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Audio: rbb24 Brandenburg aktuell | 03.09.2022 | Hanno Christ | Quelle: dpa/Bernd Settnik

Frauen in der Brandenburger Politik

Der mühsame Weg zur Parität

Brandenburg war einst Vorreiter, wenn es darum ging, Frauen den Weg zu mehr politischer Teilhabe zu ebnen. Doch das Paritätsgesetz scheiterte – ein Nachfolger ist nicht geplant. Verfechterinnen sehen darin heute aber trotzdem Erfolge. Von Hanno Christ

Es war ein Coup und gleichzeitig ein Stück Parlamentsgeschichte, das da geschrieben wurde: Unter fraktionsübergreifendem Jubel hatte soeben erstmals ein deutsches Parlament ein Gesetz auf den Weg gebracht, das regelte, wie Frauen und Männer gleichermaßen in politische Ämter kommen können. So geschehen im Brandenburger Landtag im Januar 2019. Das sogenannte Paritätsgesetz (von lat. paritas "Gleichheit, gleich stark") sollte bei Landtagswahlen wechselweise Männer und Frauen auf Parteilisten platzieren.

Das Ziel: mehr Frauen den Zugang zu Macht und Ämtern ermöglichen. Es war ein Novum in Deutschland, andere Länder wie Thüringen versuchten gleichzuziehen. Doch die geschriebene Parlaments-Geschichte war nur eine kurze: Nach und nach kassierten Verfassungsgerichte die Gesetze wieder, das brandenburgische etwa im Oktober 2020. Mehrere Parteien, darunter NPD und AfD hatten geklagt. Das Landesverfassungsgericht sah die Rechte von Parteien verletzt, selbst zu entscheiden, wen sie auf eine Liste setzen – und wen eben nicht.

Frauen eine klare Minderheit

Das Projekt Paritätsgesetz aber hatte gute Gründe: Die Beteiligung von Frauen in der Politik ist ausbaufähig. Nach der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Frauen Macht Brandenburg" von 2022 bilden sie dort eine klare Minderheit. Zwar gibt es im Kabinett der Landesregierung mehr Frauen als Männer. Im Landtag aber sind gerade mal 35,2 Prozent der Abgeordneten weiblich, in den Kreistagen und Stadtparlamenten nur 27,6. 19 Prozent der haupt- und ehrenamtlichen Bürgermeister sind Frauen. 11 Prozent der Kreisverwaltungen werden von einer Frau geführt.

Kein neues Landesgesetz geplant

Die Verfechter des Paritätsgesetzes wie die Bündnisgrünen oder der Frauenpolitische Rat e.V. waren einst mit Sprechchören und Transparenten vor das Verfassungsgericht gezogen. Damals gaben sie sich angesichts der juristischen Niederlage kämpferisch und kündigten neue Wege an. Seitdem aber ist es still geworden in der Brandenburger Landespolitik. Ein neuer Gesetzentwurf sei weder im Koalitionsvertrag der Kenia-Regierung vorgesehen noch anderweitig geplant, sagt Frauenministerin Ursula Nonnemacher (Bü'90/Grüne), damals eine der Urheberinnen des Paritäts-Projektes und heute Vize-Ministerpräsidentin des Landes.

"Natürlich bin ich traurig, dass es nicht standgehalten hat", sagt sie, "aber das ist nun mal die Realität." Trotzdem sei Brandenburg damit einen wichtigen Schritt vorangegangen. Nun hofft sie auf die geplante Wahlrechtsänderung des Bundes, wo es nicht nur um die Verkleinerung des Bundestages geht, sondern auch Wege zu mehr Parität. Doch das liegt nicht in Brandenburger Hand.

Corona hat die Bewegung zurückgeworfen

Auch Verena Letsch vom Frauenpolitischen Rat hält das Brandenburger Paritätsgesetz für ein wichtiges Signal, selbst wenn es gescheitert ist. Es sei ein Teilerfolg gewesen. "Ich glaube, mit dem Gesetz gab es einen großen Schwung für die Sichtbarkeit von Frauen", sagt sie. "Ich glaube, dass es heute nicht mehr möglich ist, dass Podien nur mit Männern besetzt werden. Das traut sich einfach keiner mehr, weil es einfach nicht mehr zeitgemäß ist."

Die vergangenen Jahre haben es Vereinen wie dem Frauenpolitischen Rates nicht einfach gemacht, Frauen in die Politik zu lotsen oder sie dafür zu begeistern. Das größte Hindernis sei die fehlende Zeit, so Letsch. Das habe die Corona-Pandemie "schmerzlich" gezeigt. "Wir hatten im zweiten Lockdown 173 Tage bundesweit im Mittel, wo es keine oder keine reguläre Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten gab. Das ist eine irre Zahl." Noch immer tragen Frauen die Hauptlast der Erziehung. Da bleibt keine Zeit für Stadtverordneten- oder Kreistagssitzungen.

Graswurzel-Arbeit statt Gesetze

Auf neue Anläufe für Paritäts-Gesetze oder andere Regelungen will man nicht warten und setzt stattdessen auf mehr kommunale Initiativen, um Interessen von Frauen zu bündeln. "Wir brauchen Strukturen, die es Frauen erleichtern, in die Politik zu gehen", sagt Letsch. Man habe enorm viele Frauen, die ehrenamtlich aktiv sind. "Jetzt muss es nur noch diesen Schritt geben, dass irgendjemand diese Frauen ermutigt, ihre Politik vor Ort zu machen. Ich glaube, Frauen machen den Unterschied."

Auch die Projektleiterin "Vielfalt, Teilhabe, Parität" vom Frauenpolitischen Rat, Anna Emmendörfer, setzt eher auf Graswurzel-Arbeit wie etwa kommunale Netzwerke, Social Media und Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel mit bekannten Frauen aus der Politik. Das Engagement für die Parität, meint sie, sei keinesfalls weniger geworden.

Frauenministerin Nonnemacher wirbt etwa mit Maßnahmen wie familienfreundlicheren Sitzungszeiten, hybriden Sitzungen, um lange Anfahrtswege zu ersparen oder auch mit festgelegten Redezeiten in Debatten. In den meisten Ausschüssen ergreifen immer noch Männer häufiger und länger das Wort als es Frauen tun, heißt es im Maßnahmenkatalog zur Steigerung des Frauenanteils in der Kommunalpolitik. Auch andere Initiativen wie "Frauen aufs Podium" soll helfen, Frauen eine Stimme zu geben.

Sexismus schreckt Frauen ab

"Der noch schwierigere Akt ist, sie auch in politischen Positionen zu halten, weil Frauen viel intensiver Hass-Kampagnen ausgesetzt sind als männliche Politiker", meint Nonnemacher. Sie würden diskriminiert oder teils auch mit sexuellem Unterton angegangen. Gerade bei Angriffen gegen ihre Parteikolleginnen wie die Bundesvorsitzende Riccarda Lang und Außenministerin Annalena Baerbock sieht sie eine "klare geschlechtsspezifische Komponente".

Anna Emmendörfer, einst selbst Kommunalpolitikerin, Bundestagskandidatin und heute Sprecherin der Grünen Jugend Brandenburg, kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Es beträfe Frauen in allen Parteien, meint sie. Gerade als junge Frau begegnetem einem viele Vorurteile: Weniger Lebenserfahrung, wenig politische Erfahrungen. Dabei seien es gerade die jüngeren, neuen Abgeordneten gewesen, die sich sehr intensiv mit den Anträgen und Satzungen beschäftigt hätten, erinnert sie sich an ihre Zeit als Stadtverordnete in Teltow. Sie hätte nie gedacht, dass der sexistische Umgang so massiv ist, berichtet sie. "Wenn man als Frau in der Kommunalpolitik unterwegs ist, braucht man definitiv ein dickeres Fell."

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 03.0.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

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