Der rbb|24-Adventskalender | Abgefahren aufgemacht - 9. Tür: Die große Entdeckung der Höhle
24 kleine Geschichten rund um Bewegung, Geschwindigkeit oder um das bloße Fortkommen, das Verschwinden oder über Menschen, die etwas in Gang setzen - all das natürlich in Berlin und Brandenburg. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Die U-Bahn ist ein Wunder. Wahrscheinlich würden das folgende Lob von den Deutschen nur einige unterschreiben und bei den Berlinerinnen und Berlinern auch nur fast alle. Aber man kann es trotzdem ab und zu bringen: U-Bahn-Fahren ist ein bisschen wie Fliegen.
Nun kann, wer will, über diesen Satz ruhig losprusten. Aber das wäre unüberlegt.
Hier der Beweis: Du gehst runter in die U-Bahn und fährst los. Du siehst nach dem Losfahren noch den Abfahrtsbahnhof vorbeifliegen. Jetzt ein kurzer Blick zum Nachbarn (Na, mit wem fliegen wir denn heute?). Und beim nächsten Blick aus dem Fenster ist es dunkel: Nichts mehr. Die Bahn hat abgehoben, du bist ist in den Wolken. Damit du unterwegs wenigstens ein paar Informationen hast, macht die Pilotin oder ihr Assistent eine Ansage. Sie sagt meistens, wo man sich befindet. Das sind jetzt keine Flughöhen, aber man bekommt immer den Ort gesagt, den man ansteuert. Service.
Der neue Gurt - bitte denken Sie dran!
In der Luft wird zwischendurch immer mal gesagt oder angezeigt: Anschnallen! In der Berliner U-Bahn ist die Maske der neue Gurt. Schließlich wollen alle wohlbehalten auch im nächsten Bahnhof landen.
Dann kommt der Zielort. Die Wörter "Take off" kommen dem ein oder anderen sofort in den Sinn. Es wird hell. Du siehst Menschen. Eine Bank fliegt vorbei. Ein Servicemitarbeiter mit Weste sichert die Einfahrt und hebt nebenbei einen Fetzen Papier auf - Urbanität. Du bist wieder unten - oder oben, wie man's nimmt. Ein Rauschen. Zack, die Tür öffnet. Ein paar Schritte bis zur Gangway. Tageslicht: Eben noch Pankow und plötzlich Charlottenburg, oder noch verrückter: Witzleben [Engl.='itslæbin].
Die große Steigerung zum Linien-U-Bahn-Transfer: das Cabrio
Und noch ein Vergleich, der mindestens genauso treffend ist: Die U-Bahn ist eine heimelige und sichere Höhle unter der unwirtlichen Wildnis der Stadt. Die Stationen beherbergen Verpflegungstände - etwa für Brot oder für Notrationen von Zigaretten - es gibt Licht, Wasser, Notstrom und sogar Internet. Warum ist das so, also warum hat selbst der moderne Mensch in der U-Bahn das "Hier gehöre ich hin, hier will ich bleiben"-Gefühl?
Der beste Weg, das herauszufinden, ist eine Fahrt durch die Tunnel mit dem U-Bahn-Cabrio (so nennt es die BVG): rund 35 Kilometer auf den Gleisen von U2, U7, U8 und U9. Diese Tour ist eine Rückversicherung, dass die Höhle sicher ist, dass die Züge kaum Chancen haben zusammenzustoßen, dass es besondere Räume gibt, überall wo es nötig ist, gibt es Licht, kleine und große, dunkle und helle Abzweigungen und überall Anfänge und lange und kurze tote Enden.
Tausende Berliner haben hier bereits Höhlen gegraben.
Die Kleinen sind auf ihren Gängen vor den Großen sicher
Berlins U-Bahn-Tunnel geben das perfekte Bild des Generationenwandels. Im Abstand weniger Dekaden wurden neue Linien konzipiert, es wurde gegraben, gefräst und gemauert und von der nächsten Generation wieder vernagelt. Haltepunkte und Tunnelkreuze wurden gegraben, die Strecken dazu aber nie gebaut.
Es gibt zwei Wagenabmessungen: Die kleineren stammten ursprünglich von Siemens. Die großen von der AEG kamen später dazu. Die kleinen U-Bahnen passen in die Tunnel der großen, aber nicht umgekehrt. Ein Schutz der Schwachen. Die Berliner U-Bahn ist gerecht.
Weil jeder Berliner ein Baumeister ist und Ideen für seinen eigenen kleinen Höhlenbau hat, wenn er mit dem BVG-Cabrio rumfährt, bekommen die teilnehmenden Baumeister bei der unterirdischen Cabriotour Helm und Weste. Einen Spaten oder eine Schaufel stellt die BVG bei den Touren nicht. Wahrscheinlich, weil klar ist, dass den sowieso jeder dabei hat.
Sendung: rbb 88,8, 09.12.2022, 9:15 Uhr