Der rbb|24-Adventskalender | Abgefahren aufgemacht - 15. Tür: 4.000 Tonnen mit 75 PS
Wenn am Flussende ein Berg steht, müssen Kapitän und Besatzung an Land und zu Fuß weiter. Nicht so in Niederfinow. Hier, am Westrand des Oderbruchs, gibt's eine Lösung, für die der Kapitän nicht mal von Bord muss.
24 kleine Geschichten rund um Bewegung, Geschwindigkeit oder um das bloße Fortkommen, das Verschwinden oder über Menschen, die etwas in Gang setzen - all das natürlich in Berlin und Brandenburg. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Dank der Entdeckung der Hebelgesetze kann der Mensch nahezu alles hoch und runterwuchten, was er irgendwo hinhaben will. In Niederfinow klappt das sogar mit Schiffen.
Eine Anhöhe begrenzt dort das Oderbruch und trennt auch die Stränge einer Wasserstraße. Einen Höhenunterschied von knapp 40 Metern müssen Wasser und Schiffe überwinden.
Rein, runter, raus, fertig
Vor ein paar Generationen wurde diese Wasserstraße verlegt und an der Anhöhe eine Schleusentreppe eingerichtet: vier Stufen und wenn man durch war, war der Tag vorbei. Dieser stundenlang dauernde Schleusungsprozess machte Niederfinow zu einem Nadelör des Oder-Havel-Kanals.
Ingenieure blickten auf der Suche nach einer Lösung etwa ins sächsische Freiberg, wo eine Art Schiffshebevorrichtung es ermöglichte, das Heben und Senken in einem Rutsch zu absolvieren. Die Erfindung gab es dort damals seit mehr als 100 Jahren. Nicht ganz so lange, aber technisch perfektioniert, hob man Schiffe auch in England. Niederfinow wollte das auch, plante und ging zu Beginn des 20. Jahrhundert an die Umsetzung. Rund 20 Jahre wurde projektiert und gebaut. Was rauskam, war ziemlich praktisch: ein Schiffsfahrstuhl. Rein, runter, raus, fertig.
Die Schnelligkeit war das eine, die andere Neuerung war Wassereinsparung. Beim Betrieb der alten Schleusen wurden bei jeder Toröffnung tausende Kubikmeter Wasser verbraucht - und das an einem fast stehenden Kanal, der ohnehin nicht so viel davon hatte. Der neue Fahrstuhl hob das Becken mit dem Schiff: Oben rein in die volle Wanne und zu, dann unten wieder raus aus der Wanne, ohne sie auszuschütten. Ein hocheffektiver Stahlkoloss in der Landschaft.
Parameter, die stimmen müssen
Die Baugeschichte dieses Schiffshebewerks ist vor allem eine Liste von technischen Werten wie Gründungspfeilertiefen, Stahlträgerdicken, Nietenanzahl, Troglängen und -breiten und Gewichten. Ein vergleichsweise kleiner Parameter allerdings fasziniert wegen seiner Bescheidenheit inmitten der Kubikterradezitonnenzahlen: vier Motoren mit je 55 Kilowatt heben den tausende Tonnen schweren Trog. Ein bisschen laienhaft umgerechnet: vier 75 PS Motoren wuchten, was nach Augenschein nur hunderte australische "Roadtrains" schaffen können.
Die Effektivität dieses Werks ähnelt der des Spinatmatrosen Popeye. Wenn seine Muskeln mit Grünzeug versorgt werden, hebt er einhändig eine Pyramide. Die vier alten Schleusen gehören nach der Popeye-Logik seinem schwächelnden Gegenspieler Bluto: Er gab sich richtig doll Mühe, aber es reichte nicht.
PS: Ja, seit kurzem gibt es ein neues Schiffshebewerk neben dem alten. Aber viel anders ist das auch nicht, nur ein bisschen größer.