abendschau | 03.03.2023 | Norbert Siegmund | Bild: dpa/TNN

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln weiter zu den Silvesterkrawallen in Berlin. Der zuständige Oberstaatsanwalt rechnet mit insgesamt rund 150 Verfahren. Jetzt sind die ersten beiden Anklagen beim Amtsgericht Tiergarten eingegangen. Von Ulf Morling

Zwei Monate nach den Silvesterkrawallen in Berlin sind beim Amtsgericht Tiergarten die ersten zwei Anklagen eingetroffen. Das sagte Gerichtssprecherin Lisa Jani dem rbb.

So werde zum einen die Anklage gegen einen 16-jährigen Beschuldigten von einem Jugendschöffengericht geprüft. Der Jugendliche soll kurz nach Mitternacht am 1. Januar mit etwa 80 weiteren Personen auf einer großen Kreuzung in Prenzlauer Berg gestanden und Polizisten tätlich angegriffen haben, die die Kreuzung räumen wollten. Der Vorwurf gegen den Angeschuldigten lautet "Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte" (§114 Strafgesetzbuch), die Straferwartung ist zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren.

In einer zweiten Anklage, die dem Amtsgericht Tiergarten von der Staatsanwaltschaft zugestellt wurde, wird einem 22-Jährigen vorgeworfen, in Gesundbrunnen einen Böller auf einen Polizisten geworfen zu haben, der die Feuerwehr beim Löschen eines Wohnungsbrandes unterstützt haben soll. Von der Staatsanwaltschaft wird das ebenfalls als tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte gefährliche Körperverletzung gewertet.

Bis die mutmaßlichen Täter vor Gericht stehen, dauert es noch

In rund 130 Fällen der Silvesterkrawalle ermittelt derzeit noch - oder wieder - die Polizei. Bereits kurz nach Silvester seien zwar von der Polizei viele Ermittlungsergebnisse bei der Staatsanwaltschaft abgegeben worden, aber in etlichen Fällen hätten die Akten der Polizei zu Nachermittlungen wieder zurückgeschickt werden müssen, heißt es von der Anklagebehörde.

Bei den beiden inzwischen eingegangenen Anklageschriften der Staatsanwaltschaft muss nun im sogenannten Zwischenverfahren entschieden werden, ob die Vorwürfe der Anklagebehörde nach Aktenlage ausreichen und die entsprechenden gesetzlichen Strafvorschriften erfüllen.

Sollte das Gericht davon überzeugt sein, findet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter statt. In den beiden ersten Anklagen in Bezug auf die Silvesterkrawalle wird gerade von Richtern geprüft, ob die Beweise der Staatsanwaltschaft für einen Prozess ausreichend scheinen und der dann Angeklagte sich verantworten muss. Sollten die Richter hier so entscheiden, müssen alle am Prozess Beteiligten informiert werden und das Gericht muss bei der Vorbereitung des Prozesses unter anderem Termine finden. Sie sind noch nicht festgelegt.

"Super Recognizer" sichten große Mengen an Videomaterial

Zwei Drittel der Verfahren lägen aber derzeit noch bei der Polizei, so der Gruppenleiter der Abteilung 236, Staatsanwalt Dieter Horstmann. Er rechnet mit 150 Verfahren insgesamt. Durch die Sonderzuständigkeit seiner Abteilung für Silvester waren unter dem Kürzel "SILV" zu den neun Staatsanwälten seiner Abteilung noch eine weitere Staatsanwältin abgeordnet worden. Eigentlich ist die Abteilung 236 ist für Angriffe auf Einsatzkräfte zuständig, etwa bei Fußballspielen oder Straftaten bei anderen sportlichen Großveranstaltungen.

"Die Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln sehr zügig", so Horstmann. Bei der Polizei würde derzeit unter anderem ermittelt, ob sich den Taten - wie die Brandstiftung an einem Bus in Neukölln oder das Attackieren eines Rettungswagens mit einem Feuerlöscher - Tätern zuordnen lassen.

So würden sogenannte Super Recognizer für die Fahndung durch die Polizei eingesetzt. Diese Menschen sind besonders laut Horstmann befähigt, Personen zu identifizieren; sie vergleichen Fotos einer erkennungsdienstlichen Behandlung der Polizei mit Videos aus der Silvesternacht, auf denen Täter zu sehen sind. "Das ist sehr erfolgversprechend, das läuft ganz ausgezeichnet", sagt Staatsanwalt Horstmann. Leider gäbe es nur drei "Super Recognizer" in Berlin. Angesichts einer riesigen Fülle von Videomaterial aus der Silvesternacht, auch mit den Aufnahmen von beschlagnahmten Handys mutmaßlicher Straftäter, ist er der Überzeugung: "Das wird leider noch eine Weile dauern, bis die Videos ausgewertet sind."

Sendung: rbb24 Abendschau, 03.03.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

27 Kommentare

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  1. 27.

    Dass das so lange dauert, können Sie nicht nachvollziehen?

    Wir leben hier in einem Rechtsstaat, in dem Anklagen auch entsprechend vorbereitet werden (müssen).

  2. 26.

    Das, daß so lange dauert kann ich nicht nachvollziehen

  3. 25.

    Die Sprecherin wird mit vollem Namen genannt. Von den Angeklagten noch nicht einmal der Vornamen...
    Ansonsten steht hier bei rbb immer sehr gerne: "Deutscher Staatsbürger" (wenn es sich um Migrationshintergrund handelt besonders gerne), was diesmal ganz fehlt.

  4. 24.

    Noch kurz eine Ergänzung zu meinem „zweite Reihe parken Erlebnis“:
    es war an diesem Tag recht kalt und regnerisch. Wollte schnell ins Ärztehaus, ins trockene, mit meiner Mutti im Rollstuhl, wollte nicht lange im Regen schieben.
    Als ich dann das Auto wegfuhr (nachdem ich Mutti hinauf zum Arzt brachte), parkte ich ca. 1 Km vom Onkologen entfernt (der einzige freie Stellplatz in der Nähe + Parkgebühr).
    Erst ein Strafzettel bekommen und danach noch Kleingeld in den Automaten stecken.
    Bin normalerweise ein sehr ruhiger Zeitgenosse, aber an diesem Tag war die Relaxtheit für einen kurzen Moment verflogen, war leicht gestresst bzw. verärgert.
    Randnotiz:
    ich weiß natürlich, das ich dort nicht hätte halten dürfen, in zweiter Reihe (fahre seit 1988 Auto + Fahrrad noch viel länger)…
    ...aber ein bissel mehr Verständnis von Seiten des Polizisten, wäre schön gewesen.

  5. 23.

    Das hört sich doch erfreulich an. Nicht die Vornamen der Täter(mwd) sind wichtig, um alle Ausländer zu diskreditieren, sondern es wird ermittelt, wer's wirklich war. Das nenne ich mal Rechtsstaatlichkeit. Jetzt wünsche ich mir noch Richter (mwd), die nicht nur die schwere Kindheit der Täter sehen, sondern die Widerwärtigkeit der Taten. Wenn jetzt aussagekräftige Urteile gesprochen werden, dann haben wir nächstes Jahr Ruhe an Silvester.

  6. 22.

    Wurde auch Zeit dass die Jutiz hier handelt.

  7. 21.

    Schnell ist ein Fremdwort für die Politik, Justiz und sämtliche Verwaltung in Berlin.

  8. 20.

    Natürlich geht es mir nicht um Verfahren ohne Beweise, aber wenn schon Verhaftungen vorgenommen wurden waren die sicher nicht ohne Grund! Die zuständigen Behörden müssen endlich mal personell besser aufgestellt werden um zeitnah handeln zu können, was nach solchen Vorfällen immer wieder schnell versprochen wird und das war es dann...

  9. 19.

    Wenn die kein Einkommen haben, können die auch nichts abbezahlen.

    Das heißt dann bei der Geldstrafe, dass eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wird, für die wieder der Steuerzahler aufkommt.
    Und zivilrechtlich ist da auch nichts zu holen.
    Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.

    Voraussetzung ist, dass die überhaupt erwischt werden.
    Das ist bei jemandem, der in der zweiten Reihe parkt schon deutlich einfacher. Denn da gibt es ein Kennzeichen.

  10. 18.

    Und wenn die „mutmaßlichen" Täter vor Gericht stehen, passiert gar nichts.

  11. 17.

    Was soll da aus Ihrer Sicht noch "angepasst" werden?
    Verfahren ohne Beweise?
    Mannomann.
    Sie könnten doch mal den Artikel komplett lesen.
    Wir sind nicht im Wilden Westen.
    Wie würden Sie herumtoben, wenn Leute wie Sie, einfach aufgrund irgendwelcher Vermutungen vor Gericht gestellt werden würden?

  12. 16.

    Da könnte man vielleicht die Idee der CDU ausbauen: Wer am Schauplatz mit bestimmtem Namen aufgegriffen wird, ist schuldig und schnell zu verurteilen.

    Im Ernst: Festnahme aufgrund eines Verdachtes und Verurteilung aufgrund von Beweisen sind doch schon 2 verschiedene Stufen.

  13. 15.

    Anfang Januar war noch die Rede von schnellen Verhandlungen, aber das ist natürlich relativ. Es sind Täter festgenommen worden und jetzt muss Videomaterial gesichtet werden? Wenn es vorher nicht zu Verurteilungen gereicht hat, sollte schnellstens die Gesetzgebung angepasst werden! Wie sollen sich die Einsatzkräfte dabei fühlen und wieder motivieren? Ich glaube leider nicht mehr an Gerechtigkeit und das Verhalten bei dem Halten in zweiter Reihe sind wohl Einzelfälle, aber wo ist da Empathie?

  14. 14.

    Ich tippe mal, dass die meisten der angestrebten 150 Verfahren entweder garnicht zur Anklage reichen oder eingestellt werden aus Mangel an Beweisen. Und die, die doch angeklagt, bzw. verhandelt werden, werden Bewährungsstrafen und Geldstrafen bekommen. Das wird nix.

  15. 13.

    Nö.
    Es gibt eben Menschen mit besonderen Fähigkeiten.
    Das wird aber auch nur eingesetzt, weil automatischer Bildabgleich verboten ist.
    Das ist schon irre wegen des Datenschutzes, hier in Deutschland.

  16. 12.

    Neben den strafrechtlichen Kosten dürfen sich die jugendlichen Verbrecher auch auf zivilrechtliche Forderungen gefasst machen, in Form von Schadensersatz: Den abgebrannten Bus bezahlen, die Brandschäden an dem Brückenhaus in Neukölln, usw. Wen das tatsächlich bestimmten Personen zugeordnet werden kann, werden diese Leute die nächsten 30 Jahre lang auf Hartz-IV-Niveau leben. Die Eigentümer und Versicherungen werden einen Schulden-Titel eintragen lassen. Die Schäden sind sicherlich in 6-stelliger Höhe. Viel Spaß beim Abstottern der Schulden.

  17. 10.

    Das Problem ist, die Gefängnisse sind voll und es fehlt Personal. Geldstrafen nützen da wohl wenig da ein Großteil der Täter wohl alimentiert wird. Also was machen? Arbeitsdienst für die Öffentlichkeit.

  18. 9.

    Ihre Worte:
    Aber halten Sie mal in zweiter Reihe, ohne Behinderung, um das Aussteigen ihrer schwer gehbehinderten Mutter zu unterstützen, da werden sie die volle Härte des Gesetzes erleben. Alles live erlebt, eine Schande in diesem Land.

    Habe ich auch erlebt. War sehr geschockt, beim Gespräch mit dem Polizisten. Er hatte überhaupt kein Verständnis, null Empathie. Hatte meine Mutti (schwer an Krebs erkrankt) vor dem Haus der Onkologie (in zweiter Reihe parkend) aus dem Auto geholfen und dann in den Rollstuhl geholfen und trotzdem bekam ich ein Strafzettel. Kaum zu glauben aber wahr. Denke heute noch ab und zu mal an diese Situation, an dieses schlechte Erlebnis.

  19. 8.

    Der Strafrahmen sollte sich am Urteil der verurteilten HipHoper, der U-Bahn-Wagen beschmierte, orientieren.

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