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Video: rbb|24 | 26.04.2023 | Material: MDR, rbb24 Abendschau, rbb|24 | Quelle: Imago Images (Symbolbild)

Maßnahmen gegen Klima-Aktivisten

Wann Polizisten Gewalt anwenden dürfen - und wann nicht

Der gewaltsame Umgang eines Polizisten mit einem Aktivisten der "Letzten Generation" in Berlin hat im Netz Debatten ausgelöst. Ob die Maßnahme angemessen war, will die Polizei nun prüfen. Das Gesetz ist da nicht eindeutig.

Ein Griff an den Kiefer, ein verdrehter Arm, Schreie auf der Straße des 17. Juni: Ein Instagram-Video eines Polizeieinsatzes in Berlin hat in sozialen Netzwerken eine neue Debatte über Polizeigewalt entfacht. Im Kern geht es um die Frage, ob die Polizei friedliche Straßenblockaden von Klima-Aktivisten mit Gewalt auflösen darf - und ob sogenannte Schmerzgriffe in solchen Fällen verhältnismäßig sind.

Das Video, das am Samstag auf Instagram geteilt wurde, zeigt, wie ein Polizeibeamter einem auf der Straße sitzenden Demonstranten der "Letzten Generation" ankündigt, er werde ihm Schmerzen zufügen, wenn dieser die Straße nicht verlasse. Der Demonstrant antwortet: "Ich sitze hier friedlich, und Sie wollen mich einfach wegtragen." Daraufhin zählt der Polizist von drei herunter und hebt den Aktivisten gewaltsam von der Straße, ein weiterer Beamter verdreht dabei den Arm des Aktivisten, der laut aufschreit.

Die Berliner Polizei hatte sich am Sonntag zurückhaltend in der Sache geäußert. Beamte müssten bei ihren Einsätzen grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit beachten, hieß es von Polizeisprecher Martin Dams auf rbb-Anfrage. Grundsätzlich gelte, "dass bei der Polizei keine Techniken zur Anwendung kommen, die per se als Maßnahmenziel das Erzeugen von Schmerzen haben". Der Widerstand gegen eine polizeiliche Maßnahme solle "für alle Beteiligten" möglichst wenig verletzungsträchtig und ungefährlich überwunden werden, so Dams.

"Zwangsmaßnahme" gegen Klimademonstrant

Strafanzeige gegen Polizisten nach Veröffentlichung von Video

Angemessene Maßnahme oder unnötige Gewalt? Nach der Veröffentlichung eines Videos, auf dem ein Berliner Polizist gegen einen Aktivisten der "Letzten Generation" vorgeht, ermittelt die Polizei wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt.

"Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" bei Polizeieinsätzen

Offen ist nur, was diese Aussage für den konkreten Fall bedeutet, denn ein entsprechendes Gesetz (UZwG Bln) [gesetze.berlin.de] regelt zwar die Anwendung von Gewalt durch die Polizei, von Schmerzgriffen oder Nervendrucktechniken ist darin aber keine Rede.

Festgelegt ist, dass die Polizei zur Ausübung ihres Dienstes "unmittelbaren Zwang anwenden" darf, der auch "körperliche Gewalt" bedeuten kann. Eine nähere Eingrenzung liefert das Berliner Gesetz nicht. Polizeisprecher Dams sagte dem rbb, letztlich würden die Einsatzkräfte selbst entscheiden, welches Mittel geeignet sei. Die Intensität orientiere sich immer am Grad des Widerstands beziehungsweise der Gesamtdynamik der Situation.

Ob das am Samstag auf der Straße des 17. Juni der Fall war, werde bei der Polizei derzeit intern geprüft, hieß es. Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Tobias Singelnstein betonte gegenüber "MDR investigativ", die Polizei müsse immer prüfen, was das mildeste Mittel ist, um ihr Ziel zu erreichen. "Solchen friedlichen Sitzblockaden werde das Wegtragen in aller Regel das mildere Mittel sein. Schmerzgriffe sind daher aus rechtlicher Sicht kein probates Mittel."

Tatsächlich findet sich im entsprechenden Berliner Gesetz unter Paragraf 4 der "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit": "Bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges sind von den möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen."

Klima-Proteste in Berlin

Mehrere Rettungswagen durch Staus nach Blockade-Aktionen behindert

Die Klima-Demonstranten der "Letzten Generation" haben den Verkehr in Berlin gestört: Am Montag kam es zu Aktionen in der ganzen Stadt, es bildeten sich Staus. Wie die Feuerwehr sagte, wurden mehrere ihrer Einsätze dadurch behindert.

"Es gibt nur Trainingsunterlagen aus dem Handbuch Einsatztraining"

Das Portal "Frag den Staat" hatte im vergangenen Jahr versucht herauszufinden, ob und inwieweit interne Regeln bei der Berliner Polizei für die Anwendung von Schmerzgriffen gelten. Anfragen des Portals nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) soll die Behörde allerdings abgelehnt haben [fragdenstaat.de].

In ihrer Antwort habe die Polizei nur erklärt, es existierten keine Vorgaben, ob, wann und wie Schmerzgriffe durch die Polizei eingesetzt werden dürften: "Es gibt nur Trainingsunterlagen aus dem Handbuch Einsatztraining (HB ET) für Lehrkräfte und Schulungsvideos", habe es geheißen. Diese Unterlagen seien als "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft und dürften nicht herausgegeben werden - auch weil sich Demonstrierende auf Schmerzgriffe vorbereiten könnten, würden die Techniken publik.

Unklar bleibt daher auch, ob in der explizit geäußerten Ankündigung, der Beamte werde dem Aktivisten Schmerzen zufügen, eine Vorschrift befolgt wird, die vor der Anwendung von Schmerzgriffen gilt. Zumindest für Polizisten in Niedersachsen hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg im Jahr 2016 entschieden, dass Schmerzgriffe nicht ohne Ankündigung angewendet werden dürfen. Über die grundsätzliche Frage, ob Schmerzgriffe verhältnismäßig sind, entschied das Gericht damals nicht.

Jendro verweist auf Einsatzleitung und Umstände des Einsatzes

Der Landespressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, Benjamin Jendro, verwies gegenüber dem rbb mit Blick auf die gefilmte Einsatzsequenz darauf, dass vor dem Eingriff die Entscheidung eines Vorgesetzen des gefilmten Beamten gestanden habe: "Hier entscheidet ein Polizeiführer: Was machen wir mit der Blockade? Und der hat hier auch die Verantwortung." Bei der gefilment Sequenz nun sei es sehr schwer zu beurteilen, weshalb der Einsatz so verlaufen sei. "Wir wissen nicht, was vorher passiert ist. Grundsätzlich hat der Polizist sehr kommunikativ transparent gemacht, was jetzt die Mittel sind."

Jendro verwies für die Aufklärung des hier gefilmten Einsatzes im Zuge der nun ergehenden Ermittlungen nach der "von Amtswegen geschriebenen Anzeige wegen Körperverletzung". Das Handeln des Polizisten habe die Justiz nun zu bewerten und nicht die GdP. Allerdings: "Im Regelfall machen unsere Kolleginnen und Kollegen alles mit reiner Kommunikation wett, aber wenn das Gegenüber nicht reagiert, dann müssen sie Maßnahmen ergreifen. Und das sowas nie schön aussieht, ist auch jedem klar."

Sendung: rbb24 Abendschau, 24.04.2023, 19:30 Uhr

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