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Video: Abendschau | 16.02.2021 | Iris Marx | Quelle: dpa/Remko de Waal

Sorge um Impfreaktionen und Wirksamkeit

Astrazeneca-Impfstoff wird in Berlin zum Ladenhüter

Erst fehlte der Impfstoff gegen Covid-19, nun bleibt er ungenutzt liegen: Der Impfstoff des Herstellers Astrazeneca wird in der Bundeshauptstadt nur schleppend nachgefragt. Grund könnten Zweifel an der Wirksamkeit sein. Der Senat hält weiter an der Wahlfreiheit fest.

Update (17.02.): Bis Anfang der Woche waren über das Online-Terminvergabesystem noch Impftermine für Unter-65-Jährige in allen Impfzentren verfügbar. Damit herrschte rein technisch Wahlfreiheit beim Impfstoff. Inzwischen wurde das System angepasst. Nun sind Impftermine für Menschen unter 65 Jahren nur noch im Impfzentrum Tegel mit dem Wirkstoff von Astrazeneca verfügbar.

Zuerst waren sie die große Hoffnung zur schnellen Lösung der Corona-Krise, dann gab es Liefer- und Nachschubprobleme - und nun bleiben etliche Dosen des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca ungenutzt liegen.

Laut Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums sind seit vergangener Woche über 30.000 Impfdosen des Herstellers Astrazeneca in Berlin eingetroffen. Aktuell verimpft wurden jedoch gerade einmal 990 Dosen (Stand: 15. Februar). Wie der rbb erfuhr, werden in Berlin bislang nur rund 150 Dosen von Astrazeneca am Tag verimpft. "Wir würden gerne sehr viel mehr Menschen impfen", sagte eine Mitarbeiterin des Impfzentrums Tegel der rbb-Abendschau.

Medizinisches Personal entscheidet sich oft gegen Astrazeneca

Der Impfstoff von Astrazeneca ist in Deutschland nur für Unter-65-Jährige zugelassen, weil es an Daten für die Wirksamkeit bei Älteren fehlt. Zudem liegt der Impfstoff mit etwa 70 Prozent Wirksamkeit etwa 20 Prozentpunkte unter dem Wert der Impfstoffe von Biontech und Moderna. Im Moment darf ihn nur medizinsches Personal bekommen.

Doch Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte wählen oft einen anderen Impfstoff als den von Astrazeneca. Auf diese Wahlfreiheit hatte die in Berlin zuständige Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) als besonderen Service verwiesen. "Es bleibt dabei", betonte Kalayci nun noch einmal im rbb: Die Verteilung der Impfstoffe auf unterschiedliche Impfzentren werde beibehalten, der von Astrazeneca wird etwa in Tegel angeboten.

"Ich lade alle ein, sich impfen zu lassen", sagte Kalayci und erhöhte den Druck auf alle Impfberechtigten. "Es ist Luxus, einen Impfstoff abzulehnen." Man habe noch einmal 30.000 Impfeinladungen an Arztpraxen in Berlin verschickt, sagte Kalayci der Abendschau des rbb. "Ich erwarte, dass sich Menschen in der Altenpflege und in Arztpraxen impfen lassen."

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CDU will Wahlfreiheit bei Impfstoffen beenden

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Tim Christopher Zeelen, kritisierte Kalaycis Festhalten an der Wahlfreiheit bei Impfstoffen. "Das ist ein grober Fehler" so Zeelen. "Es suggeriert, dass es einen guten und einen schlechten Impfstoff gibt." Zeelen verwies auf Großbritannien, wo bereits Millionen Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca verimpft wurden. "Es gibt keinen Grund, zu warten."

Kalayci wies auf rbb-Nachfrage allerdings darauf hin, dass es beim Astrazeneca-Wirkstoff inzwischen auch Hinweise über Impfreaktionen gebe. "Wir haben Rückmeldung von Krankenhäusern bekommen, dass es Häufungen von Nebenwirkungen gibt - auch heftigen Nebenwirkungen." Das seien häufig grippeähnliche Symptome, so Kalayci, die "nach ein, zwei Tagen vorbei" seien. Bei der zweiten Impfung würden solche Reaktionen laut Experten eher nicht erwartet, so Kalayci.

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Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) können Reaktionen sowohl bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna als auch beim Vektor-basierten Astrazeneca-Präparat auftreten.

Der Hersteller sieht keinen Grund zur Sorge. "Derzeit sind die gemeldeten Reaktionen so, wie wir sie aufgrund der Erkenntnisse aus unserem klinischen Studienprogramm erwarten würden", teilte Astrazeneca am Montag auf Anfrage mit.

Zwei Krankenhäuser in Braunschweig und Emden (Niedersachsen) hatten am Dienstag die Impfung ihres Personals mit dem Astrazeneca-Impfstoff vorübergehend gestoppt, nachdem teils starke Nebenwirkungen gemeldet wurden. In der Braunschweiger Klinik traten von 88 Beschäftigten, die am Donnerstag voriger Woche geimpft wurden, 37 wegen "Impfreaktionen" vorübergehend nicht zur Arbeit an. Auch am Klinikum Emden meldeten sich Beschäftigte nach Impfungen krank. Daraufhin kündigte der Landkreis Leer zunächst ebenfalls an, das Mittel nicht mehr zu spritzen. "Denn unsere Impfdosen stammen vermutlich aus der gleichen Charge wie in Emden", hieß es. Nach Rücksprache mit dem Land wurde das wieder aufgehoben.

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5,6 Millionen Impfdosen von Astrazeneca bis April

Bundesweit wurden von 736.800 bislang gelieferten Astrazeneca-Impfdosen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Dienstag lediglich 64.869 Dosen verimpft. Grund zur Sparsamkeit gibt es jedoch nicht, denn Nachschub ist bereits am Donnerstag zu erwarten. Insgesamt werden laut Bundesgesundheitsministerium bis einschließlich 1. April rund 5,6 Millionen der Dosen erwartet.

In Brandenburg beginnen derweil erst am Mittwoch die Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca. Zuerst sollen Pflegekräfte und Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen ein Impfangebot bekommen. In jedem der elf Impfzentren im Land sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehrere separate Impfstraßen dafür eingerichtet.

Für die Terminvergabe steht demnach eine Sonderrufnummer zur Verfügung. Mitarbeiter der Call-Center sollen nun gezielt Pflegeeinrichtungen anrufen und über das Impfangebot mit Astrazeneca informieren.

Brandenburg hat bislang 21.600 Impfdosen von Astrazeneca erhalten, am Donnerstag wird noch einmal dieselbe Menge erwartet. Nach einer Lieferübersicht des Bundesgesundheitsministeriums sollen bis zum 1. April insgesamt 170.400 Impfdosen des Herstellers geliefert werden.

"Jeder Impfstoff, der diese Wirksamkeit erfüllt, kann uns helfen"

Der Charité-Impfstoffexperte Leif Erik Sander gab im rbb zu bedenken, dass in den bisherigen Studien zur Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs "symptomatische Infektionen unabhängig vom Schweregrad" beobachtet wurden. Der Wirkungsgrad von 70 Prozent sage nur etwas über das Risiko aus, eine symptomatische Infektion zu bekommen, erklärte Sander im Vidcast "Impfen gegen Covid19" von rbb|24.

"Dieser Impfstoff schützt", sagte an gleicher Stelle der Kinder- und Jugendmediziner Martin Terhardt, Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut. Er verwies auf die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach ein Impfstoff als gut gilt, wenn er mindestens 50 Prozent Wirksamkeit hat. "Jeder Impfstoff, der diese Wirksamkeit erfüllt, kann uns helfen, die Pandemie zu besiegen."

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach bei Astrazeneca von einer "hohen Wirksamkeit". Den Sendern RTL und n-tv sagte der Minister: "Ja, ich würde mich impfen lassen, wenn ich eine Impfung angeboten bekommen würde. Ausdrücklich auch mit Astrazeneca. Das ist ein sicherer und wirksamer Impfstoff." Lediglich bei der sogenannten südafrikanischen Virus-Mutation B.1.351 gebe es Hinweise auf einen nur geringeren Schutz. Zu Berichten über vermehrte Nebenwirkungen bei dem Präparat sagte Spahn, häufig gehe es hier um "Impfreaktionen", die zeigten, "dass das Immunsystem angesprungen ist".

Drosten: Astrazeneca-Impfstoff sehr gut

Der Leiter des Instituts für Virologie der Berliner Charité, Christian Drosten, sieht ebenfalls keinen Grund, warum der Impfstoff von Astrazeneca als zweitrangig zu betrachten sei. In der öffentlichen Diskussion in Deutschland sei vieles falsch verstanden worden, sagte Drosten in der neuen Folge des NDR-Info-Podcasts "Coronavirus-Update" [ndr.de].

Die Universität Oxford, die den Impfstoff mitentwickelt hat, habe zu früh zu kleine Daten-Häppchen veröffentlicht, aus denen dann voreilige Schlüsse gezogen worden seien. Der Impfstoff von Astrazeneca sei sehr gut, unterstreicht Drosten. Deutschland müsse jetzt "alles daran setzen, so schnell wie möglich in der Breite zu impfen".

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