Kinder und Jugendliche in Berlin - Beratungsstelle ADAS verzeichnet mehr Diskriminierung an Schulen

Sa 01.07.23 | 15:31 Uhr
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Symbolbild: Eine Schülerin mit Kopftuch (Quelle: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 29.06.2023 | Interview mit Aliyeh Yegane Arani | Bild: dpa

Bis Juni hat die "Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen" (ADAS) rund 100 Fälle von Diskriminierung an Berliner Schulen verzeichnet, darunter auch Muslimfeindlichkeit. Leiterin Aliyeh Yegane Arani sieht trotz steigender Zahlen auch etwas Positives.

rbb: Frau Arani, welche Arten von Diskriminierung oder Muslimfeindlichkeit begegnen Ihnen?

Aliyeh Yegane Arani: Das sind sehr unterschiedlichen Formen. Das kann ganz direkte Diskriminierung und Abwertung sein. Zum Beispiel fragt ein Schüler höflich in der Cafeteria, ob der Wurstbelag des Brötchens mit Schweinefleisch ist. Und die Verkäuferin schreit ihn an, wir seien doch hier in Deutschland, was denn die Frage solle.

Zur Person

Oder ein Schüler bereitet mit einer Mitschülerin etwas vor und im Vorbeigehen fragt ein Lehrer das Mädchen, ob sie von dem Jungen belästigt werde - die Türken und Muslime seien ja alle Vergewaltiger. Das sind zum Beispiel kleinere Formen von Aggression.

Es gibt aber auch viele Beleidigungen aufgrund des Kopftuchs. Das ist immer wieder ein Thema. Auch subtile Formen von Diskriminierung - das ist vor allen Dingen Thema bei Jungen, die erleben, dass sie anders behandelt werden. Zum Beispiel gibt es eine Rangelei auf dem Schulhof, vielleicht sogar unter Freunden. Und dann werden nur sie bestraft oder sie werden als die Aggressoren gesehen, obwohl alle beteiligt waren. Es gibt aber auch strukturelle Formen, wo nicht die Lehrkraft diskriminiert, sondern es eine Regelung an der Schule gibt, wie zum Beispiel Kopftuchverbote für Schülerinnen.

Seit 2016 ist ADAS Anlaufstelle für alle, die im Bereich der Schulen in Berlin mit Diskriminierung zu tun haben, also Schülerinnen, Schüler, Lehrpersonal, Eltern. Wer kommt hauptsächlich zu Ihnen?

Zu uns kommen hauptsächlich Eltern oder engagierte Elternvertreter, die etwas mitbekommen haben. Wir merken, dass die Beschwerdehürden für Jugendliche sehr hoch sind, von Kindern ganz zu schweigen.

Es ist auch nicht unbedingt der eine Fall, sondern es ist schon sehr viel vorgefallen. Meist haben die Eltern auch Gespräche in der Schule mit Lehrkräften geführt, vielleicht auch schon mit der Schulleitung und sind einfach nicht durchgedrungen, weil es nicht ernst genommen wurde und das Kind weiter gemobbt wird.

Nun beraten Sie in allen Formen der Diskriminierung. Es geht nicht nur um antimuslimische, sondern auch um rassistische Diskriminierung, Sexismus oder Diskriminierung wegen Behinderung. Welches Ausmaß hat in dem Vergleich zu diesen anderen Formen der antimuslimische Bereich?

Die Schwierigkeit, antimuslimischen Rassismus zu messen, ist, dass er nicht nur Personen betrifft, die Muslime sind. Es ist auch viel implizit. Das heißt, eine Person wird vielleicht als muslimisch wahrgenommen, auch wenn sie es gar nicht ist. Die Diskriminierung greift daran an, dass Menschen mit bestimmten Herkünften, Aussehen oder Namen als Muslime wahrgenommen werden. Wir messen dann den antimuslimischen Rassismus hinsichtlich dessen, ob er sich direkt auf die Religion bezieht.

In einer Studie haben wir muslimische Schülerinnen explizit nach ihren Erlebnissen gefragt. Dabei gaben 37 Prozent an, dass sie direkte Diskriminierung, wie zum Beispiel Benachteiligungen, Beleidigungen, Mobbing oder Übergriffe in der Schule erlebt haben. Und der Großteil von diesen 37 Prozent waren Formen von Benachteiligungen im Unterrichtsgeschehen durch Lehrkräfte.

Wir haben aber auch festgestellt, was uns erstaunt hat, dass das Kopftuch dabei eine große Rolle spielt. Dabei gehen negative Äußerungen vor allem von Lehrkräften aus. Wir haben auch festgestellt, dass in vielen Berliner Schulen auch negative Äußerungen zum Islam zum Schulalltag gehören.

Sie benutzen auch den Begriff antimuslimischer Rassismus. Inwiefern ist das Rassismus?

Es ist Rassismus in dem Moment, wo Personen, die muslimisch sind oder als Muslime wahrgenommen werden, mit negativen, stereotypischen Zuschreibungen verbunden werden, die sozusagen Kern der Identität sind. Sie sind halt nur noch Muslime und nicht mehr Fußballspieler oder Gymnasiasten.

Es wird als ein quasi biologischer Teil ihrer Identität gesehen, der dann negativ und stigmatisierend behaftet ist, woraus alles Mögliche erklärt wird, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Wenn es eine Schlägerei auf dem Schulhof gibt, hat das etwas damit zu tun, dass sie Muslime sind. Sie lernen nicht so gut Deutsch. Das hat damit etwas zu tun, dass sie Muslime sind.

Sie sind halt nur noch Muslime und nicht mehr Fußballspieler oder Gymnasiasten.

Aliyeh Yegane Aran, Leiterin der Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS)

Ist der Bereich der Schule eigentlich ein Bereich, wo das besonders häufig vorkommt? Oder ist es mehr oder weniger ein Spiegel der Gesellschaft?

Ich denke, ein bisschen unterscheidet es sich von anderen Orten in der Gesellschaft. Auch bei der Lehrerschaft haben wir es eher mit einer Gruppe zu tun, bei der eine eher weniger vorurteilsbelastete Haltung vorhanden ist.

Aber trotzdem, und ich glaube, das ist nochmal das spezielle beim Thema antimuslimischer Rassismus im Unterschied vielleicht zu anderen Formen von Rassismus, dass wir ein Verständnis von Neutralität haben, was laizistisch ausschließend ist, sozusagen die Lösung von Problemen, die es mit Religion gibt, die es immer gab, die es immer geben wird, wird gesehen in einem unsichtbar machen von Religion.

Wir haben zum Beispiel in der Studie einen unterschiedlichen Umgang mit den religiösen Feiertagen festgestellt. Weihnachten wird gefeiert oder es wird gratuliert. Im Umgang mit dem Opferfest oder dem Ramadan gibt es jedes Jahr eher einen Konflikt und eine Problematisierung. Es gibt weniger Anteilnahme gegenüber den Muslimen und muslimischen Familien. Das heißt, muslimische Schüler:innen bekommen mit, dass das, was ihr Lebensumfeld ausmacht, sozusagen nicht dazugehört.

Warum ist der schulische Bereich so wichtig beziehungsweise, warum ist es so wichtig, dass ADAS eben genau dahin guckt?

Die Schule ist ein ganz wichtiger Ort zum Erlernen der Grundfähigkeiten, um in einer demokratischen Gesellschaft sich als Bürger und Bürgerin einzubringen und dazuzugehören. Und darum ist die Integrationsfunktion der Schule so wahnsinnig wichtig, allen Schüler:innen zu vermitteln, dass sie sich auch in der demokratischen Struktur von Schulen einbringen können. So unterschiedlich sie in ihrer Vielfalt sind, sind sie ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft und deutsche Bürger und Bürgerinnen.

Eigentlich sollte man doch meinen, dass es in Berlin Alltag ist, dass Kinder und Jugendliche einen muslimischen Hintergrund haben. Wächst die Art der Diskriminierung immer noch?

Wir bekommen immer mehr Meldungen. Im Durchschnitt hatten wir 100 Meldungen pro Jahr. Jetzt haben wir bis Juni schon um die 100 Meldungen. Das ist aber eigentlich ein gutes Zeichen, wenn mehr Personen sich trauen und sich Unterstützung holen. Wir haben jetzt auch mit den Generationen zu tun, die hier sozialisiert sind und die ganz selbstverständlich sagen, wieso soll ich schlechter und anders behandelt werden als Maximilian oder Anna, mit denen sie auch aufgewachsen sind.

Sind Sie eher positiv gestimmt, was die Entwicklung in Berlin angeht?

Eigentlich schon, weil wir in einer Vorbildrolle sind mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz. Wir haben viel Kontakt mit Akteuren in anderen Bundesländern, die gucken auch ein bisschen neidisch auf uns. Die orientieren sich an uns, und wir merken auch die Entwicklung.

Über die Jahre melden sich auch mehr Lehrer bei uns. Das war am Anfang weniger. Schulleitungen melden sich bei uns, um sich beraten zu lassen und unterstützen zu lassen. Oder sie initiieren auch Prozesse an ihren Schulen. In diesem Sinne bin ich da erst mal optimistisch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Aliyeh Yegane Arani führte Ursula Vosshenrich für rbb24 Inforadio.

Der Text ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, dass die ADAS insgesamt 100 muslimfeindliche Meldungen registriert hat. Die 100 Meldungen bezogen sich allerdings auf alle verzeichneten Fälle von Diskriminierung. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 01.07.2023, 21:15 Uhr

3 Kommentare

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  1. 3.

    Ich verstehe das Foto nicht, was soll das sein?

  2. 2.

    In der Überschrift "Beratungsstelle ADAS verzeichnet mehr muslimische Diskriminierung an Schulen" fehlt "anti-", es heißt bei Antisemitismus auch nicht "jüdische Diskriminierung".

  3. 1.

    Wie paßt das mit dieser zeitgleichen Meldung zusammen?
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/07/berlin-zahlen-antimuslimischer-rassismus-radar-berliner-register.html

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